Eine Hauptstamm-Stenose war lange Zeit eine klare Indikation für eine Bypass-Operation. Wackelt dieses Dogma? In der EXCEL-Studie waren Herzinfarkte, Schlaganfälle und Todesfälle nach perkutaner Koronarintervention (PCI) ähnlich häufig wie nach Koronararterien-Bypass-Operation – wenigstens bei Patienten mit anatomisch nicht allzu komplexer Stenose der linken Koronararterie.
Die Studie fand unter Leitung des bekannten US-Kardiologen Prof.Dr. Gregg W. Stone von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, statt und ist im New England Journal of Medicine veröffentlicht [1]. Bisherige wissenschaftliche Publikationen hatten stets ein besseres Langzeitüberleben der Bypass-operierten Patienten gezeigt.
Umstrittene Definition von Myokardinfarkten
Doch die Publikation der EXCEL-Auswertung sorgte für einige Diskussionen unter Experten, so hatte der ebenfalls sehr renommierte Kardiologe Prof. Dr. David Taggert von der Universität Oxford seine Ko-Autorenschaft für die Publikation der 5-Jahres-Daten verweigert. Ihm ging es dabei primär um die Interpretation von Mortalitätsdaten.
In einem TV-Beitrag des britischen Senders BBC hieß es zudem, die Autoren hätten nicht alle Daten veröffentlicht. Stein des Anstoßes war hier die Definition eines Myokardinfarkts als mögliches Ereignis, das die Kardiologen durch Bypässe oder Stents vermeiden wollen. Gemäß der universellen Definition sollten 2 Kriterien erfüllt sein, nämlich Auffälligkeiten im 12-Kanal-EKG vorliegen und der Biomarker Troponin im Blut erhöht sein.
Doch die Autoren arbeiteten gemäß der Society for Cardiovascular Angiography and Interventions nur mit Bluttests. Der BBC zufolge hätte die universelle Definition ein stärkeres Ungleichgewicht bei den Myokardinfarkten in den beiden Vergleichsgruppen bedingt – zu Ungunsten der PCI-Gruppe. Stone und einige Koautoren bestreiten dies aber in einer eigens dazu veröffentlichten Stellungnahme.
Eine Hypothese ist nämlich, dass – weil kardiale Eingriffe wie Bypass-Operationen das Myokard schädigen – sich die Spiegel an Herzenzymen mittelfristig erhöhen, was zu Lasten der Bypass-OP-Gruppe gehen könnte. Bei Stents kommt es nicht zu diesem Effekt. Doch ob dies zutrifft, lässt sich erst sagen, wenn die Rohdaten verfügbar sind.
Daten von neutralen Forschern auswerten lassen
Über die Kontroverse sprach Medscape mit Prof. Dr. Jan Gummert. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung und Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie im Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen – Ruhr-Universität Bochum.
„Nach den Diskussionen auf der Europäischen Jahresstagung 2019 und dem BBC-Beitrag legten wir als Fachgesellschaft Wert darauf, zu den erheblichen Vorwürfen Stellung zu nehmen“, sagt Gummert. „Hauptkritikpunkt an der Studie war, dass durch die noch nicht wissenschaftlich etablierte Definition für Herzinfarkte die Zahl der perioperativen Myokardinfarkte in der Stentgruppe falsch niedrig angegeben wurden.“

Prof. Dr. Jan Gummert
Denn ursprünglich habe man bei der Analyse die Universaldefinition zusätzlich verwenden und alle Resultate veröffentlichen wollen. Dies sei innerhalb der EXCEL-Autorengruppe auch so vereinbart gewesen.
Gummert: „Letztlich können wir als Fachgesellschaft nicht überprüfen, wer wann etwas gesagt und vereinbart hat. Aus unserer Sicht ist es aber wichtig, die Vorwürfe aufzuklären; im Idealfall sollten die Autoren alle Daten unabhängigen Stellen zur Auswertung zur Verfügung stellen.“ Hier biete sich beispielsweise das gemeinsame Leitlinienkomitee der Europäischen Kardiologen und Herzchirurgen (ESC/EACTS) an.
Für Ärzte in der Praxis kein Handlungsbedarf
Doch das kann dauern. Wie sollten Ärzte in der Zwischenzeit handeln? „Leitlinien haben bekanntlich empfehlenden Charakter, bei der Therapieempfehlung für den einzelnen Patienten müssen individuelle Faktoren mitberücksichtigt werden“, erklärt der Experte.
Zwischen der 1. gemeinsamen Leitlinie der ESC/EACTS (2014) und der aktuellen Version (2018) habe sich hinsichtlich der Bewertung der Evidenz nur wenig verändert. In die aktuelle Version sind die Daten der ersten EXCEL- und der NOBEL-Publikationen aus 2016 eingeflossen, die 5-Jahres- Ergebnisse der EXCELl-Studie habe man hier noch gar nicht berücksichtigt.
„Wir raten jedem Patienten, auch unabhängig von einer möglichen Verunsicherung durch die aktuelle Berichterstattung über die EXCEL-Studie, darauf zu achten, dass ein interdisziplinäres Herzteam die Therapieempfehlung überprüft“, so Gummert weiter. Dazu zählen auf jeden Fall Herzchirurgen und Kardiologen, gegebenenfalls weitere Disziplinen. Diese Beratung im Herzteam sei in der ESC/EACTS Leitlinie verankert und gebe Patienten die Sicherheit der optimalen Behandlung.
Randomisierte Studie mit knapp 2.000 Patienten
Noch ein Blick auf Stones Herangehensweise: Erkrankungen der linken Hauptkoronararterie (LMCA) sind bekanntlich eine risikoreiche Subgruppe bei Patienten mit ischämischer Herzerkrankung. Hier galten bislang Koronararterien-Bypass-Operationen als Goldstandard.
Allerdings haben bereits 6 randomisierte, kontrollierte Studien gezeigt, dass die PCI mit medikamentenbeschichteten Stents verglichen mit Bypässen nach einem Jahr Follow-up zu weniger unerwünschten Ereignissen führten, schreiben die Autoren. Außerdem erholten sich die Patienten nach der weniger invasiven PCI schneller. „Allerdings fehlen eindeutige Belege zu den langfristigen Ergebnissen“, heißt es im Artikel.
Deshalb wurden im Rahmen der EXCEL-Studie 1.905 Patienten mit ischämischer Erkrankung der linken Hauptkoronararterie rekrutiert. Nach Einschätzung der beteiligten Zentren hatte ihre Stenose eine geringe bis mittlere anatomische Komplexität.
Alle Teilnehmer wurden in 2 Gruppen randomisiert. Sie erhielten entweder eine PCI mit Everolimus-freisetzenden Stents aus einem Kobalt-Chrom-Gerüst mit Fluorpolymer-Beschichtung (PCI-Gruppe, 948 Patienten). Oder sie unterzogen sich einer Bypass-Operation (Bypass-Gruppe, 957 Patienten). Der primäre Komposit-Endpunkt umfasste Tod, Schlaganfall oder Myokardinfarkt.
Herzinfarkte oder kardiovaskuläre Todesfälle ähnlich häufig
Nach 5 Jahren war bei 22,0% der Patienten in der PCI-Gruppe und bei 19,2% der Patienten in der Bypass-Gruppe ein Ereignis des primären Endpunkts aufgetreten (Differenz 2,8 Prozentpunkte, 95% Konfidenzintervall [KI] -0,9 bis 6,5; p=0,13). Doch waren Todesfälle (unabhängig von der Ursache) in der PCI-Gruppe häufiger als in der Bypass-Gruppe (13,0% vs. 9,9%; Differenz 3,1%-Punkte, 95% KI 0,2 bis 6,1).
Keine signifikanten Unterschiede fanden die Wissenschaftler beim Vergleich von kardiovaskulären Todesfällen (PCI: 5,0% versus Bypass 4,5%; Differenz 0,5%-Punkte, 95% KI -1,4 bis 2,5) sowie bei Herzinfarkten (10,6 vs. 9,1%; Differenz 1,4%-Punkte, 95% KI -1,3 bis 4,2).
Zerebrovaskuläre Ereignisse traten nach einer PCI seltener auf als nach Bypass-OP (3,3 vs. 5,2%; Differenz -1,9%-Punkte, 95 -KI -3,8 bis 0), obwohl die Häufigkeit von Schlaganfällen in beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich war (2,9 und 3,7%; Differenz -0,8%-Punkte, 95% KI -2,4 bis 0,9). Eine Ischämie-getriebene Revaskularisierung war nach PCI häufiger als nach Bypass (16,9 vs. 10,0%; Differenz 6,9%-Punkte; 95% KI 3,7 bis 10,0).
Schwächen der Studie aus Sicht der Autoren
In ihrer Veröffentlichung zählen Stone und Koautoren als Schwächen der Analyse nicht nur die Definition von Myokardinfarkten. Sie können nach eigenem Bekunden auch ein Bias bei der Bewertung von Endpunkt-Ereignissen nicht ausschließen – die Studienärzte wussten, welche Therapie ein Patient erhalten hatte.
Hinzu kommt die Beurteilung der Erkrankung, die anhand des SYNTAX-Scores („SYNergy between PCI with TAXUS and Cardiac Surgery“) erfolgte. Dieser beschreibt Schweregrad bzw. Komplexität der KHK. Zwar seien Patienten mit hohem SYNTAX-Score ausgeschlossen worden, heißt es in der Veröffentlichung. Trotzdem hätten rund 25% der Teilnehmer entsprechende Kriterien erfüllt.
Und nicht zuletzt erhielten Patienten in der PCI-Gruppe während des Follow-up häufiger Wirkstoffe zur dualen Hemmung der Thrombozytenaggregation, aber auch ACE-Hemmer bzw. Sartane. In der Gruppe mit Bypass-Operation verordneten die Ärzte dagegen mehr orale Antikoagulanzien, Betablocker, Diuretika bzw. Antiarrhythmika.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: EXCEL-Studie sorgt für Experten-Streit: Ist bei Hauptstamm-Stenose der Stent nun gleichwertig zum Bypass – oder nicht? - Medscape - 9. Jan 2020.
Kommentar