Hamburg – 5% bis 10% aller Notaufnahmen in die Klinik sind die Folge unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Besonders gefährdet sind Ältere, multimorbide Patienten mit Polypharmazie und Frauen. Die häufigsten Problem-Verursacher: Antihypertensiva und Antithrombotika, aber auch Antibiotika.
Bis zu 60.000 Tote pro Jahr durch unerwünschten Arzneimittel-Wirkungen
Daten zum heiklen Thema der Arzneimittelsicherheit in der Praxis sind rar. Geschätzt wird, dass in Deutschland jährlich rund 30.000 bis zu 60.000 Menschen aufgrund von unerwünschten Arzneimittel-Wirkungen (UAW) sterben, berichtete Dr. Ruth Koeniger, Nofallmedizinerin am Münchner Klinikum Bogenhausen, beim Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) 2019 in Hamburg [1]. Zu den häufigsten Todesursachen zählen Magen-Darm-Blutungen, Leberversagen und Herzinfarkte.
Es sind nach Angaben von Koeniger vor allem „die üblichen Verdächtigen“, die zu Notaufnahmen führen: Herz-Kreislauf-Medikamente (u.a. Schwindel, Ödeme, Elektrolytstörungen), Antikoagulanzien und Antithrombotika (Blutungen), Antibiotika (u.a. Allergien), Antidiabetika und Insulin (Hypoglykämien), Analgetika, NSAR, Benzodiazepine und Psychopharmaka.
Dies sei aber auch altersabhängig, so Koeniger. Bei den älteren Patienten zählten zu den Top 5 Diuretika, Kalzium-Antagonisten, ACE-Hemmer, Antikoagulanzien und Antithrombotika. Dagegen fänden sich in Listen zu Notaufnahmen bei unter 20-Jährigen in den USA vor allem Antibiotika, in Einzelfällen auch Methylphenidat.
Wie oft schwere Arzneimittel-Nebenwirkungen durch falsche Verordnungen oder das Nicht-Beachten von Arzneimittel-Interaktionen verursacht werden, ist unklar. Aus Studien gebe es Hinweise, dass mehr als 10% der UAW sicher vermieden werden könnten, berichtete Koeniger.
Es gibt aber positive Entwicklungen: „Die Verschreibung potentiell inadäquater Medikamente bei Älteren ist zurückgegangen und liegt jetzt unter 20%“, so die Intensivmedizinerin. Dies sei u.a. der PRISCUS-Liste zu potentiell inadäquaten Medikamenten bei Älteren zu verdanken.
Höheres Alter mit nachlassender Organfunktion sowie Polypharmazie sind die wichtigsten Risikofaktoren für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Aber auch weibliches Geschlecht ist laut Studien mit einem rund 1,5-fach erhöhten UAW-Risiko verbunden. Zu den Gründen werden höhere Plasmaspiegel aufgrund anderer Verteilungsvolumina als bei Männern, niedrigere Filtrationsrate der Niere und auch Einflüsse von Sexualhormonen gezählt.
Daten aus 4 großen Notaufnahmen
In der ADRED-Studie (Adverse Drug Reactions in Emergency Departments), einer Bestandsaufnahme in 4 größeren Notaufnahmen in Deutschland (Ulm, Fürth, Bonn, Stuttgart) während einer 30-tägigen Beobachtungsphase, lag bei 665 von insgesamt 10.174 Behandlungsfällen (6,5%) ein UAW-Verdacht vor. Unter den Fällen mit dokumentierter Arzneimitteltherapie betrug der Anteil fast 12%.
352 UAW-Verdachtsfälle konnten detaillierter ausgewertet werden. Die Patienten, 3 Viertel mindestens 65 Jahre alt, nahmen im Median 7 unterschiedliche Wirkstoffe gleichzeitig ein. Der Anteil der Frauen lag insgesamt bei 55%, war aber bei den jüngeren Patienten bis 60 Jahren und den Senioren ab 80 Jahren deutlich erhöht. Bei 74,4% (Altersgruppe 18-64 Jahre) bzw. 84% (≥ 65 Jahre) der Patienten konnte ein möglicher Zusammenhang zwischen Symptomen und Arzneimittel hergestellt werden. Am häufigsten wurden Antihypertensiva und Antithrombotika als Auslöser der Beschwerden vermutet.
Identifizierung des verursachenden Medikaments oft schwierig
Die Abklärung Arzneimittel-bedingter Symptome ist oft schwierig. Bis zu ein Drittel der Patienten präsentieren sich in der Notaufnahme mit unspezifischen Symptomen wie Juckreiz, Schwindel oder Dyspnoe, berichtete Koeniger. Bei weiteren jeweils 30% stünden gastrointestinale oder zentralnervöse Symptome im Vordergrund.
Viele Patienten berichteten über mehrere Symptome und nähmen mehr als 4 Medikamente ein. Bei Patienten mit Polypharmazie sollte auf Verschreibungskaskaden geachtet werden, betonte die Intensivmedizinerin, d.h. Verordnung von Medikamenten gegen die Nebenwirkungen anderer Medikamente. Zu beachten seien außerdem pflanzliche Arzneimittel und OTC-Präparate, die von vielen Patienten ohne Verschreibung eingenommen würden.
Oft ist eine intensive Spurensuche erforderlich, für die es kein Patentrezept gibt. Der Rat von Koeniger: „Bei Patienten, die in die Notaufnahme kommen, immer auch nach möglichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen fahnden!“
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Die „üblichen Verdächtigen“: Durch Nebenwirkungen dieser Medikamente landen Patienten am häufigsten in der Notaufnahme - Medscape - 3. Jan 2020.
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