Bereits geringe Mengen an Alkohol gehen mit einem erhöhten Krebsrisiko der Speiseröhre, des Kehlkopfs, des Mund- und Rachenbereichs sowie des Magens, Darms und der Leber, aber auch der weiblichen Brust und der Prostata einher. Dabei wächst das Risiko mit steigender Alkoholmenge und Dauer des Konsums an.
Zu diesen Ergebnissen kommen Dr. Masayoshi Zaitsu vom Department of Public Health der Universität Tokio in Japan und Kollegen in Cancer [1]. Basis ihrer Veröffentlichung war eine retrospektive Untersuchung von 126.000 Patientenakten aus Japan.
Gemittelt über unterschiedliche Alkoholexpositionen war das Krebsrisiko des Ösophagus etwa 4-fach erhöht (Odds Ratio [OR] 4,26); beim Larynx lag der Wert 2-fach höher (OR 2,36). Im Bereich der Lippen, der Mundhöhle und des Pharynx ermittelten die Forscher 1,5-fach höhere Risiken (OR 1,56), jeweils verglichen mit abstinenten Personen.
Danach folgten Kolon, Rektum und Leber mit leichteren, aber immer noch signifikant erhöhten Krebsrisiken (OR 1,31); sowie der Magen, die weibliche Brust (OR je 1,24) und die Prostata (OR 1,21). Bei den restlichen 15 der 24 betrachteten Geweben wurden keine signifikanten Risikoerhöhungen gefunden, für Hautkrebs und multiples Myelom errechnete sich sogar eine signifikante Reduktion des Risikos (OR 0,77 bzw. 0,64).
„Eine sehr sorgfältig gemachte Studie mit interessanten Ergebnissen, die der großen Datenmenge zu verdanken sind“, urteilt PD Dr. Ute Mons, Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg DKFZ. „Derartige Studien sind in Deutschland leider sehr selten.“
Risiken für 24 verschiedene Krebstypen ermittelt
Den Autoren um Zaitsu standen für ihre Analyse umfangreiche Krankenakten von 63.232 erwachsenen Patienten mit einer 1. Krebsdiagnose aus 33 japanischen Allgemeinkrankenhäusern zwischen 2005 und 2016 zur Verfügung. Analysiert wurden unterschiedliche maligne Erkrankungen von C00 bis C97 gemäß ICD-10.
Darin enthalten waren auch Angaben der Patienten zu Alkohol- und Tabakkonsum, Hypertonie, Diabetes, erhöhte Lipid- und Harnstoffwerte sowie Adipositas und zum beruflichen Status.
Anhand ihrer Daten identifizierten die Autoren aus Datenbank ebenso viele Krankenakten von Patienten dieser Kliniken, die nicht an Krebs erkrankt waren, als Kontrollgruppe. Die Probanden wurden hinsichtlich des Alters und des Geschlechts adjustiert. Somit betrug die Studienpopulation 126.464 Personen mit einem Durchschnittsalter von 69 Jahren, davon waren 34,7% Frauen.
40% der Patienten waren abstinent oder tranken wenig Alkohol
Der Alkoholkonsum aller Studienteilnehmer war per Fragebogen erhoben worden. Danach hatten 44,0% der Krebspatienten und 40,1% der Kontrollgruppe angegeben, komplett abstinent zu leben. Der Alkoholkonsum wurde als täglicher Anzahl von Drinks zu je 25 g Ethanol (entsprechend 500 ml Bier, 180 ml Wein oder Sake, 60 ml Whisky) sowie der Dauer des Alkoholkonsums in Jahren angegeben. Die Anzahl der täglichen Drinks und der Jahre wurden dann miteinander zu Drinking Years multipliziert.
Danach hatten 6,6% der Krebspatienten und 6,7% der Personen in der Kontrollgruppe 0-20 Drinking Years angegeben, 12,6% (12,6%) 20-40 Drinking Years; 17,2% (17,8%) 40-60 Drinking Years; 9,0% (10,1%) 60-90 Drinking Years und 10,6% (10,6%) über 90 Drinking Years.
Die meisten der zusammen knapp 60% Alkoholkonsumenten lagen also im mittleren Bereich von 40-60 Drinking Years, so hatten diese beispielsweise über 50 Jahre lang 25 g Ethanol täglich oder über 25 Jahre 50 g Ethanol täglich zu sich genommen.
„Subjektive Angaben von Patienten sind natürlich immer ein Schwachpunkt solcher Studien“, wendet Mons ein. „Vielleicht liegt der hohe Anteil von 40% Abstinenter aber auch in dem häufigen Polymorphismus des Enzyms Alkoholdehydrogenase in der japanischen Bevölkerung begründet, der den Alkohol für die Betroffenen schlecht verträglich macht.“
Begleiterkrankungen und Lebensstil statistisch berücksichtigt
Für die Berechnung der Risikoerhöhung wurden die Werte für die Begleiterkrankungen, den Tabakkonsum und den beruflichen Status adjustiert. Die Daten zu den jeweiligen Krebserkrankungen der etwa 40% Abstinenten nahmen die Autoren als Bezugswerte.
Tatsächlich errechneten sich signifikant erhöhte Risiken für Krebserkrankungen im oberen aerodigestiven sowie im kolorektalen Trakt, im Magen, Brust und Prostata – wie oben bereits beschrieben – für alle Alkoholkonsumenten.
Tendenziell beobachteten die Autoren für die Krebstypen, für die das Risiko durch Alkoholkonsum besonders stark stieg, auch eine Dosisabhängigkeit. Am stärksten beim Speiseröhrenkrebs, der von einem knapp verdoppelten Risiko (OR 1,78) der Patienten mit dem geringsten Alkoholkonsum auf das 7-Fache (OR 7,03) bei denen mit dem höchsten Alkoholkonsum anstieg. Daraus ergab sich ein etwa 4-fach erhöhtes Risiko bei Personen mit > 90 Drinking Years versus < 20 Drinking Years.
Deutliche Dosis-Wirkungs-Beziehung
„Die Darstellung des Dosis-Wirkungs-Effektes ist selten so deutlich dokumentiert worden“, zeigt sich Mons beeindruckt. „Die Vielzahl der Ergebnisse schafft eine Vergleichbarkeit der Daten und demonstriert deren Robustheit.“
Auch für das Krebsrisiko in Larynx, Pharynx, Lippen und Mundhöhle wurde eine, wenn auch weniger ausgeprägte Dosisabhängigkeit beobachtet. Für die kolorektalen Krebstypen sowie in Magen und Leber errechneten sich geringere Dosisabhängigkeiten.
Für die Krebsrisiken der weiblichen Brust und der Prostata ergaben sich keinerlei Dosisabhängigkeiten, wohl aber für Knochen-und Weichteilgewebe sowie für Nierenbecken und Harnleiter.
Übermäßiger Konsum ist tendenziell schädlicher als regelmäßiger Konsum
Eine weitere Auswertung ergab, dass das allgemeine Krebsrisiko stärker zunahm (bis zu OR 1,54 bei > 2 Drinks und > 40 Jahre), wenn die tägliche Alkoholdosis höher lag, als wenn über den gleichen Zeitraum hinweg weniger konsumiert wurde (OR 1,16 bei ≤ 2 Drinks und > 40 Jahre). Das Risiko reduzierte sich also, wenn gewohnheitsmäßige Alkoholkonsumenten die Alkoholmenge verringerte.
In ihrer Diskussion bedauern die Autoren, dass die Daten wichtige Aspekte außer Acht ließen. So fehlten etwa Angaben zum Genotypus der ADH ebenso wie zu Ernährungsgewohnheiten. Die Anstiege der Krebsrisiken in weiblicher Brust und Prostata erklären sie mit einer alkoholbedingten Steigerung der Sexualhormonspiegel.
„In dieser Studie ist die Darstellung des Zusammenhangs von Alkoholkonsum und steigendem Krebsrisiko sehr gut gelungen“, resümiert Mons. „Eine J-Kurve, wie man sie durch Alkohol für Herz- und Gefäßrisiken beobachten kann, existiert hier nicht. Hier ist der Zusammenhang für Alkohol-exponierte Gewebe wohl fast linear zu nennen, sowohl für die Dosis als auch die Dauer des Konsums.“
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Kein Gläschen in Ehren: Bereits wenig Alkohol erhöht das Krebsrisiko – aber nicht in allen Organsystemen gleichermaßen - Medscape - 31. Dez 2019.
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