Lieferengpässe bei Grippe-Impfstoff bald Vergangenheit? Wimperntierchen könnten das Hühnerei für die Produktion ersetzen

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

20. Dezember 2019

In den letzten Jahren sorgten Lieferengpässe bei Influenza-Vakzinen mehrfach für unrühmliche Schlagzeilen. Ein neues Expressionssystem auf Basis des Protozoons Tetrahymena thermophila könnte diese Lücke schließen. Das berichten Forschende um Karina Jawinski von der Cilian AG Münster in Frontiers in Immunology  [1].

Der Impfstoff erwies sich in Tierexperimenten als immunogen und könnte über Nanopartikel dosissparend eingesetzt werden, etwa im Falle einer Pandemie.

Impfstoffproduktion immer noch wie in den 1940er-Jahren

„Mehr als 90 Prozent des Grippe-Impfstoffs weltweit wird mit Hilfe von Eiern produziert“, erklärte Dr. Martin Friede bereits 2018 gegenüber der dpa . Er ist Leiter der Abteilung Impfforschung bei der Weltgesundheitsorganisation WHO. Auch damals waren manche Influenza-Vakzine nicht verfügbar, was am industriellen Verfahren liegt. 

Friede: „Aus einem Ei lässt sich meist eine Impfdosis, manchmal etwas mehr, herstellen.“ Virenpartikel werden in Bruteier injiziert. Dort entstehen innerhalb von 10 bis 11 Tagen mehrere Milliarden Kopien des Virus. Diese werden durch Hitze oder Chemikalien inaktiviert.

Die Methode geht auf Dr. Ernest W. Goodpasture (1886-1960), einen US-amerikanischen Pathologen zurück. Sie wurde ab 1942 etabliert und ist bis heute bei Influenza- und Gelbfieber-Vakzinen Standard. Sie gilt nicht nur als apparativ aufwändig und zeitintensiv, sondern bei Risikogruppen als gefährlich: Personen, die allergisch auf Hühnereiweiß reagieren, können mit einer Anaphylaxie reagieren.

Proteine exprimieren statt Viren vermehren

Jawinski und ihre Kollegen arbeiten mit dem wissenschaftlich gut beschriebenen Ciliaten Tetrahymena thermophila. Das Wimpertierchen kommt in Flüssen oder Seen vor und ist nicht pathogen. Es hat gegenüber bakteriellen Expressionssystemen einige Vorteile:

  • Zellen wachsen in Fermentern schnell heran,

  • das Verfahren ist kostengünstig,

  • im Bedarfsfall leicht hochskalierbar und

  • – da keine Viren verwendet werden – auch unter niedrigeren Sicherheitsstandards durchführbar.

  • Als Eukaryont stellt T. thermophila in vitro nicht nur Oberflächenproteine her, sondern überführt sie in die biologisch aktive Form. Diese sogenannte posttranslatorische Modifikation ist bei bakteriellen Systemen wie Escherichia coli nicht möglich.

Im Labor wurde der Ciliat so verändert, dass er Hämagglutinin als virales Oberflächenprotein exprimiert und posttranslatorisch modifiziert Danach folgten Schritte zur Aufreinigung. „In dieser Studie konnten wir erfolgreich die Expression von Hämagglutinin von beiden saisonalen Grippevirusstämmen A und B in Tetrahymena und dessen anschließende Aufreinigung demonstrieren“, schreiben Jawinski und ihre Koautoren.

Erste Tests im Tierexperiment

Der in Ciliaten produzierte Impfstoff, CiFlu® genannt, wurde anschließend in Mäusen untersucht. Es erwies sich als immunogen und war in der Lage, die Nager vor Infektionen mit Influenza-A- oder Influenza-B-Viren zu schützen. Auch bei Makaken führte das Protein zur Erzeugung entsprechender Antikörper.

„Eine Überlegung für die Zukunft ist die Bewertung der Immunogenität in Frettchen-Modellen, welche eine Bewertung des Schutzes vor Übertragung ermöglichen würde“, schreiben die Forscher. Darin sehen sie Möglichkeiten, um Material für klinische Studien GMP-gerecht vorzubereiten.

Mehr Aktivität durch Nanopartikel

Im nächsten Schritt untersuchte Jawinskis Team, wie sich Impfungen effizienter gestalten lassen – sprich mit weniger Vakzine der gleiche Erfolg erzielen lässt, verglichen mit kommerziellen Präparaten. Ihre Idee war, bekannte Milchsäure-Polymere zur Mikroverkapselung zu testen, nämlich Poly Lactic Acid (PLA) oder Poly(lactid-co-glycolid) Acid (PLGA). Sie eignen sich für den Einsatz im menschlichen Körper, sind biologisch abbaubar und biokompatibel. Dazu gibt es den Autoren zufolge bereits etliche Voruntersuchungen.

 
Mit dem Tetrahymena-Expressionssystem steht somit ein wertvolles Instrument für die Produktion von viralen Impfstoff-Antigenen zur Verfügung. Karina Jawinski und Kollegen
 

Die speziell für Vakzine entwickelten PLA i-Particles® entstehen in wässriger Phase aus einem Milchsäure-Polymer in einem Tensid-freien Prozess, um das virale Oberflächenprotein nicht zu denaturieren.

Außerdem wurde der sogenannte Nod2-Ligand integriert. Nod2 steht für Nucleotide-binding oligomerization domain-containing protein 2. Es bindet an den Nod-like-Rezeptor, was zu einer Immunreaktion führt.

Im Experiment erzielten Forscher durch die gleichzeitige Mikroverkapselung des Nod2-Liganden und des viralen Proteins bei subkutaner Gabe bessere Effekte: „Durch Kombination des Hämagglutinins mit PLA-Submikropartikeln und mit einem Nod2-Liganden konnte die Immunantwort signifikant gesteigert werden, wodurch die Antigendosis deutlich reduziert werden konnte“, heißt es im Artikel.

„Mit dem Tetrahymena-Expressionssystem steht somit ein wertvolles Instrument für die Produktion von viralen Impfstoff-Antigenen zur Verfügung“, so die Autoren. Geringere Dosen pro Impfung könnten im Ernstfall bei Pandemien die Versorgung verbessern.

 

Kommentar

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