Neue S-3-Leitlinie: „Das rechte Maß“ bei der Versorgung chronisch Nierenkranker in der Hausarztpraxis

Inge Brinkmann

Interessenkonflikte

20. Dezember 2019

Wann ist es für Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung an der Zeit, einen Spezialisten aufzusuchen? Wann ist die hausärztliche Versorgung noch ausreichend?

Die neue S-3 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) mit dem Titel „Versorgung von Patienten mit chronischer nicht-dialysepflichtiger Nierenerkrankung in der Hausarztpraxis“ gibt darüber detailliert Auskunft [1].

„Es geht um das rechte Maß“, sagt Prof. Dr. Jean-François Chenot, Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Greifswald, im Gespräch mit Medscape.

So leiden zwar schätzungsweise 8 bis 10 Millionen Menschen in Deutschland unter einer chronischen Nierenerkrankung. Dabei handelt es sich aber laut Chenot, der die Publikation initiiert und mitverfasst hat, größtenteils um geriatrische Patienten mit einer altersbedingt eingeschränkten Nierenfunktion in den frühen Stadien der Erkrankung. Nur wenige von ihnen benötigten eine spezialisierte Versorgung.

Diese wenigen sollen aber möglichst mithilfe geeigneter Monitoring-Maßnahmen rechtzeitig erkannt und an Nephrologen überwiesen werden. Laut Leitlinie ist das etwa der Fall, wenn:

  • Blut im Urin ist, das nicht durch eine urologische Erkrankung erklärbar ist,

  • nennenswerte Mengen Eiweiß im Urin sind,

  • der Blutdruck auch mit 3 Medikamenten nicht zu kontrollieren ist,

  • die Nierenfunktion rasch abnimmt oder

  • ein begründeter Verdacht auf eine spezifische Nierenerkrankung vorliegt (z.B. eine polyzystische Nierenerkrankung).

Die meisten Patienten können vom Hausarzt versorgt werden

Die meisten Patienten mit Nierenfunktionseinschränkung können aber vom Hausarzt optimal versorgt werden. „Ein Ziel der Leitlinie ist es, eine Überversorgung bei chronischen Nierenerkrankung zu vermeiden“, erklärt Chenot.

 
Ein Ziel der Leitlinie ist es, eine Überversorgung bei chronischen Nierenerkrankung zu vermeiden. Prof. Dr. Jean-François Chenot
 

Gleichzeit gibt die Leitlinie Hausärzten detaillierte Handlungsanweisungen, was sie statt des Ausfüllens einer Überweisung selbst tun können bzw. sollten, um Komplikationen und Folgeschäden durch chronische Nierenerkrankungen zu vermeiden sowie eine Progression zur dialysepflichtigen Nierenerkrankung zu verzögern oder zu vermeiden.

Im Fokus steht hier die Blutdruckeinstellung und evtl. Blutzuckereinstellung sowie eine Überprüfung und Anpassung der Medikamente.

Auch die regelmäßige Überwachung der Nierenfunktion, insbesondere bei Risikopatienten wie Patienten mit Diabetes mellitus oder Bluthochdruck, wird thematisiert.

Besonders wichtig war den Nephrologen laut einer Pressemitteilung auch die Kreatinin-Bestimmung, die die Leitlinie in regelmäßigen Abständen entsprechend individuell vereinbarter Monitoring-Intervalle empfiehlt. „Sie machen das Netz engmaschig genug, um zu garantieren, dass kein Patient unerkannt und unbehandelt ein fortgeschrittenes Stadium der Nierenkrankheit erreicht“, so Prof. Dr. Sylvia Stracke, Nephrologin und ebenfalls eine der Autorinnen der Leitlinie.

Die Förderung durch die KfH-Stiftung Präventivmedizin und die Damp-Stiftung habe die Unabhängigkeit der Leitlinie von kommerziellen Interessen der Industrie ermöglicht, so Chenot.

Hausärzte und Nephrologen müssen die gleiche Sprache sprechen

Die Leitlinie benutzt überdies bewusst den neuen Begriff der „chronischen Nierenerkrankung“ (chronic kidney disease, CKD) statt „Niereninsuffizienz“.

 
Es ist wichtig, dass Hausärzte und Nephrologen dieselbe Sprache sprechen – nur so können sie auch optimal zusammenarbeiten. Prof. Dr. Jean-François Chenot
 

Sie folgt damit dem im Jahre 2004 durch den internationalen Verband KDIGO (Kidney disease – Improving global outcomes) eingeführten Konzept: Während sich der Ausdruck Niereninsuffizienz vorher nur auf die Nierenfunktion bezog, ist die CKD erweitert um Abweichungen der Struktur oder Funktion der Nieren (eGFR und neu: Albuminurie), die mindestens 3 Monate fortdauern und die Gesundheit des Patienten beeinflussen.

„Es ist wichtig, dass Hausärzte und Nephrologen dieselbe Sprache sprechen“, sagt Chenot. „Nur so können sie auch optimal zusammenarbeiten.“
 

Kommentar

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