„Bahnbrechender Erfolg“ – so bewerten Infektiologen einen neuen Konjugat-Impfstoff gegen Typhus. Wer profitiert?

Petra Plaum

Interessenkonflikte

19. Dezember 2019

Ein neu entwickelte Konjugat-Impfstoff gegen Typhus eignet sich im Gegensatz zu den bisher verfügbaren Vakzinen offensichtlich für Kinder ab dem Säuglingsalter und zeigt bereits nach einmaliger Anwendung eine Effizienz von 81,6%.

Mit diesem Ergebnis macht die im New England Journal of Medicine publizierte randomisiert-kontrollierte Studie aus Kathmandu/Nepal, an der mehr als 20.000 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 9 Monaten und 16 Jahren teilnahmen, Ärzten wie Patienten in Endemie-Gebieten Hoffnung [1].

 
Man muss sagen, dass dieser Impfstoff ein relativ bahnbrechender Erfolg ist. PD Dr. Robin Kobbe
 

Studienautoren waren Dr. Mila Shakya aus der Oxford University Clinical Research Unit in Kathmandu, Nepal und ein internationales Team aus Wissenschaftlern aus Nepal, Großbritannien, Vietnam und aus den USA.

„Man muss sagen, dass dieser Impfstoff ein relativ bahnbrechender Erfolg ist“, kommentiert PD Dr. Robin Kobbe die Ergebnisse gegenüber Medscape. Er ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, pädiatrische Infektiologe, Immunologe und Tropenmediziner am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er selbst hat unter anderem bei Prof. Dr. Andrew J. Pollard studiert, der gemeinsam mit Kollegen denselben Konjugat-Impfstoff ab 2015 an gesunden Erwachsenen aus Oxford getestet hatte.

PD Dr. Robin Kobbe

Hierfür waren in einer randomisiert-kontrollierten Studie junge, gesunde Erwachsene erst mit dieser oder mit einer von 2 Kontrollvakzinen geimpft und dann mit Typhuserregern konfrontiert worden. Bei dieser Kohorte zeigte die Vakzine eine Schutzwirkung von 54,6%, bei akzeptablen Nebenwirkungen.

Für Erwachsene waren allerdings damals bereits Impfstoffe erhältlich – für Säuglinge und Kleinkinder eignen sich diese nicht. Denn der Lebendimpfstoff gegen Ty21a ist mit Kapseln zu schlucken. Nach Injektion einer Vi-Polysaccharid-Impfung bauen die jungen Patienten keine ausreichende Immunantwort auf.

 
Der neue Impfstoff ist ... ein sehr wichtiger Schritt in der Verbesserung der Kindergesundheit, denn 1 von 100 Erkrankten stirbt an Typhus, wir sprechen von 150.000 Toten im Jahr.  PD Dr. Robin Kobbe
 

„Der neue Impfstoff ist darum ein sehr wichtiger Schritt in der Verbesserung der Kindergesundheit, denn 1 von 100 Erkrankten stirbt an Typhus, wir sprechen von 150.000 Toten im Jahr“, informiert Kobbe.

Zielgruppe: Kinder in Endemiegebieten

Tatsächlich lässt der Erreger Salmonella enterica serovar Typhi, kurz S. Typhi, derzeit weltweit etwa 11 Millionen Menschen im Jahr schwer erkranken. Vor allem in Südasien, Afrika südlich der Sahara und Südamerika finden sich viele Patienten. Ein besonders hohes Risiko für schwere Verläufe haben dabei Säuglinge.

Nepal ist eines der Länder mit verhältnismäßig hoher Prävalenz von Typhusinfektionen: 297 bis 449 Erkrankungen pro Jahr kommen auf 100.000 Einwohner (in Deutschland laut Robert Koch-Institut: 0,1 pro 100.000 Einwohner). In Nachbarländern wie Pakistan nimmt zudem die Anzahl an Infektionen mit gegen Antibiotika hochresistenten S. Typhi-Stämmen zu.

Für ihre Phase-3-Studie rekrutierten Shakya und ihre Kollegen ab Dezember 2017 gesunde Kinder und Jugendliche im Alter ab 9 Monaten aus der nepalesischen Großstadt Lalitpur und Umgebung, deren Eltern der Impfung zustimmten.

Die Hälfte der Teilnehmer (n = 10.005) erhielten den Konjugat-Impfstoff gegen Typhus (kurz TCV), der von Bharat Biotech International in Hyderabad (Indien) produziert und zur Verfügung gestellt wurde. Die andere Hälfte (n = 10.013) wurde als Kontrolle gegen Meningokokken A (MenA) geimpft. Weder Patienten noch Angehörige, Pfleger oder Ärzte wussten, welcher Impfstoff wem verabreicht wurde.

Initial sollte die Studie 2 Jahre dauern – oder solange, bis 45 Teilnehmer eine durch Blutkulturen bestätigte Typhus-Diagnose erhalten hatten. Bereits nach einem Jahr gab es 46 Fälle von Typhus, sodass die Ergebnisse jetzt schon (mit den Daten bis März 2019) analysiert und publiziert wurden. Das Follow-up läuft weiter.

4 von 5 Probanden gut geschützt

Von 45 Kindern und Jugendlichen, die im Zeitraum ab der 3. Woche nach der Impfung an Typhus erkrankt waren, gehörten 38 zur MenA-Gruppe. 7 Kinder stammten aus der TCV-Gruppe. Alle erholten sich von der Erkrankung.

Mit 0,07% Typhus-Patienten innerhalb der TCV-Gruppe gegenüber 0,38% in der MenA-Gruppe berechnen die Autoren: „Die protektive Effektivität der Typhus-Vakzine lag bei 81,6% (95%-KI: 58,8 bis 91,8; P<0.001).“

1.343 Teilnehmern wurde vor und nach der Impfung zudem Blut entnommen, um die Immunogenität zu überprüfen. „Bei der Rekrutierung hatten 268 von 849 Teilnehmern in der TCV-Gruppe (31,6%) und 122 von 460 Teilnehmern in der Meningokokken-A-Gruppe (26,5%) wahrnehmbare Vi IgG-Antikörper-Level”, informieren Shakya und Kollegen. „Die Serokonversion, also einen Antikörper-Titer, der sich binnen 28 Tagen nach der Impfung mehr als vervierfachte, erreichten 99,1% in der TCV-Gruppe und 2,1% in der Meningokokken A-Gruppe“.

Die unerwünschten Wirkungen beider Impfstoffe entsprachen einander weitgehend. Patienten bekamen in den ersten 7 Tagen nach Impfung vor allem Schmerzen an der Einstichstelle (je 6%), fühlten sich allgemein unwohl (je 7%) oder hatten Fieber (je 5%). Auch Übelkeit, Appetitlosigkeit und Erbrechen kamen vor (je unter 2%). 17 Kinder (davon 10 in der MenA-Gruppe) entwickelten binnen 4 Wochen, 121 Kinder binnen 6 Monaten ein schweres Ereignis wie Pneumonie, Pyrexie oder Infektion der unteren Atemwege.

Weitere Analysen laufen

Mit seiner hohen Wirksamkeit und mit eher geringen Risiken wäre der Konjugat-Impfstoff vermutlich auch für Reisende interessant. „Bisher ist er aber nur für Länder gedacht, in denen er dringend benötigt wird“, betont Kobbe.

Weitere Studien laufen aktuell unter anderem in Bangladesch und Malawi. Kobbe gibt zu bedenken, dass vor allem interessant wäre, zu erfahren, ob der Impfstoff auch das S. Typhi-Reservoir bekämpfen kann, das manche nach ihrer Erkrankung zurückbehalten. Bisher bleiben 2 bis 5% aller an Typhus Erkrankten ein Leben lang asymptomatische Überträger. „Wenn diese Trägerschaft komplett unterbunden werden könnte, könnte das die Inzidenz weltweit beeinflussen“, so Kobbe.

In ihrem Kommentar zur Studie weisen Dr. Florian Marks und Dr. Jerome H. Kim aus dem International Vaccine Institute, Seoul, South Korea darauf hin, dass die laufenden und die nächsten Studien weitere Fragen beantworten müssen, zum Beispiel zur Herdenimmunität und Kosteneffektivität [2]. „Wenn weitere Studien diese Resultate unterstützen und ausweiten“, stelle sich die Frage, „wie kann eine korrespondierende Reduktion der Typhus-Last und der Todesfälle am effizientesten erreicht werden“, schreiben sie.

Typhus abdominalis ist in Deutschland selten geworden, die meisten Patienten mit einer solchen Diagnose haben sich auf Reisen mit S. Typhi infiziert. Das Prodromalstadium beginnt mit unspezifischen Symptomen wie Kopf- und Gliederschmerzen sowie teilweise erhöhter Körpertemperatur.

Ohne Behandlung kommt es nach 2 bis 3 Tagen zu Fieber über 39°C, verbunden mit ausgeprägtem Krankheitsgefühl (u.a. zu Somnolenz bzw. zu wenig charakteristischen Abdominal-Beschwerden). Das Fieber bleibt bis zu 3 Wochen bestehen.

Zunächst entwickeln einige Patienten eine Verstopfung, später sind es meist breiige Durchfälle. Hellhäutige Patienten bekommen zudem bisweilen rote, stecknadelkopfgroße Hauteffloreszenzen ohne Juckreiz, zumeist an der Bauchhaut. Auch eine relative Bradykardie kann vorkommen.

Zu den Komplikationen zählen Darmblutungen und -perforationen mit Peritonitis, nekrotisierende Cholezystitis, thromboembolische Ereignisse, Osteomyelitis, Endokarditis und Meningitis. Bei Säuglingen kommt es häufiger zu Komplikationen.

Erkrankte sollten mit Antibiotika und in mittleren bis schwereren Fällen in Krankenhäusern behandelt werden.

Da S. Typhi in Endemie-Gebieten vor allem über verunreinigtes Trinkwasser übertragen wird, empfiehlt sich zum Schutz das Abkochen von Wasser, das Erhitzen oder Schälen von Früchten, Gemüse etc.. Für Reisende im Alter von über 2 Jahren stehen derzeit ein oraler Lebendimpfstoff und ein parenteral zu verabreichender Impfstoff aus hochgereinigtem Vi-Antigen zur Verfügung.

Quelle: Robert Koch-Institut 2008

 

Kommentar

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