Verdirbt Präsident Donald J. Trump dem amerikanischen Ärztenachwuchs regelmäßig die Stimmung? Bringt er dadurch indirekt Patienten in Gefahr? Solche Schlussfolgerungen lässt die diesjährige Weihnachtsausgabe des British Medical Journal zu, die sich ernster und weniger launig als in den Vorjahren präsentiert [1].
Dr. Elena Frank vom Molecular and Behavioral Neuroscience Institute der University of Michigan in Ann Arbor analysierte mit Kollegen die Befindlichkeit von 2.345 Medical Interns, also von Ärzten im ersten Praktischen Jahr nach dem Studium, im Zeitraum um wichtige politische Ereignisse.

Dr. Peter Niemann
Sie wählten 9 politische und zum Vergleich 9 unpolitische Ereignisse, die Schlagzeilen machten. Das Ergebnis: „Das gravierendste Stimmungstief beobachteten wir nach den Präsidentschaftswahlen 2016“, berichten Frank und ihr Team, „hinzu kamen statistisch signifikante Stimmungsverschlechterungen auch nach der Amtsübernahme von Trump im Januar 2017.“ Ärztinnen reagierten dabei heftiger als ihre männlichen Kollegen.
Der Internist, Geriater und Integrativmediziner Dr. Peter Niemann, der sowohl in Deutschland als auch in Minneapolis/USA praktiziert, nennt die Studie „innovativ, kreativ und eine tolle Idee“.
In Sorge müsse auch im kommenden Wahljahr dennoch kein Arzt und kein Patient leben: „Erstens ist die Conclusio breiter zu fassen, als in der Studie bisher geschehen. Zweitens hat die Regierung Trump für das Gesundheitssystem zwar bisher keinen großen Wurf geschafft, aber auch keine Katastrophe ausgelöst.“
Dass es für Ärzte bergab gehe, davon sei auch im Falle einer Wiederwahl Trumps nicht auszugehen. Zudem gebe es derzeit keine Hinweise darauf, dass Mediziner infolge der Wahlergebnisse tatsächlich depressiv geworden wären – was tatsächlich negative Auswirkungen auf die Versorgung von Patienten haben könnte, wie andere aktuelle Studienergebnisse nahelegen.
Was drückt nieder und warum?
Die Publikation in der BMJ-Weihnachtsausgabe ist die neueste Analyse der Datensätze, die im Rahmen der prospektiven Kohortenstudie Intern Health Study der University of Michigan erhoben werden. Tausende von jungen Ärzten im ersten Klinikjahr nach dem Studium geben unter anderem in einer Smartphone-App an, wie sie sich fühlen – jeden Tag, und zwar auf einer Skala von 0 bis 10. Studiendirektorin Frank und ihre Kollegen wollen so unter anderem Prädiktoren für psychische Erkrankungen bei Ärzten identifizieren.
Für den Zeitraum 2016 bis 2018 werteten die Studienautoren Daten von 2.345 Medical Interns aus, davon 55% weiblich. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden lag bei 27 Jahren. Berechnet wurde das Verhältnis der Stimmung jeweils in der Woche nach 9 politischen Großereignissen zur Stimmung im Vorfeld dieser Ereignisse. Erfasst wurden zum Beispiel:
die Präsidentschaftswahl 2016,
die Midterm Elections 2018,
das Einreiseverbot für Menschen aus mehrheitlich islamischen Ländern 2017.
das Scheitern der Finanzierung des Mauerbaus in Mexiko 2018.
Zum Vergleich hinterfragten die Autoren die Stimmung nach Großereignissen ohne politischen Hintergrund, unter anderem
Super Bowl 2017,
die Sonnenfinsternis 2017,
Hurricane Irma 2017,
die Hochzeit von Prinzessin Meghan und Prinz Harry 2018.
Das Kernergebnis: Nach 6 der politischen Weichenstellungen veränderten sich die Werte signifikant, bei den nicht-politischen Großereignissen erreichte der Effekt hingegen nie Signifikanz.
Nach der Präsidentschaftswahl ermittelten die Wissenschaftler eine durchschnittliche Stimmungsveränderung von -0,32 (95%-KI: −0,45 bis −0,19, t=−4,73, p<0,001). Das entsprach in der Ausprägung dem Stimmungstief, das die befragtem Medical Interns nach Beginn ihrer klinischen Ausbildung durchlaufen hatten.
Nach dem Amtsantritt Donald J. Trumps betrug die durchschnittliche Veränderung der Stimmung −0,25 (95%-KI:−0,37 bis −0,12, t= −3,93, p=0,001).
Was dahinterstecken könnte
Frank und ihr Team formulieren die Kernergebnisse ihrer Untersuchungen wie folgt: „Diese Ergebnisse signalisieren, dass Politik und Wirtschaft in der heutigen Ära mit der Medizin auf starke Weise interagieren und dass wir die Auswirkungen auf junge Ärzte und ihre Patienten sorgfältig prüfen sollten.“
Während sie die Ärzte nicht so drastisch beeinflussten wie posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), könnten „diese emotionalen Aufs und Abs nichtsdestotrotz die mentale Last der jungen US-Ärzte erhöhen, die ohnehin ein hohes Stresslevel und ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen haben.“
Darüber hinaus zeigten die Studienergebnisse: Junge Mediziner in den USA sehen sich zunehmend als liberal, was Gender, ethnische Herkunft und Nationalität angeht.
Auch Niemann hält es für realistisch, „dass politische Entscheidungen beziehungsweise Ereignisse sich direkt auf die psychische Verfassung der Erstjahres-Assistenzärzte niederschlagen. Doch es ist auch davon auszugehen, dass die Polarisierungstendenzen in den Medien und innerhalb von Kliniken auf die Psyche einwirken.“
Um das auszuschließen, betont er, hätten die Autoren die Analyse um Faktoren wie politische Präferenzen der Oberärzte sowie die Mediennutzung der Medical Interns bereinigen müssen.
Für Medical Interns in den USA gilt zudem stärker als für den Ärztenachwuchs in Deutschland:
Oberärzte zeigen ihre politische Gesinnung und verlangen von ihren Untergebenen, dieselbe Partei zu favorisieren;
die Klinik zu wechseln, wenn es menschlich nicht passt, ist kompliziert;
nach dem langen, teuren Studium sind Assistenzärzte hochverschuldet.
Das macht laut Niemann Situationen wie diese möglich: „Ein Assistenzarzt fühlt sich gezwungen, politisch erst seinem demokratischen und danach seinem republikanischen Oberarzt recht zu geben, er verbiegt sich also regelmäßig.“ Dass solch eine Schauspielleistung Stress bedeutet und die Stimmung niederdrückt, liegt auf der Hand.
Niemann berichtet über seine Eindrücke um die letzte Präsidentschaftswahl herum: „Die Beobachtungen innerhalb der Studien decken sich fast unisono mit meinen eigenen. Trumps Wahl, seine Inauguration wie auch viele seiner politischen Entscheidungen führten zu internem Zwist und Polarisierung in der Ärzteschaft und damit verbunden negativen Gefühlen, zum Teil sogar Wut und Tränen.“
Mit Negativem rechnen und dann das Positive betrachten
Niemann prognostiziert: „Donald J. Trump wird 2020 erneut gewinnen. Natürlich kann ich falsch liegen, doch das Amtsenthebungsverfahren wird scheitern, die Wirtschaft wird nicht einbrechen und Trump wird keinen neuen Krieg anzetteln.“
Vor der Wahl können alle, die unter der aufgeheizten Stimmung leiden, sich in Gelassenheit üben. Niemanns Tipps lauten: „Die besten Ratschläge, die ich dazu habe, sind: Auch Donald Trump wird einmal wieder weg sein. Man soll die, wenn auch nicht unbedingt zahlreichen, positiven Aspekte seiner Präsidentschaft sehen.“
Als Lichtblicke nennt Niemann die Bemühungen des amtierenden Präsidenten, die Opiatkrise zu beenden, überzogene Pharmapreise zu senken und Orphan Drugs schneller einsetzbar zu machen. „Schlussendlich sollte man nie vergessen“, so Niemann, „dass wir als Ärzte das große Privileg haben, Menschen helfen zu können und diese Menschen genauso unsere Hilfe brauchen, vielleicht sogar verstärkt, wenn Trump erneut Präsident geworden ist beziehungsweise werden sollte.“
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: BMJ-Weihnachtsausgabe zu US-Wahlen und Ärzte-Gesundheit: Trump verursacht bei jungen Medizinern Stimmungstiefs - Medscape - 17. Dez 2019.
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