Eine retrospektive Studie aus den USA hat Daten der letzten 20 Jahre zu Kopf- und Nackenverletzungen mit Beteiligung von Handys analysiert [1]. Die Tendenz war allgemein steigend, zeigte aber die stärkste Zunahme parallel zum Anstieg der sprunghaften Verbreitung von Smartphones in den Jahren 2009 bis 2015. Die Altersgruppe von 14 bis 30 Jahren war überdurchschnittlich oft betroffen, sowohl beim Autofahren als auch beim Zu-Fuß-Gehen.
Aufgrund ihrer Untersuchung fordern die Autoren um Dr. Boris Paskhover, Abteilung Hals-Nasen-Ohren- und Nacken-Chirurgie der Rutgers New Jersey Medical School, Newark, USA, eine vermehrte Aufklärung über allgemeine Unfallrisiken in Verbindung mit Smartphones. Dabei geht es ihnen hauptsächlich um Gefahren durch Ablenkung durch Verfassen und Lesen von Textbotschaften, aber auch von Videos oder Spielen auf dem Smartphone.
Die Autoren nutzten für ihre Analyse eine Datenbank zur Konsumentensicherheit (NEISS), die Daten aus Notaufnahmen von 100 Kliniken, verstreut über die gesamten USA, zur Verfügung stellte. Etwa 5% der dort dokumentierten Fälle bezogen sich auf Verletzungen von Kopf oder Hals im Zusammenhang mit der Nutzung eines Handys. Hochgerechnet auf die gesamten USA ergaben sich in diesen 20 Jahren 76.000 entsprechende Fälle.
Verletzungshäufigkeit nach 6 Altersgruppen unterschieden
Die Anzahl solcher, von den HNO-Fachautoren in ihre Analyse einbezogenen Dokumentationen betrug von Anfang 1998 bis Ende 2017 insgesamt 2.501 Fälle. Darunter waren:
16% Kinder bis 13 Jahren,
40% Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29,
21% Erwachsene zwischen 30 und 49,
10% Ältere zwischen 50 und 64 sowie
13% Senioren über 65 Jahren.
Somit erlitten Menschen zwischen 14 und 29 Jahren deutlich häufiger Kopf- oder Halsverletzungen als alle anderen Altersgruppen: je nach verglichener Altersgruppe um das etwa 2,3- bis 4-Fache.
In dieser Altersgruppe war auch der Zusammenhang zwischen einer Kopfverletzung und der Ablenkung durch ein Handy während der Fahrt oder des Gehens oder unabhängig von der Art der Fortbewegung durch das Eintippen einer Textnachricht mit etwa 60% am größten. Allerdings lag der dazu berechnete Cramer V-Wert bei 0,29, was statistisch nur einem schwachen Zusammenhang entspricht.
Was bedeutet Cramer V?
Cramer V ist ein statistischer Koeffizient, der die Unterschiede zwischen den beobachteten und den im Fall von Unabhängigkeit zu erwartenden Häufigkeiten aufzeigt und immer zwischen 0 (Unabhängigkeit) und 1 (eindeutiger Zusammenhang) liegt:
Dabei bedeutet ein Wert von 0,1 bis 0,3 einen schwachen,
Werte von 0,4 bis 0,5 einen mittleren und
Werte über 0,5 einen starken Zusammenhang.
Da Cramer V immer positiv ist, kann keine Aussage über die Richtung des Zusammenhangs getroffen werden.
40% der 2.501 dokumentierten Fälle waren im häuslichen Umfeld passiert, lediglich 18% auf öffentlichen Straßen und etwa 10% in anderen öffentlichen Bereichen. Allerdings fehlte bei einem Drittel der Fälle die Angabe, wo sich der Unfall ereignet hatte.
Die meisten Kopfverletzungen verliefen glimpflich
94% der Fälle von Kopf- und Halsverletzungen zeigten einen leichten Verlauf: Die Patienten wurden aus der Notaufnahme direkt entlassen, eine stationäre Aufnahme war nicht notwendig.
Platzwunden waren mit 26% der Fälle die häufigste dokumentierte Verletzung,
gefolgt von Prellungen und Schürfwunden mit je 25% und
inneren Verletzungen mit 18%, wozu hauptsächlich Gehirnerschütterungen zählten.
Aus den Unfallbeschreibungen dieser Krankenakten entschieden die Autoren für jeden der 2.501 Fälle, ob die Verletzung entweder mechanisch durch das Handy selbst (etwa, wenn ein Handy gegen den Kopf schlug) oder durch andere Umstände (hauptsächlich Ablenkung durch die Handy-Nutzung) erfolgt war. Waren sich 2 der Autoren uneinig in ihrer Beurteilung, zogen sie einen 3. hinzu.
Mit Zunahme der Smartphones stieg auch die Unfallrate
Bis ins Jahr 2008 ermittelten die Autoren auf diese Art mehr rein mechanische Verletzungen. Ab 2009, also mit der steigenden Verbreitung der Smartphones, nahmen nicht nur beide Verletzungstypen stark zu, sondern die Ablenkung durch das Handy als Ursache überwog seitdem die rein mechanisch bedingten Verletzungen. So zählten die Autoren in 2017 4-mal so viele mechanische und 5-mal so viele ablenkungsbedingte Verletzungen wie in 2009.
Die Anzahl stieg dabei von etwa 9 Fällen (in 2007) auf etwa 30 Fälle (in 2016), jeweils pro 1 Million Patientenjahre. Diese steigende Tendenz wird auch dadurch deutlich, dass in der gesamten 2. Dekade der betrachteten 20 Jahre etwa viermal so viele Fälle dokumentiert wurden wie in der 1. Dekade von Anfang 1998 bis Ende 2007.
Weitere Zusammenhänge zwischen Altersgruppen und Verletzungstypen gab es bei den Jüngsten bis 13 Jahren und den Ältesten über 65 Jahren: Bei den Jüngsten herrschten rein mechanische, bei den Ältesten ablenkungsbedingte Verletzungen vor. Allerdings lag der dazu berechneten Cramer V-Wert bei 0,31 bzw. 0,29. Andere Zusammenhänge ließen sich nicht nachweisen.
Den hohen Anteil an mechanisch bedingten Verletzungen bei den Jüngsten erklären die Autoren damit, dass Eltern, Geschwister oder auch Kinder sich selbst unabsichtlich mit Handys, insbesondere den schwereren Smartphones, am Kopf verletzen können. Auf den erhöhten Anteil der ablenkungsbedingten Verletzungen bei den Ältesten gehen die Autoren nicht weiter ein.
Als Fazit nennen die HNO-Fachärzte um Paskhover die Notwendigkeit, die Verletzungsgefahren durch Smartphone-Nutzung weiterhin zu dokumentieren und die Öffentlichkeit insbesondere für die Risiken der dadurch bedingten Ablenkung im Alltag zu sensibilisieren.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Smartphones im Straßenverkehr: Für 14- bis 29-Jährige das größte Risiko, sich ablenken zu lassen - Medscape - 12. Dez 2019.
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