Freudlosigkeit ist keine typische Alterserscheinung – Depressionen im Alter werden noch häufig unterschätzt

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

12. Dezember 2019

Depressionen im Alter werden in der Öffentlichkeit massiv unterschätzt – das zeigt das jetzt veröffentlichte Deutschland-Barometer Depression [1]. Befragt wurden 5.350 Personen zwischen 18 und 79 Jahren. 83% der Befragten glauben, dass Depressionen am häufigsten im jungen und mittleren Erwachsenenalter auftreten. Das hat auch damit zu tun, dass Stress (97%) und Belastung am Arbeitsplatz (95%) nach Ansicht vieler die Hauptursachen einer Depression sind.

 
Bei Senioren wird die Depression noch häufiger als bei jüngeren Menschen übersehen. Prof. Dr. Ulrich Hegerl
 

Weil berufsbezogene Aspekte bei Senioren weniger bedeutsam sind, wird die Erkrankung bei alten Menschen auch als weniger relevant eingestuft. Nur 45% der Befragten wussten, dass eine Depression auch eine Erkrankung des Gehirns ist, die jeden treffen kann – auch alte Menschen.

„Bei Senioren wird die Depression noch häufiger als bei jüngeren Menschen übersehen. Depressive Symptome wie Hoffnungs- und Freudlosigkeit, Schlafstörungen oder Erschöpfungsgefühl werden oft nicht als Ausdruck einer eigenständigen schweren Erkrankung gesehen, sondern als nachvollziehbare Reaktion auf die Bitternisse des Alters oder als Folge körperlicher Erkrankungen fehlinterpretiert“, warnt Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, laut einer Pressemitteilung der Stiftung.

Diese Fehleinschätzung führe auch dazu, dass gerade Senioren häufig falsch oder eben gar nicht behandelt würden. Dies trage zu drastisch erhöhten Suizidraten im Alter bei.

Älteren Menschen wird viel zu selten eine Psychotherapie angeboten

Wie stark Depressionen bei älteren Menschen unterschätzt werden, wird auch deutlich, wenn man sich die Datenlage anschaut, bestätigt Prof. Dr. Susanne Zank, Lehrstuhlinhaberin für Rehabilitationswissenschaftliche Gerontologie an der Universität Köln und im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie.

„Älteren Menschen wird kaum Psychotherapie verschrieben, da sieht es ziemlich finster aus. Und die Daten, die wir zu Antidepressiva bei älteren Menschen haben zeigen: Auch Antidepressiva werden älteren Patienten mit Depressionen zu selten verschrieben“, erklärt Zank im Gespräch mit Medscape.

 
Älteren Menschen wird kaum Psychotherapie verschrieben, da sieht es ziemlich finster aus. Prof. Dr. Susanne Zank
 

So zeigten beispielsweise Abrechnungsdaten der Krankenkassen im Jahr 2016, dass nur 5% der Über-65-Jährigen, bei denen eine Depression diagnostiziert wurde, sich in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befanden.

86% der Befragten glauben, dass es älteren Menschen schwerer fällt, sich bei Depression Hilfe zu suchen. So meinen 71%, dass Ältere weniger bereit sind, eine Psychotherapie zu beginnen.

Und tatsächlich waren 31% der an Depression erkrankten Befragten zwischen 30 und 69 Jahren in psychotherapeutischer Behandlung, bei den Erkrankten über 70 Jahren waren es nur 12%.

An der Unwilligkeit der Älteren liegt das aber nicht: 64% der befragten Menschen über 70 wären nach eigenem Bekunden bereit, eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. „Älteren Menschen wird viel zu selten eine Psychotherapie angeboten. Sie werden im Versorgungssystem eindeutig benachteiligt“, erklärt Hegerl.

22% der Befragten meinten, dass bei Älteren die Behandlung körperlicher Erkrankungen wichtiger ist, 17%, dass die Ressourcen des Gesundheitssystems lieber für die Behandlung jüngerer Patienten mit Depression ausgegeben werden sollten. „Die Behandlung der depressiven Erkrankung ist bei älteren Patienten aber ebenso wichtig wie bei jüngeren Menschen“, stellt Hegerl klar.

Dass gerade alten Menschen selten Psychotherapie verordnet wird, könnte auch daran liegen, dass geglaubt wird, Psychotherapie sei bei alten Menschen weniger effektiv, meint Zank. Die Studienlage zeige aber das Gegenteil: „Gerade die Kombination aus Antidepressiva und Psychotherapie ist bei älteren Menschen sehr effektiv, bei leichteren Depressionen reicht auch eine Psychotherapie allein“, betont Zank.

Altersstereotyp des niedergeschlagenen alten Menschen stimmt so nicht

Dass Depressionen bei alten Menschen unterschätzt werden, hat im Wesentlichen 2 Ursachen.

Der klassische Ansprechpartner für ältere Menschen ist der Hausarzt. „Doch Patienten, die zum Hausarzt gehen und eigentlich an einer Depression leiden, klagen häufiger über somatische Probleme wie Magenschmerzen oder Kopfschmerzen als eben darüber, wie schlecht es ihnen psychisch geht oder dass sie am liebsten gar nicht mehr das Bett verlassen würden.“

Dass Patienten, die an Depressionen leiden, körperliche Probleme in den Vordergrund rücken, ist nicht ungewöhnlich – „bei alten Patienten ist das aber noch deutlich ausgeprägter“, erklärt Zank und fügt hinzu: „Da muss ich die Hausärzte in Schutz nehmen.“

 
Ältere Menschen … werden im Versorgungssystem eindeutig benachteiligt. Prof. Dr. Ulrich Hegerl
 

Hinzu kommt das Altersstereotyp: „Dass man niedergeschlagen ist, wird bei älteren Menschen als normal angesehen, zumal das Alter eine Zeit ist, die verstärkt Verluste mit sich bringt. Wer seinen Ehepartner verliert, trauert und ist niedergeschlagen.“ Doch eine manifeste Depression unterscheidet sich von Trauer ganz erheblich.

Altersspanne zwischen 60 und 100 differenziert betrachten

Aufklärung über Depression und Suizidprävention für ältere Menschen ist deshalb besonders wichtig, bestätigt Hegerl: „Wenn das persönliche Umfeld Depression als Reaktion auf die Bitternisse des Alters und nicht als eigenständige, behandelbare Erkrankung auffasst, dann werden die betroffenen Senioren nicht auf dem Weg in eine professionelle Behandlung unterstützt. Das ist aber entscheidend, da sie oft zu erschöpft und hoffnungslos sind, um sich selbst Hilfe zu organisieren.“

„Wir müssen uns von dem Altersstereotyp verabschieden, dass es normal ist, im Alter ständig niedergeschlagen zu sein“, betont Zank. Das müsse viel starker kommuniziert werden. Dazu gehört auch, das Alter differenziert darzustellen.

 
Wir müssen uns von dem Altersstereotyp verabschieden, dass es normal ist, im Alter ständig niedergeschlagen zu sein. Prof. Dr. Susanne Zank
 

„Die Altersspanne zwischen 60 und 100 ist eine sehr lange Zeit“, so Zank. Kein Mensch käme auf die Idee, einen 2-Jährigen mit einem 42-Jährigen gleich zu setzen, entsprechend müsse auch die Altersspanne zwischen 60 und 100 differenziert betrachtet werden.

„Die Altersspanne bis 80, 85 weist eine sehr gute Bilanz auf. Die heute 70-Jährigen sind körperlich und auch mental deutlich jünger als noch vor 20 Jahren. Ab 80, 85 Jahren nehmen die Erkrankungen zwar zu, aber es gibt eine große Diversität. Leider wird das so gut wie nicht berücksichtigt“, sagt die Gerontologin.

Es gebe nicht nur viel zu wenige gerontologische Fortbildungen für Hausärzte, auch Psychologen beispielsweise hörten in ihrem Studium nur sehr wenig zu Geronto-Psychologie, im Medizinstudium sei das ähnlich. „Das ist absurd, denn die Hausarztpraxen sind ja voll mit alten Menschen.“
 

Kommentar

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