Was darf der Notfallsanitäter am Unfallort? Neues Gesetz soll Rechtsunsicherheit beheben, geht aber manchem Arzt zu weit

Christian Beneker

Interessenkonflikte

11. Dezember 2019

Der Bundesrat will Notfallsanitäter vom bekannten Heilkundevorbehalt ausnehmen und ihnen per Notfall-Sanitäter-Gesetz (NotSanG) in lebensbedrohlichen Situationen auch ärztliche, invasive Maßnahmen am Unfallort erlauben [1].

Bisher dürfen nur Ärzte beispielsweise Venenzugänge oder gar eine Thoraxdrainage legen, nicht aber Notfallsanitäter. Denn der Heilkundevorbehalt im Heilpraktiker-Gesetz (§ 1 und § 5) verbietet nichtärztlichen Berufsgruppen derartige Eingriffe. Doch Sanitäter machen solche Prozeduren – der Not gehorchend und rechtlich nur schwach abgesichert – trotzdem.

Das hat Folgen: Derzeit befindet sich jeder Notfallsanitäter in einem Dilemma. Handelt er im Zweifel nicht mit invasiven Maßnahmen, nimmt sein Patient vielleicht Schaden, und der Sanitäter selbst macht sich wegen unterlassenen Hilfeleistung schuldig oder gar wegen Körperverletzung.

Handelt er trotz Verbotes durch den Heilkundevorbehalt, hilft er zwar dem Patienten, begibt sich aber auf rechtlich dünnes Eis. Denn weil er tut, was er eigentlich nicht darf, muss er sich nun auf den so genannten rechtfertigenden Notstand aus § 34 des Strafgesetzbuches (StGB) berufen, um der Strafbarkeit zu entkommen. In der Paragrafen geht es um das Recht zur Gefahrenabwehr.

„Dies ist eine rechtliche Konstruktion, die bei den Durchführenden des Rettungsdienstes und ihren Mitarbeitern (Notfallsanitätern) erhebliche Rechts- und damit auch Handlungsunsicherheit bei einer heilkundlichen Tätigkeit (…) zur Folge hat“, heißt es vom Bundesrat. Eine Ausnahme vom Heilkundevorbehalt würde Sanitäter vom Dilemma befreien.

Notärzte: Art und Dauer der Behandlung durch Sanitäter beschränken

Nicht alle Experten sind überzeugt. So übt der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND), Notarzt Dr. Florian Reifferscheid, Kritik am Gesetzesvorhaben. Zwar begrüßt er die Rechtssicherheit von Notfallsanitätern. Aber er möchte ihnen die erweiterten Leistungen nicht grundsätzlich und vollständig erlauben.

 
Mancher Sanitäter wurde, nachdem er sich auf den rechtfertigenden Notstand berufen hatte, von seinem Arbeitgeber entlassen. Marco König
 

Denn bei bestimmten Prozeduren hätten Notfallsanitäter viel zu wenig Routine, etwa um eine Reanimation vorzunehmen oder einen Patienten mit Spannungspneumothorax zu versorgen, sagt Reifferscheid gegenüber Medscape.

Zwar weiß auch der Notarzt, dass viele der umstrittenen Maßnahmen bereits im so genannten „Pyramidenprozess“ definiert wurden und als solche im NotSanG (§4, Abs. 2, Nr. 1C) seit 5 Jahres festgelegt sind. Allerdings ist das NotSanG nur ein Ausbildungsgesetz und berechtigt Sanitäter nicht direkt. Es zeigt nur, dass sie auch Dinge lernen, die sie nur unter dem Schutz des rechtfertigenden Notstandes straffrei tun.

Als Lösung sieht die BAND: „Wir wollen die Zahl invasiver Behandlungen am Unfallort begrenzen und ebenso die Zeit, in der sie angewandt werden dürfen“, sagt Reifferscheid gegenüber Medscape. „Die dann genau umrissenen erweiterten Maßnahmen dürften dann nur so lange vorgenommen werden, bis der so schnell wie möglich herbeigerufene Notarzt da ist.“

Reifferscheid hat auch die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und den Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) auf seiner Seite. In einer gemeinsamen Stellungnahme warnen sie davor, vom Arztvorbehalt abzuweichen.

Notfallsanitäter: Rechtliche Unsicherheit muss ein Ende haben.

Auch Marco König, Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst (BDRD), meldet sich zu Wort. Tatsächlich sei das Dilemma der Notfallsanitäter derzeit Alltag. „Diese schwierigen Situationen sind nicht die Ausnahme, sondern kommen täglich viele tausendmal in Deutschland vor“, erklärt König.

 
Wir wollen die Zahl invasiver Behandlungen am Unfallort begrenzen und ebenso die Zeit, in der sie angewandt werden dürfen. Dr. Florian Reifferscheid
 

Darum begrüßt er den Bundesratsentwurf. Denn der rechtfertigende Notstand sei ein Ausnahmetatbestand wie beim finalen Rettungsschuss, argumentiert König, also kein Fall für den Rettungsalltag.

Zwar sei es noch nie zu einer Verurteilung eines Notfallsanitäters gekommen. „Aber mancher Sanitäter wurde, nachdem er sich auf den rechtfertigenden Notstand berufen hatte, von seinem Arbeitgeber entlassen“, berichtet König. Diese auch arbeitsrechtliche Unsicherheit müsse ein Ende haben.

Wie Reifferscheid, stellt auch König die Kompetenz der jeweils anderen Seite in Frage. Reifferscheid argumentiert: Notärzte haben nach 6 Jahren Studium und 2 Jahren für die Zusatzbezeichnung „eine zwangsläufig fundiertere Ausbildung als die Notfallsanitäter.“

König dagegen pocht auf die Routine von Notfallsanitätern und den Umstand, dass die wenigsten Notfalleinsätze einen Notarzt erfordern. Zudem hält er 16 Stunden für den Erste-Hilfe-Kurs im Medizinstudium, 80 Stunden Notfallkurs und 50 Fahrten auf dem Rettungswagen, die Notärzte für ihre Ausbildung brauchen, nicht für ausreichend, „um draußen, wo sie auf sich allein gestellt sind und keiner mehr weiter weiß, alles glattziehen können“, so König gegenüber Medscape.

Substitution oder Delegation?

Hinter dem Zwist steht die Debatte um eine grundsätzliche Frage: die Substitution bzw. Delegation ärztlicher Leistungen. „Wir wollen die Delegation der Leistungen beibehalten, das macht es für alle sicherer“, sagt Reifferscheid.

König argumentiert, dass die Notfallsanitäter den Ärzten keine Leistungen wegnehmen würden, die nur von Ärzten gemacht werden können. „Wir wollen ja keine Luftröhrenschnitte machen oder Narkosen“, sagt König. Wären im Übrigen Notfallsanitätern erweiterte Maßnahmen verboten, „dann müsste bei jedem zweiten Einsatz der Notarzt mitfahren“, sagt König.

Er fordert deshalb Nägel mit Köpfen. „Konsequent wäre es, neben dem Notfallsanitätergesetz auch das Heilpraktikergesetz und das Betäubungsmittelgesetz zu novellieren“ – und hier die Berechtigung der Notfallsanitäter zu verankern, meint König. „Schließlich müssen wir auch manchmal die potenten Schmerzmedikamente geben.“

Wie dem auch sei. Wegen der Debatte will die Bundesregierung nun ein Fachgespräch der beiden streitenden Seiten initiieren. „Die Bundesregierung hält (…) einen Dialog zwischen den Beteiligten, in den auch Expertinnen und Experten eingebunden werden sollten, mit dem Ziel einer für alle Seiten tragfähigen Lösung für sinnvoll und angemessen“, heißt es in einer Stellungnahme, die die Bundesregierung als Anlage zu dem Gesetzentwurf beim Bundestag abgelegt hat. „Das Bundesministerium für Gesundheit erklärt sich bereit, einen solchen Dialog zu initiieren.“
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....