Berlin – Das Erlebnis einer „ozeanischen Selbstentgrenzung“ durch eine hohe Dosis Psilocybin spült die Symptome einer Major Depression fort – und das für mehrere Monate: Das klingt geradezu nach Magie. Nicht ohne Grund werden wohl die Pilze, die den halluzinogenen Wirkstoff enthalten, auch „Magic Mushrooms“ genannt.
Psychedelische Substanzen wurde bereits in den 50er und 60er Jahren u.a. als Therapeutika gegen Depressionen erprobt. In den 70ern dann verboten, erlebt Psilocybin nun, neben anderen Psychedelika, eine Renaissance. Auf dem Symposium „Psychedelika bei psychiatrischen Erkrankungen – Hype oder Hoffnung“ beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) war eine gewisse Euphorie angesichts der bisherigen Forschungsergebnisse nicht zu überhören.
Ist gegen Depressionen, Ängste, Zwänge, Süchte ein Pilz gewachsen?
Von den psychedelischen Substanzen, zu denen beispielsweise auch Mescalin, LSD, Ketamin und MDMA (Ecstasy) gehören, wird momentan am meisten zu Psilocybin geforscht. Prof. Dr. Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim stellte einige Studien vor.
Weltweit Aufsehen erregte 2016 eine britische Studie. Nach Gabe von 10 mg und nochmals 25 mg Psilocybin im Abstand von 7 Tagen waren von 12 Patienten mit moderater bis schwerer therapieresistenter Depression 5 Patienten in Remission und das auch noch nach 3 Monaten. In einer weiteren Studie aus 2018 mit vergleichbarem Setting konnten die Forscher zeigen, dass eine Remission auch noch 6 Monate nach der Behandlung anhielt.
Wie stark die depressiven Symptome in den Studien zurückgingen, hing dabei mit der Qualität der akuten psychedelischen Wirkung – oder anders ausgedrückt – mit der Intensität der spirituellen Erfahrung zusammen.
Doch nicht nur bei schweren Depressionen scheint Psilocybin seine magische Wirkung zu entfalten. So ergaben Studien an Patienten mit terminaler Krebs-Erkrankung, dass auch bei diesen Patienten Depression und Angst noch 6 Monate nach der Behandlung signifikant verringert waren.
Trotz dieser beeindruckenden Ergebnisse gab Gründer aber zu bedenken, dass man nun erst einmal abwarten müsse, was größere doppelblinde Studien ergeben würden.
Auch mit anderen psychedelischen Substanzen konnten bereits beachtliche Therapie-Erfolge erzielt werden. Eine Studie mit Ecstasy aus dem Jahr 2018 führte bei Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung zu signifikant reduzierten Symptomen – auch noch ein Jahr nach einer Einmaldosis.
Weiter Anwendungsgebiete, die teilweise schon in kleineren Studien untersucht werden, sind Zwangsstörungen und Suchterkrankungen.
Wie wirken Psilocybin und Co auf die Psyche?
Auch wenn die Ergebnisse scheinbar an Magie grenzen – einiges wissen die Forscher inzwischen schon über die Wirkungsweise. Psilocybin etwa wird zunächst in der Leber zu Psilocin umgewandelt. Dieses agiert als 5-HAT2A-(Serotonin-)Rezeptor-Agonist.
Die psychedelischen Effekte von Psilocybin beginnen typischer Weise 30 bis 60 Minuten nach der Einnahme, erreichen ihren Peek nach etwa 1 Stunden und enden etwa 6 Stunden nach der Einnahme.
Besonders ausgeprägt sind bei Respondern eine spirituelle Erfahrung, ein glücksseliger Zustand, das Gefühl von Einheit mit der Welt, Einsicht und die Verringerung von Angst.
Prof. Dr. Franz X. Vollenweider, Universität Zürich, gilt in der wissenschaftlichen Community als der Mann mit den größten klinischen und wissenschaftlichen Erfahrungen mit Psychedelika in Europa. Er beschrieb, was Patienten erleben.
Diese sind hell wach, alle Sinne werden aktiviert. Bei niedrigen Dosen können Pseudo-Halluzinationen auftreten, bei höheren Dosen auch Halluzinationen. Die Substanzen verändern die Art, wie Affekte verarbeitet werden, den Denkprozess, die Stimmung und das Gefühl des Selbst.
„Das Wichtigste für die therapeutische Wirksamkeit ist diese ozeanische Entgrenzung“, betonte Vollenweider, „eine Auflösung der Ich-Umwelt-Abgrenzung.“
Die emotionale Empathie, das sich Hineinfühlen in andere nehmen zu. Und die Patienten nehmen wieder eine stärkere Beziehung zu ihrer Umwelt auf – ein Hinweis darauf, warum eine antidepressive Wirkung eintritt. Denn während einer Depression sind gerade ein verstärkter Fokus auf sich selbst und verarmte soziale Interaktionen typisch.
Dr. Henrik Jungaberle, MIND Foundation, Berlin, unterstrich diesen Effekt: „Wann hat man in der Psychologie schon eine Methode, um Persönlichkeitsfaktoren („Big 5“) – in diesem Fall Offenheit – langfristig zu verändern?“
Mögliche gegenteilige Effekte sind eine angstvoll erlebte Ich-Ablösung, ein gespaltenes Ich, Denkstörungen, Angst vor Verlust der Körperkontrolle, Panik und Paranoia. Die Dosis sei wichtig, betonte Vollenweider.
Warum schon eine einzige Dosis so langanhaltende Wirkung haben kann, ist noch nicht genau bekannt, aber es gibt Hinweise. Vollenweider verwies darauf, dass diese Substanzen die Synaptogenese nachweislich verändern würden.
Psychotherapeutische Begleitung
Die bisherigen Settings für die Therapie mit psychedelischen Substanzen bewegen sich zwischen ausschließlicher Gabe der Substanz in einem entspannter Umgebung, eventuell mit Musik, bis hin zu einer begleitenden Verhaltens- oder tiefenpsychologischen Therapie, wie Dr. Michael Koslowski von der Berliner Charité erläuterte.
Zum „Standard-Protokoll“ in Studien gehört seit dem Jahr 2000 eine nicht-klinische, angenehme Umgebung, der Patient trägt eine Schlafmaske, um die Introspektion zu fördern, es gibt entspannende Musik. Eine minimale Psychotherapie von wenigen Sitzungen bereitet die eigentliche Substanz-Sitzung vor und nach. Während der Substanz-Sitzung sind ein Therapeut und eine Therapeutin anwesend, um auch in schwierigen Situationen individuell auf den Patienten eingehen zu können.
Angesichts möglicher negativer Erlebnisse wie Angst, Panik oder Verwirrung während der Substanz-Sitzung sagte Jungaberle: „Für die Klinik ist es nicht unbedingt so, dass man schwierige Erfahrungen („Bad Trips“) vermeiden muss, sondern man muss sicherstellen, dass der Patient da durchgehen kann.“
So berichtete ein Patient: „… Ausflüge in Trauer, Einsamkeit und Wut, Verlassenheit. Erst als ich in die Wut ging, machte es ‚pouf‘ und sie verflog. Ich habe die Lektion gelernt, dass du in den furchterregenden Keller musst. Wenn man erst einmal drin ist, gibt es keinen furchterregenden Keller mehr, in den man gehen kann.“
Danach gefragt, ob es für eine Therapie hilfreich ist, wenn der Therapeut selbst Erfahrungen mit psychedelischen Substanzen gemacht hat, sagte Gründer: „Es hilft ungemein zu verstehen, was passiert.“
Mögliche Risiken
Grundsätzlich besteht bei der Therapie mit Halluzinogenen das Risiko, eine Psychose auszulösen. Vorangegangene Psychosen beim Patienten oder bei Verwandten ersten Grades sind deshalb eine klare Kontraindikation. Auch sollten Menschen unter 25 ausgeschlossen sein, da vor einer Behandlung die Hirnreifung komplett abgeschlossen sein sollte.
„In einem kontrollierten Setting sind es aber sehr sichere Substanzen“, zeigte sich Gründer überzeugt. Auch Vollenweider, der 25 Jahre Erfahrung in der Therapie mit Psilocybin an 1.500 Patienten hat, betonte, er habe bisher nicht einen Zwischenfall gesehen. Und auch Jungaberle bekräftigte: „In den letzten 25 Jahren ist kein Fall einer dauerhaften Psychose in Studien bekannt und auch kein Fall einer HPPD (Hallucinogen persisting perceptual disorder).“
Für die Sicherheit der Substanzen spricht auch, dass die – vermutlich – tödliche Dosis beim 2.000-fachen der Standard-Dosis liegt. Und: „Psychedelika erzeugen keine Abhängigkeit“, so Gründer. Noch seien allerdings die Nebenwirkungen bei längerer bzw. häufigerer Anwendung nicht bekannt, gab er zu bedenken.
Magische Aussichten für die Psychotherapie?
Gründer verwies andererseits darauf, dass der Antidepressiva-„Konsum“ steige. Laut Arzneiverordnungsreport 2018 hat er sich von 2005 bis 2017 etwa verdoppelt. „Wir können nicht mit den Behandlungsmöglichkeiten zufrieden sein, die wir im Moment haben“, betonte Gründer.
„Psychedelika sind, was Abhängigkeitsrisiko, Schaden für den Nutzer und Schaden für die Gesellschaft angeht, dramatisch anders zu bewerten als Opiate oder Alkohol – die Droge, die wir gestern Abend wahrscheinlich zum guten Teil noch konsumiert haben“, wie Gründer zur Erheiterung des Auditoriums anmerkte. „Der Schaden durch Alkohol ist unfassbar viel größer.“
In den USA scheint man das ähnlich zu sehen. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) hat dem Usona Institut für Psilocybin zur Behandlung von Major Depressionen gerade die Kennzeichnung als „Breakthrough“-Therapie zuerkannt, was bedeutet, dass die Entwicklung dieses Arzneimittels beschleunigt werden soll. Damit hat die FDA diese Kennzeichnung bereits zum zweiten Mal für Psilocybin gewährt. Und nicht nur in den USA, auch in Europa läuft gerade eine große Phase-2-Studie.
Hierzulande sei das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) noch eine Hürde für klinische Studien mit Halluzinogenen, bedauerte Gründer gegenüber Medscape. Dennoch ist er zuversichtlich, zusammen mit der Charié und der Mind Foundation im nächsten Jahr eine bereits geplante große klinische Studie zum Einsatz von Psilocybin bei therapieresistenter Depression starten zu können. „Es wird aber noch viele Jahre dauern, bis die Zulassung für die Anwendung in der Praxis kommt“, ist Gründer überzeugt.
Jedenfalls würde diese wohl auf fruchtbaren Boden fallen: Bei einer Abstimmung darüber, wer aus dem Auditorium Psilocybin in einem Therapieversuch bei Patienten einsetzten würde, war die deutliche Mehrheit der Arme oben.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Freude, schöner Götterfunken: Kann das entgrenzte Glücksgefühl durch Psychedelika wie Psilocybin schwere Depressionen heilen? - Medscape - 6. Dez 2019.
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