Neuer Ansatz bei chronischen Depressionen: Das Psychotherapieverfahren CBASP – „die Menschen aus ihrem Film herausholen“

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

5. Dezember 2019

Berlin – Frau Müller reicht es. Sie möchte sich sofort selbst aus der Klinik entlassen. So enttäuscht ist sie, dass in der vergangenen Woche „keiner für mich da war“: Ihre Therapeutin Prof. Dr. Eva-Lotte Brakemeier war, wie angekündigt, auf einem Kongress, die Bezugspflegerin dann unerwartet krank: „Ich habe mich ganz allein gefühlt.“ Brakemeyer lässt die Klientin erst einmal aussprechen. Dann fragt sie zurück: „Was meinen Sie, wie es mir damit geht?“

Diese Frage ist ungewöhnlich in einer Psychotherapie – doch in der neuen Methode Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) ist sie ein zentrales Element. Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin stellte Brakemeier, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Greifswald, das Verfahren vor, dies anhand von Videos mit Fallbeispielen [1].

Patienten sollen sich kindliche Prägungen bewusst machen

Entwickelt wurde CBASP von dem Psychologen und Psychotherapeuten Prof. Dr. James P. McCullough Jr. von der Virginia Commonwealth University in den USA speziell für chronisch depressive Patienten – also jene, bei denen die Krankheit mehr als 2 Jahre andauert. Schätzungen zufolge gilt das für rund 30% aller Depressionen. McCullough ist auch selbst betroffen.

Als Ursache der Depression gelten nach dem CBASP-Konzept Erfahrungen von Misshandlung (körperlich oder emotional), Gewalt oder starker Vernachlässigung in der Kindheit. Die Patienten bleiben gewissermaßen auf einer frühen Entwicklungsstufe „stehen“ und bilden dadurch Denk- und Verhaltensmuster aus, die einem zufriedenen Leben später im Wege sind.

Der 1. Schritt bei CBASP ist daher, diese Prägungen dem Klienten bewusst zu machen.

Frau Müller etwa wuchs als älteste Tochter auf einem Bauernhof mit einem lieblosen Vater und einer gleichgültigen Mutter auf und musste schon als kleines Kind hart arbeiten. Als Prägung durch die Mutter nennt sie: „Ich kenne keine Fürsorge/Liebe, weshalb ich heute nicht glauben kann, wenn Menschen es gut mit mir meinen.“

Im 2. Schritt soll die Klientin bei CBASP selbst sagen, wie sie dieses Muster eventuell auf die Therapie überträgt.

Frau Müller formulierte: „Wenn ich mich in der Therapie öffne und dadurch Nähe entsteht, dann wird meine Therapeutin (…) mich früher oder später doch allein lassen (…)“. Genau dies sah sie dann durch die Woche ohne Bezugsperson bestätigt – und wollte gehen.

Die Therapeutin reagiert anders als früher die Mutter

„Es geht darum, die Menschen aus ihrem Film herauszuholen“, sagt Brakemeier, und ihnen zu zeigen, dass es diesmal anders ist. Dazu arbeitet CBASP durchaus auch mal konfrontativ. Die Frage, wie es denn der Therapeutin wohl geht, irritiert Frau Müller sichtbar. Doch als Brakemeyer selbst die Antwort gibt, bröckelt die Abwehr der Klientin.

 
Es geht darum, die Menschen aus ihrem Film herauszuholen. Prof. Dr. Eva-Lotte Brakemeier
 

„Ich habe mich gefreut, Sie heute wiederzusehen. Und jetzt bin ich geschockt und auch verletzt“, sagt Brakemeyer im Video, „ich mag Sie und möchte Ihnen helfen. Wir alle hier wollen für Sie da sein.“ Nach und nach erkennt Frau Müller nun selbst, dass die Situation sie an früher erinnert hat – dass es diesmal aber anders ist. „Es fällt mir aber schwer, das anzunehmen.“ Am Ende der Sitzung entschließt sie sich, doch in der Klinik zu bleiben.

Dem Patienten zu helfen, zwischen früher gelernten Erwartungen und dem tatsächlichen Geschehen heute zu unterscheiden, ist ein weiteres zentrales Element in CBASP. Der Therapeut fragt: „Wie hätte Ihr Vater/ Ihre Mutter reagiert? Wie habe ich reagiert? Wie fühlt sich das an?“

Das soll dem Patienten helfen, alte Denkschemata zu überwinden und ein anderes, positiveres Verhalten einzuüben. Die CBASP-Anwender nennen das „(Beziehungs)Erwartungsverletzung“.

 
Ziel ist es, rigide oder extreme Verhaltensweisen aufzulösen. Prof. Dr. Eva-Lotte Brakemeier
 

Im 3. Schritt werden neue Verhaltensweisen ganz konkret eingeübt, erläuterte Brakemeyer. CBASP nutzt dazu den „Kiesler Kreis“. Dabei ordnen die Klienten ihr Verhalten selbst ein, auf einer Skala von feindselig bis freundlich (x-Achse) und unterwürfig bis dominant (y-Achse). „Ziel ist es, rigide oder extreme Verhaltensweisen aufzulösen. Die Menschen werden flexibler darin, wie sie sich in verschiedenen Situationen verhalten“, erklärt Brakemeyer.

Vielversprechende Evidenz

Brakemeyer hat die Methode direkt bei McCullough gelernt und empfindet sie als große Bereicherung: „Ich war früher oft unzufrieden, weil ich manchen Patienten nicht mehr weiterhelfen konnte.“

CBASP ist für sie eher eine Haltung als eine Technik. Sie wendet sie verstärkt mit Patienten an, die schon unbefriedigende Erfahrungen mit anderen Therapien oder auch mit Medikamenten gemacht haben.

Die Evidenz ist bislang viel versprechend. Ein Review von 2016 zu 6 klinischen Studien mit 1.500 Patienten kommt zu dem Fazit, dass es „Hinweise dafür gibt, dass CBASP für die Behandlung von chronischen Depressionen effektiv ist“ („supporting evidence“).

In Deutschland wenden zahlreiche Therapeuten und auch Kliniken bundesweit die Methode bereits an und sind im Verein CBASP-Netzwerk organisiert.

 

Kommentar

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