Friedenszeichen im Papierkrieg? Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist 2019 der Aufwand für Bürokratie in den Praxen der niedergelassenen Ärzte um insgesamt rund eine Million Stunden gegenüber 2018 zurückgegangen. Das ergibt sich aus dem 4. Bürokratieindex (BIX), den die Fachhochschule des Mittelstandes (FHM) im Auftrag der KBV vorgelegt hat [1].
„2019 konnte ein Rückgang um 1,93 Prozent zum Vorjahr auf nun rund 55 Millionen Nettoarbeitsstunden festgestellt werden“, heißt es im BIX. „In absoluten Zahlen sind dies circa eine Million Stunden Bürokratieaufwand weniger“, sagte Prof. Dr. Volker Wittberg von der FHM und Leiter des Nationalen Zentrums für Bürokratiekostenabbau.
Damit muss das Praxispersonal im Durchschnitt jährlich einen Arbeitstag weniger als im Vorjahr allein mit den Informationspflichten der gemeinsamen Selbstverwaltung am Schreibtisch verbringen. Das heißt, der Papierkram im Zusammenhang etwa mit Vorgaben der jeweiligen KVen und Kommunen kommt noch hinzu, wurde aber von den Studienautoren nicht berücksichtigt.
200 Millionen Überweisungen pro Jahr
Dennoch bleibt der Aufwand hoch, vor allem für die Ärzte. Sie erbringen in ihren Praxen knapp 63% der Bürokratieleistungen.
50 der 55 Millionen Arbeitsstunden fallen durch die Top-25 der insgesamt 410 Informationspflichten an.
Den größten Posten stellen die 200 Millionen Überweisungen. Sie verschlingen jährlich fast 6 Millionen Arbeitsstunden und das, obwohl dieser Posten seit vergangenem Jahr schon um 35.000 Arbeitsstunden gesunken ist, so die Auswertung der FHM.
Auf dem 2. Platz liegen die Auskünfte an die Krankenkassen und den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) auf vereinbarten Vordrucken. Diese Tätigkeiten dauerten 2019 rund 5,8 Millionen Arbeitsstunden.
Den 3. Platz belegen die fast 81 Millionen AU-Bescheinigungen auf Muster 1. Sie kosteten Deutschlands niedergelassenen Ärzte 2019 fast 5 Millionen Stunden, die der Patientenversorgung entzogen wurden.
Zuwächse gab es vor allem bei der Dokumentation des Hautkrebs-Screenings, weil die Hautärzte nach einem entsprechenden Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mehr Parameter als zuvor dokumentieren müssen. Hier verzeichnet die Studie 32.0000 Stunden mehr.
Den größten Schritt nach vorne dürfte der Wegfall von Muster 30 (Berichtsvordruck Gesundheitsuntersuchung) bedeuten, nachdem die entsprechende Richtlinie geändert wurde. Hier sparten die Niedergelassenen 2019 eine halbe Million Arbeitsstunden.
Viel werde in den kommenden Jahren davon abhängen, wie die Digitalisierung in den Praxen umgesetzt wird, so die KBV. Die Digitalisierung könne beides – entlasten oder belasten, so die KBV.
So verschafft die elektronische AU Bescheinigung zwar Zeit, aber auf der anderen Seite verschlingt sie welche, weil immer noch ein Papierausdruck der Bescheinigung vorgesehen ist. „Das macht es schwierig, die notwendige Akzeptanz für den gesamten Prozess der Digitalisierung in den Arztpraxen zu erreichen“, sagt KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel.
Abschaffen oder abspecken?
Allerdings ist es oft sinnvoller, Formulare abzuspecken, als sie zu streichen. „Denn die Streichung von Formularen dauert oft sehr lange, weil dies mit vielen Diskussionen verbunden ist“, so Wittberg zu Medscape. Darum sei es oft der professionellere Umgang mit Formularen in der Praxis, also der „Vollzug“, der dazu beitrage, die Flut der Arbeit durch die Formulare einzudämmen.
Tatsächlich nennt Hausarzt Dr. Ruben Bernau aus Hambergen bei Bremen, beim Hausärzteverband Niedersachsen Experte für den Umgang mit Formularen, das Muster 52 (Fortführung der Arbeitsunfähigkeit). Dies Formular sei ein Beispiel für sinnlose Bürokratie, die eigentlich leicht zu reduzieren wäre, meint Bernau.
Denn das Muster verlangt viele Angaben, „die bei der Kasse schon längst bekannt sind“, sagt Bernau, „zum Beispiel, was der Patient arbeitet. Warum muss ich solche Felder ausfüllen?“ Allerdings meint Bernau, solche Formulare zu ändern sei „ein richtig hartes Brot.“
Königsweg: „Gut gemachte Digitalisierung der Informationspflichten“
Der Königsweg wäre für ihn die gut gemachte Digitalisierung der Informationspflichten. Man sollte die Gesundheitskarte abschaffen und die Gesundheitsdaten in einer gesicherten Cloud aufbewahren, meint Bernau. Mit der Erlaubnis des Patienten könnten dann Haus- und Fachärzte und Apotheken etwa auf Rezepte zugreifen.
„Auch bei den Laborleistungen könnten Millionen gespart werden, wenn die Daten nur einmal erhoben und in der Cloud verfügbar gehalten würden“, sagt Bernau.
Bis es so weit ist, dürfte es aber noch einige Jahre dauern. Bis dahin können sich Ärzte auch mit dem professionelleren Umgang mit Formularen über Wasser halten.
Hier nennt Bernau zum Beispiel den ärztlichen Befundbericht für den Reha-Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung. „Da brüten viele Kollegen lange darüber, um ihren Patienten etwas Gutes zu tun“, berichtet Bernau. „Und am Schluss enthält der Antrag vieles, was der prüfende Kollege bei der Versicherung gar nicht braucht, und zugleich fehlen ihm viele Angaben.“
Richtig ausgefüllt indessen dauert so ein Antrag in Bernaus Praxis 5 Minuten und ist dabei ausreichend und zielführend, berichtet der Hausarzt. „Wer länger braucht, hat etwas falsch gemacht.“
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Diesen Artikel so zitieren: Bürokratie-Index der KBV mit Hoffnungsschimmer: Jährlich ein Arbeitstag weniger Papierkram – aber es geht noch besser - Medscape - 4. Dez 2019.
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