Viel Hoffnung, wenig Evidenz: Welche Aspekte eine gute Beratung zur Ernährung bei Krebs beinhalten sollte

Susan London

Interessenkonflikte

2. Dezember 2019

Seattle – „Die Beratung onkologischer Patienten zu den Themen Ernährung und Ernährungstrends ist irgendwo zwischen Wissenschaft und Kunst angesiedelt“, meint Dr. Kerry McMillen, Leiterin der Abteilung Medical Nutrition Therapy der Seattle Cancer Care Alliance im US-Bundesstaat Washington.

„Im Internetzeitalter ist es für Patienten besonders verwirrend. Für alles Positive oder Negative lassen sich angebliche Beweise finden“, erklärte sie bei einem Workshop auf dem diesjährigen Kongress der Advanced Practitioner Society for Hematology and Oncology (APSHO) für JADPROLive.com .

 
Die Beratung onkologischer Patienten zu den Themen Ernährung und Ernährungstrends ist irgendwo zwischen Wissenschaft und Kunst angesiedelt. Dr. Kerry McMillen
 

Ketogene Diät

Sie nannte als Beispiel die ketogene Diät. Die Hypothese hinter dieser Ernährungsform ist, dass Tumoren auf Glukose angewiesen sind, um ihren Energiebedarf zu decken. Eine Absenkung des Glukosespiegels könne folglich Tumorzellen aushungern, erklärte McMillen.

„Aber Zucker ernährt nicht nur den Krebs, sondern auch jede andere Zelle in unserem Körper, also geht es nicht nur um Zucker“, sagte sie. „Wir wissen, dass es beim Thema Zucker und Krebs mehr um die Regulierung des Glukosestoffwechsels geht. Wenn Menschen tagelang an Hyperglykämie leiden, steigert dies die Stoffwechselprozesse, die auch den IGF-1 (insulin-like growth factor 1) betreffen, und verändert das Milieu und das Verhalten der Zellen.“

Es gibt bisher keine sauberen Studien, die eine Wirksamkeit der ketogenen Diät in der Onkologie belegen. Die Diät steht auch im Widerspruch zu den Empfehlungen des American Institute for Cancer Research (AICR), reichlich Obst, Gemüse und Vollkornprodukte zu essen, und die Zufuhr von rotem Fleisch (und inzwischen auch von Schweine- und Lammfleisch) auf maximal 1 Pfund wöchentlich zu begrenzen.

„Man muss sich gut überlegen, wie man ein längeres Überleben mit diesem Ernährungsansatz in Einklang bringt. Darüber muss man mit den Patienten sprechen“, sagte McMillen.

„Wenn ein Patient eine ketogene Diät wünscht, muss man sich klarmachen, dass Vitamine und Mineralien nicht in ausreichender Menge aufgenommen werden, die bei einer ausgewogenen Kost gewährleistet ist. Sie müssen also sicherstellen, dass der Patient Multivitamine und Spurenelemente in einer kohlenhydratfreien Form zu sich nimmt. Dabei gilt es, auch auf Selen, Kalzium und Vitamin D zu achten“, riet sie. „Wir ermutigen die Patienten nachdrücklich, sich mit einem Ernährungsberater in Verbindung zu setzen, damit wir ihnen helfen können, herauszufinden, wie ihr Speiseplan aussehen könnte.“

 
Wir ermutigen die Patienten nachdrücklich, sich mit einem Ernährungsberater in Verbindung zu setzen, damit wir ihnen helfen können, herauszufinden, wie ihr Speiseplan aussehen könnte. Dr. Kerry McMillen
 

Alkaline-Diät (Basische Ernährung)

Ein weiteres heißes Ernährungsthema bei Krebspatienten ist die Alkaline-Diät. Nach der Theorie wachsen Tumore in einer alkalischen Umgebung nicht, sodass eine Erhöhung des Blut-pH-Wertes auf dem Wege der Ernährung von Vorteil sein kann.

Allerdings gibt es keine wissenschaftliche Untermauerung für eine Veränderung des pH-Wertes im Blut“, sagte McMillen, „zumal der Körper ja große Anstrengungen unternimmt, um gerade die Homöstase aufrechtzuerhalten und eine Alkalose (und auch die Azidose) zu verhindern.“

„Es ist eine Werbelüge, mit der Verbraucher dazu gebracht werden sollen, überteuerte alkalisierte Wässer und Wasserspender zu kaufen, die angeblich Krebs heilen können, weil sie den Körper alkalischer machen“, erklärt McMillen. „Unterm Strich ist die Förderung einer alkalischen Ernährung und alkalisierten Wassers zur Krebsvorsorge durch nichts gerechtfertigt und auch nicht evidenzbasiert.“

 
Unterm Strich ist die Förderung einer alkalischen Ernährung und alkalisierten Wassers zur Krebsvorsorge durch nichts gerechtfertigt und auch nicht evidenzbasiert. Dr. Kerry McMillen
 

Allerdings sind Obst, Gemüse, Nüsse und Linsen zufällig alkalische Lebensmittel. „Ich sage dann den Leuten in meiner Praxis, dass es für sie kein Problem ist, hochalkalische Lebensmittel zu essen, solange sie sich gesund ernähren und auch ihren Kalorien- und Proteinbedarf decken“, sagte sie.

„Wenn die Ernährung so restriktiv wird, dass der Kalorien- und Proteinbedarf nicht mehr angemessen gedeckt wird und die Patienten Gewicht verlieren, ist es an der Zeit, über eine Öffnung der eingeschränkten Ernährungsform zu sprechen“, fügte sie hinzu.

Die Möglichkeit des Fastens

Auch Krebspatienten erkundigen sich nach dem Fasten, um Nebenwirkungen einer Chemotherapie zu verringern oder um Gewicht zu verlieren. Hier gibt es Evidenzen für gesundheitliche Vorteile beim intermittierenden Fasten, bei dem einfach auf das Abendessen verzichtet wird.

„Es gibt tatsächlich Studien, nach denen 12-stündiges intermittierendes Fasten von 7 Uhr abends bis 7 Uhr morgens, bei der Blutzucker- und Gewichtskontrolle hilft, das HbA1c senkt und sich nach einigen Daten auch positiv auf das Überleben von Brustkrebs-Patientinnen auswirkt“, sagte McMillen.

Häufig sind auch Lebensmittel, die spät am Abend noch gegessen werden, nährstoffarm und kalorienreich. „Bei diesem gedankenlosen Essen könnte unsere Nahrungsmittelauswahl kaum ungesünder sein“, bemerkte sie. „Es ist wichtig, wenn Menschen über das Fasten sprechen, herauszufinden, warum sie etwa zu dieser Zeit essen, um zu erkennen, dass auch schon einfache Mengen-Reduzierungen oder Veränderungen dessen, was sie dann essen, helfen können.“

Es existieren auch noch extremere Fastenformen. Doch auch wenn es Hinweise aus kleinen Studien darauf gibt, dass mehrtägiges Fasten die Toxizität einer platinbasierten Chemotherapie verringern kann, bestehen deutliche Unterschiede darin, ob es nun um den Tumor oder um die Chemotherapie geht, und sorgfältigere Studien wurden bislang nicht durchgeführt. Zudem können Patienten mit drohendem oder bereits bestehendem Untergewicht durch Fasten weiter an Muskelmasse und Kraft verlieren.

„Es fehlt an Evidenzen, um in solchen Situationen ein 24-stündiges oder mehrtägiges Fasten empfehlen zu können. Solange keine besseren, fundierten randomisierten kontrollierten Studien vorliegen, können wir als ausgewiesene Spezialisten für Ernährungsfragen in der Onkologie eine solche Ernährung einfach nicht empfehlen“, fasste McMillen zusammen.

Mythen von Fakten trennen

Um onkologische Patienten sicher durch all diese ernährungsphysiologischen Untiefen zu navigieren, empfahl McMillen, einen Ernährungsberater mit onkologischer Expertise in das multidisziplinäre Team aufzunehmen, damit die Patienten in kompetenter Weise über die Leitlinien zur Prävention und Therapie aufgeklärt werden und Empfehlungen für vertrauenswürdige Informationsquellen erhalten.

„Manchmal kann man die Menschen auch dort abholen, wo sie sind, ohne sich auf eine intensive Diskussion über Dinge einzulassen, an die sie sehr fest glauben, denn das kann auch die Arzt-Patient-Beziehung beeinträchtigen. Aber es ist für uns als Kliniker auch wichtig, immer den neuesten Wissensstand mit den verfügbaren Evidenzen zu vertreten“, sagte sie.

„Zuerst Vertrauen und Beziehung zu den Patienten aufbauen und dann das Thema objektiv und wissenschaftlich angehen“, stimmte Dr. Natalie Ledesma, klinische Ernährungsspezialistin bei Smith Integrative Oncology in San Francisco und leitende Diätassistentin am Helen Diller Family Comprehensive Cancer Center der University of California in San Francisco, USA, ihr zu.

 
Zuerst Vertrauen und Beziehung zu den Patienten aufbauen und dann das Thema objektiv und wissenschaftlich angehen. Dr. Natalie Ledesma
 

„Ich versuche stets, evidenzbasiert zu arbeiten. Ich will Meinungen, Medien und Moden aus meiner Arbeit heraushalten und immer im Blick behalten, was wir wissen, was wir nicht wissen und wohin uns das führt“, sagte sie Medscape Medical News.

Wenn Patienten unbedingt eine Diät einhalten wollten, für deren Nutzen es keine ausreichenden Evidenzen gebe, stehe die Sicherheit im Vordergrund, was zusätzliche Überwachungen und Kontrollen bedeuten könne, so Ledesma. Vor allem aber sollten Ärzte darauf achten, dass sie die Patienten nicht vor den Kopf stoßen und vertreiben.

„Wenn wir uns taub stellen oder entschieden gegen einen Ernährungsansatz sind und sagen ‚nein, dieses oder jenes geht auf gar keinen Fall‘, werden die Patienten letztlich einfach das tun, was sie wollen“, erklärte sie.

„Es ist also viel nützlicher für unsere Gesellschaft, wenn wir den Menschen bei Ernährungsfragen helfen und offen bleiben, auch wenn wir selbst vielleicht nicht überzeugt sind, damit wir nicht den Draht zu ihnen verlieren“, sagte Ledesma. „Denn dann werden sie uns einfach gar nichts davon erzählen, und wir stehen vielleicht plötzlich unvorbereitet vor den negativen Folgen ihres Tuns.“

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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