Laut einer neuen Subgruppen-Analyse der GLOBAL LEADERS-Studie besteht bei Frauen nach perkutanen Koronarinterventionen (PCI) möglicherweise ein höheres Risiko für Blutungen und hämorrhagische Schlaganfälle als bei Männern. Außerdem war eine Ticagrelor-Monotherapie ein Jahr nach der PCI bei Männern mit einem geringeren Blutungsrisiko verbunden, verglichen mit der dualen Plättchenhemmung (DAPT).
Zu diesen Ergebnissen kommen Dr. Ply Chichareon vom Heart Center, Department of Clinical and Experimental Cardiology, Amsterdam Cardiovascular Sciences, und Kollegen in JAMA Cardiology [1].
„Die Studie ist wichtig, weil sie uns ein weiteres Puzzlestück zur Frage liefert, von welcher antikoagulativen Therapie Patienten am meisten profitieren“, sagt Prof. Dr. Thomas Voigtländer im Gespräch mit Medscape. Er ist Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien Krankenhauses und Kardiologe am Cardioangiologischen Centrum Bethanien (CCB) Frankfurt/Main sowie stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung.
Für Deutschland derzeit kein Handlungsbedarf
Voigtländer fasst die ursprünglichen Ergebnisse aus GLOBAL LEADERS zusammen: „Wir haben etwas überraschend gesehen, dass die langfristige Gabe von Ticagrelor der konventionellen Therapie mit Acetylsalicylsäure (ASS) nicht überlegen war.“
Zur aktuellen Subgruppenanalyse sagt der Experte: „Hier fanden die Autoren zwar deutliche Signale für mehr Blutungen und schwerere Blutungen bei Frauen“, relativiert aber angesichts der Zahlen: Der hohen Zahl von knapp 16.000 Patienten stünden beispielsweise 9 hämorrhagische Schlaganfälle bei Männern und 13 bei Frauen gegenüber, was absolut betrachtet niedrigen Fallzahlen entspreche.
„Außerdem waren Frauen in der untersuchten Kohorte älter und hatten mehr Komorbiditäten“, so Voigtländer. Hinzu komme, dass Männer in der Vorgeschichte häufiger als Frauen eine PCI gehabt hätten, was zum Ausschluss von Patienten mit Blutung im Rahmen der dualen Plättchenhemmung nach PCI in der Vorgeschichte geführt haben könnte.
Der Experte sieht aufgrund der Ergebnisse keinen Handlungsbedarf: „In Deutschland sind wir ohnehin vorsichtiger – mit einer 6-monatigen dualen Plättchenhemmung bei der stabilen und einer 12-monatigen Therapie bei der instabilen koronaren Herzkrankheit.“ In den USA würde bei der stabilen Form häufig 12 Monate lang behandelt, was per se zu höheren Blutungsrisiken führe.
Offene Fragen nach der GLOBAL LEADERS-Primäranalyse
Ausgangspunkt der jetzt veröffentlichten Subgruppen-Analyse waren offene Fragen nach Abschluss der GLOBAL LEADERS-Primäranalyse: Gender-Aspekte wurden damals nicht betrachtet.
„Bekanntlich gibt es bei der Pathophysiologie, beim klinischen Erscheinungsbild und bei der Prognose der koronaren Herzkrankheit (KHK) Unterschiede zwischen Frauen und Männern“, schreiben Chichareon und die Koautoren. In-vitro-Studien und kleine klinische Studien hätten bei Frauen eine höhere Aktivität der Blutplättchen, eine größere Neigung zu Thrombosen sowie mehr Blutungen als bei Männern gezeigt. Auch seien kurz- und langfristige Prognosen der KHK bei Männern besser.
Unabhängig vom Geschlecht verringerten PCI die Morbidität und die Mortalität. Auch medikamentenfreisetzende Stents (Drug Eluting Stents, DES) der 2. Generation und Thrombozytenfunktionshemmer hätten die Prognose einer KHK wesentlich verbessert, so die Autoren.
Subgruppenanalyse zeigt Geschlechterunterschiede beim Blutungsrisiko
Im Rahmen der GLOBAL LEADERS-Studie wurden Daten von 15.991 Patienten ausgewertet, die sich zwischen Juli 2013 und November 2015 einer PCI mit Stent-Implantation unterzogen hatten. Alle Teilnehmer wurden 30 Tage sowie 3, 6, 12, 18 und 24 Monate nach dem Eingriff ambulant untersucht. Von 15.968 Patienten, deren Daten ausgewertet werden konnten, waren 3.714 (23,3%) Frauen.
Bei der vorab geplanten Subgruppen-Analyse verglichen Chichareon und die Koautoren 2 Strategien der Thrombozytenfunktionshemmung nach der PCI. Die Patienten erhielten randomisiert 2 unterschiedliche Therapien:
Im experimentellen Studienarm erhielten sie einen Monat lang 75 bis 100 mg Acetylsalicylsäure (ASS) (einmal täglich) plus 90 mg Ticagrelor (zweimal täglich), gefolgt von 23 Monaten 90 mg Ticagrelor als Monotherapie (zweimal täglich).
In der Vergleichsgruppe bekamen sie ein Jahr lang 75 bis 100 mg ASS (einmal täglich) plus 75 mg Clopidogrel (einmal pro Tag) oder plus 90 mg Ticagrelor (zweimal täglich). Im zweiten Jahr bestand die Pharmakotherapie aus 75 bis 100 mg ASS (einmal täglich).
Als primären Endpunkt (Wirksamkeit) definierten die Autoren einen zusammengesetzten Endpunkt aus der Gesamtmortalität und neu aufgetretenen Q-Wave-Infarkten im Verlauf von 2 Jahren. Der sekundäre Endpunkt (Sicherheit) umfasste Blutungen vom Typ 3 (u.a. intrakranielle Blutungen) oder Typ 5 (tödliche Blutungen) laut Klassifikation des Bleeding Academic Research Consortium (BARC).
Das Risiko eines Ereignisses des primären Endpunkts nach 2 Jahren war zwischen Frauen und Männern ähnlich (bereinigte Hazard Ratio [HR] 1,00; 95%-KI 0,83-1,20). Im Vergleich zu Männern hatten Frauen ein höheres Risiko für Blutungen vom Typ 3 oder 5 (HR 1,32; 95%-KI 1,04-1,67) und hämorrhagischen Schlaganfällen nach 2 Jahren (HR 4,76; 95%-KI 1,92-11,81).
Nach einem Jahr war die Ticagrelor-Monotherapie mit einem geringeren Blutungsrisiko bei Männern verbunden (HR 0,72; 95%-KI 0,53-0,98), aber nicht bei Frauen (HR 1,23; 95%-KI 0,80-1,89; p = 0,045), verglichen mit der dualen Plättchenhemmung.
Nach 2 Jahren gab es keinen Unterschied in der Wirksamkeit und Sicherheit der beiden Behandlungsstrategien zwischen den Geschlechtern.
Das Blutungsrisiko bei Frauen stärker berücksichtigen
„Diese Studie zeigt, dass Frauen, die sich einer PCI unterziehen, einem höheren Risiko für schwere Blutungen und für hämorrhagische Schlaganfälle ausgesetzt sind als Männer“, schreiben Chichareon und Kollegen. „Dieser Unterschied bleibt auch nach Anpassung der Confounder bestehen und bestätigt, dass das Geschlecht ein unabhängiger Prädiktor für schwere Blutungen nach der PCI ist.“ Sie fordern, das Geschlecht als weiteren Risikofaktor zur Bewertung des Blutungsrisikos zu berücksichtigen.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: GLOBAL LEADERS-Studie: Sind Frauen nach PCI stärker durch (Hirn-)Blutungen gefährdet? - Medscape - 27. Nov 2019.
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