Mannheim – „Ein bisschen Schmerz darf sein“ – so begann Dr. Paul Nilges, ehemaliger Leitender Psychologe am DRK Schmerz-Zentrum Mainz, seinen Vortrag zu Schmerzen und Schmerzbewältigung im Breiten- und Leistungssport auf einer Pressekonferenz beim Deutschen Schmerzkongress in Mannheim [1]. Er verwies darauf, dass Breitensport vor allem eine wirksame Schmerzprävention ist. Doch kann Sport natürlich auch zu Schmerzen führen. Wie dies zu vermeiden ist, bzw. wie solche Schmerzen zu behandeln sind, erläuterte Nilges ebenfalls.
Sport: Wichtig sind niedrigschwellige Einstiegsangebote
In jedem Lebensalter sind bekanntlich Bewegung, Kraft- und Ausdauertraining wichtig. „Bei einigen Krankheiten und den wichtigsten Formen chronischer Schmerzen – Rücken-, Muskel-, Gelenk- und Kopfschmerzen – ist Sport fester Bestandteil der Therapie. Auch bei psychischen Belastungen wie Depressionen konnte in Metaanalysen der positive Effekt körperlicher Aktivität nachgewiesen werden“, erklärte der Psychologe und Psychotherapeut. Defizite bei Ausdauer und Kraft tragen dagegen zur Entstehung chronischer Schmerzen, aber auch kardiovaskulärer Erkrankungen und Typ-2-Diabetes bei.

Dr. Paul Nilges
„Das Dilemma: Durch mangelnde Bewegung, fehlende Kraft und Ausdauer werden Belastbarkeit und Schmerztoleranz reduziert, so dass bereits Alltagsaktivitäten zu Schmerzen führen und vermieden werden“, so Nilges. Wichtig sind daher niedrigschwellige Einstiegsangebote – etwa über Sportvereine und Selbsthilfegruppen. Diese haben auch für die Schmerztherapie Bedeutung. Doch, um mit regelmäßigem Training überhaupt anzufangen und dann dabeibleiben zu können, sind oft zusätzliche therapeutische Maßnahmen nötig, z.B. multimodale Programme mit Ärzten, Physio- und Psychotherapeuten.
Wer beim Training die Leistung steigert, spürt oft Schmerzen
Beim Breitensport ist es nach Nilges‘ Erfahrung am wichtigsten, „die persönliche Balance zwischen Belastung und Belastbarkeit zu finden“. Es gibt nämlich unterschiedliche Regenerations- und Reaktionszeiten von Muskeln, Bändern, Sehnen und Gelenken – und zudem individuelle Unterschiede.
So führe ein Lauftraining relativ schnell zu einem Muskelaufbau – Sehnen, Bänder und Gelenke reagieren dagegen deutlich langsamer. „Wenn Sie sich muskulär fordern, aber der Rest des Körpers ist noch nicht so weit, dann bekommen Sie genau dort Probleme.“
Daher wird zum Beispiel empfohlen, für einen ersten Marathon mindestens ein Jahr Vorbereitungs- und Traininszeit einzuplanen. „Dieser Zeitraum ist notwendig, damit alle – und nicht nur die muskulären – Anteile beim Laufen ausreichend Entwicklungsmöglichkeiten haben“, erklärte Nilges.
Wenn man sich allerdings regelmäßig bewegt und körperlich fordert, gehört Schmerz dazu – denn „wenn man die Komfortzone – z.B. sein Wohlfühltempo – verlässt, weil man seine Leistung steigern will, dann kommen Schmerzen relativ automatisch“, so Nilges. Das weiß er auch aus eigener Erfahrung: Seit vielen Jahren läuft der Psychologe regelmäßig, früher auch Marathons und Halbmarathons.
„Die eigenen Grenzen zu spüren – und länger oder schneller zu laufen, Gewichte zu steigern – ist ein notwendiger körperlicher Trainingsanreiz und eine wesentliche Quelle für Motivation im Sport, aber manchmal eben auch schmerzhaft“, sagte Nilges. Doch welche Schmerzen sind normal, bei welchen sind Maßnahmen erforderlich?
Was tun bei Schmerzen durch Sport – und wie lassen sie sich vermeiden?
Muskelkater wird als harmlose Begleiterscheinung meist akzeptiert. Als vorbeugend wirksam habe sich hier die „Per Mertesacker´sche Eistonne“ erwiesen – nach anstrengendem Sport kurz in eiskaltes Wasser einzutauchen, verringere die Schmerzen, erklärte Nilges. Allerdings sind solche Maßnahmen eher etwas für den Leistungssport.
Dort wird die Eis- oder Kaltwasser-Immersion zur Regeneration von Muskeln nach sportlichen Höchstleistungen eingesetzt. Die Kälte kann zu einer verstärkten Durchblutung der Muskeln – und damit zu erhöhter Zufuhr von Nährstoffen und Abfuhr von Stoffwechselabfallprodukten – führen und so die Regeneration der Muskeln beschleunigen und Muskelkater vorbeugen.
Eine Auswertung der Cochrane-Collaboration (2012) ergab Anhaltspunkte für die Wirksamkeit, allerdings wenig vergleichende Daten zu anderen Methoden.
„Schmerzen an Sehnen, Bändern und Gelenken können sehr schmerzhaft und hartnäckig sein“, sagte Nilges. Gut bekannt ist die PECH-Regel bei Sprunggelenksdistorsion: Pause, Eis, Compression, Hochlegen.
Schmerzgels helfen bei Muskelzerrung und Verstauchung – nach einer Woche kann man in der Regel wieder schmerzfrei aktiv werden. Dies bestätigen Cochrane-Reviews von 2017: „Bei Zerrungen und Verstauchungen lassen sich mit verschiedenen topischen NSAR bei zirka einem von 2 bis einem von 5 Menschen die Schmerzen um mindestens die Hälfte verringern.“ Untersucht wurden Produkte mit Diclofenac, Ketoprofen und Piroxicam.
Allerdings sollten Sportler nicht gleich zur Tube greifen, rät Nilges. „Die Belastung zu reduzieren, abzuwarten und die Signale des Körpers kennenzulernen, ist bei leichten Beschwerden sinnvoll.“
Zur Prävention von Schmerzen vor, bei oder nach Sport wird meist empfohlen , sich zu dehnen. „Es gibt allerdings keine guten Belege, dass Dehnen einen relevanten Einfluss auf das Entstehen von Schmerzen hat. Ich mache es aber trotzdem.“ Ebenfalls keine überzeugenden Wirksamkeitsbelege gebe es für Orthesen, Einlagen oder ähnliche technische Hilfsmittel, so Nilges.
Wenn Schmerzen bei Bewegung zunehmen und die sportliche Aktivität beeinträchtigen, sollte die Belastung reduziert und eine Pause von zunächst einer Woche eingelegt werden. Typische „Laufprobleme“ durch Überforderung sind Schmerzen und Verdickungen der Achillessehnen, Reizungen und Entzündungen im Bereich der Schienbeine, Fuß- und Gelenkschmerzen.
Diese Probleme könnten zeitlich limitiert bei den meisten Aktiven auftreten, bei anhaltenden Beschwerden und zunehmenden Schmerzen sind weitere Untersuchungen nötig.
Marathon: Keine Schmerzmittel!
An der Grenze zum Leistungssport bewegen sich viele Hobbyläufer, die mehrere Marathons im Jahr absolvieren. „Während ein gut dosiertes Vorbereitungstraining gesund und sinnvoll ist, ist ein Marathon selbst schädlich für den Körper“, so Nilges. „Ich halte einen Marathon inzwischen für ungesund.“ Empfohlen werden Regenerationszeiten von mindestens 6 Wochen nach einem solchen Lauf.
„Ein absolutes No-Go ist die Einnahme von Schmerzmitteln in Extremsituationen wie bei einem Marathon oder Halbmarathon“, betonte der Experte. Schmerzen verlieren dann ihre Warnfunktion. Wird unter dem Einfluss von Schmerzmitteln gelaufen, werden Gelenke und Muskeln überlastet, die Verletzungsgefahr steigt. „Außerdem können Schmerzmittel gastrointestinale und kardiale Problemen verursachen“, ereinnerte er.
Eine Untersuchung beim Bonn-Marathon und -Halbmarathon 2010 zeigte, dass die Hälfte der Teilnehmer „präventiv“ OTC-Analgetika eingenommen hatten. Bei ihnen wurden mit 4- bis 10-fach höherer Inzidenz unerwünschte Arzneimittelwirkungen festgestellt, z.B. gastrointestinale Blutungen oder kardiovaskuläre Ereignisse.
„Parkrun“ – der neue Trend?
„Regelmäßiges Laufen wirkt dagegen lebensverlängernd, frühzeitiges Krafttraining schützt vor Gebrechlichkeit im Alter“, betonte Nilges. Er machte auf einen besonderen „Lauftreff“ aufmerksam: die „parkrun“-Bewegung.
In England 2004 gegründet, ist die Inititative 2017 auch in Deutschland angekommen: An mittlerweile rund 30 Standorten hierzulande treffen sich am Samstagmorgen um 9 Uhr Menschen aller Altersgruppen und Fitnesslevel zum gemeinsamen Laufen/Walken über 5 km – Schnelligkeit steht dabei nicht im Vordergrund. Mittlerweile organisiert „parkrun“ weltweit solche kostenlosen Läufe. „Dieses niedrigschwellige Angebot ist geeignet, körperlich fit zu bleiben – und zudem für viele der erste Schritt hin zu ambitionierter sportlicher Aktivität“, so Nilges.
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Diesen Artikel so zitieren: Sport: „Ein bisschen Schmerz darf sein“ – was noch „gesund“ ist, und wichtige Tipps zur Vorbeugung - Medscape - 25. Nov 2019.
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