Lancet-Report prognostiziert bis zu 30 Hitzewellen mehr pro Jahr in Süddeutschland – BÄK fordert Hitzeaktionspläne

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

21. November 2019

„Wenn wir die Gesundheit in den Mittelpunkt der künftigen Entwicklung stellen, wäre das ein enormer Gewinn für Gesellschaft und Wirtschaft. Wir hätten sauberere Luft, sicherere Städte und eine gesündere Ernährung.“ Das ist eine der Hauptbotschaften des neuen Lancet-Reports zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit [1]. Erstmals gibt es in diesem Jahr auch einen eigenen Bericht für Deutschland, in Kooperation unter anderem mit der Bundesärztekammer, der Charité und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung – und er enthält drastische Prognosen [2]

 
Wenn wir die Gesundheit in den Mittelpunkt der künftigen Entwicklung stellen, wäre das ein enormer Gewinn für Gesellschaft und Wirtschaft. Lancet-Report
 

Europa ist besonders anfällig für Hitzewellen

Erstellt hat den Lancet-Report der „Lancet Countdown“, eine 2015 gegründete internationale Wissenschaftskooperation unter Beteiligung von 120 Klimaforschern, Ingenieuren, Ernährungsexperten, Politologen und Ärzten. Das Gremium analysiert anhand von 41 Indikatoren, wie sich der Klimawandel auf Leben und Gesundheit auswirken wird und welche Gegenmaßnahmen ergriffen werden sollten. Die Forscher haben berechnet: Wenn es nicht gelingt, den Ausstoß an Treibhausgasen zu verringern, wird ein heute geborenes Kind als Rentner in einer um 4 Grad wärmeren Welt leben. Diese Entwicklung hat bereits begonnen.

Von den 10 heißesten Jahren seit Beginn der Aufzeichnungen lagen 8 im letzten Jahrzehnt. Die anfälligste Region für Hitzewellen ist Europa, weil hier besonders viele alte Menschen leben, es viele große Städte gibt und eine hohe Rate an Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen oder Diabetes vorhanden ist.

Wenn der Ausstoß an Treibhausgasen sich wie bisher fortsetzt, muss Norddeutschland laut der Prognose jedes Jahr mit bis zur 5 zusätzlichen Hitzewellen zwischen Mai und September rechnen. Für Süddeutschland wären es sogar 30. Die hohen Temperaturen und die damit einhergehenden hohen Ozonwerte gefährden vor allem alte Menschen, Säuglinge, Patienten mit chronischen Erkrankungen und Personen, die im Freien schwer körperlich arbeiten wie etwa Bauarbeiter.

Günstige Bedingungen für Dengue-Fieber

Neben dieser direkten Gefahr durch Hitze steigt auch das Risiko für Infektionskrankheiten. Der Report mahnt: Von den 10 günstigsten Jahren für die Übertragung von Denguefieber lagen 9 im Zeitraum seit 2000. Erstmalig traten 2019 Fälle des durch Mücken übertragene West-Nil-Fiebers in Deutschland auf. Bei höheren Temperaturen vermehren sich auch gesundheitsgefährdende Blaualgen und Vibrio-Bakterien in Seen und in der Ostsee.

Dr. Klaus Reinhardt

„Der Bericht belegt eindrücklich, dass die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels nicht irgendwann in weit entfernten Weltgegenden spürbar werden, sondern hier und heute“, sagt Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt.

 
Der Bericht belegt eindrücklich, dass die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels nicht irgendwann in weit entfernten Weltgegenden spürbar werden, sondern hier und heute. Dr. Klaus Reinhardt
 

Unzureichende Gegenmaßnahmen

Alle Bemühungen, diesen Trend aufzuhalten, seien bisher unzureichend, konstatieren die Lancet-Autoren: „Die Indikatoren weisen darauf hin, dass die Erwärmung schneller fortschreitet als die Regierungen fähig oder willens sind zu reagieren. Es werden Gelegenheiten verpasst.“ Gesundheitsexperten hätten daher eine entscheidende Rolle: „Wir müssen über die gesundheitlichen Risiken des Klimawandels informieren und wirksame Gegenmaßnahmen vorantreiben.“

 
Die Indikatoren weisen darauf hin, dass die Erwärmung schneller fortschreitet als die Regierungen fähig oder willens sind zu reagieren. Lancet-Report
 

Viele Maßnahmen zum Klimaschutz hätten auch direkte positive Wirkungen auf die Gesundheit. „Wenn wir Kohlekraftwerke abschalten und unsere Städte fahrradfreundlicher gestalten und dadurch der Autoverkehr abnimmt, nützt das nicht nur dem Klima“, sagt Prof. Dr. Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Charité und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, „diese Maßnahmen helfen auch gegen Luftverschmutzung und führen zu mehr Bewegung. Beides ist ein direkter Gewinn für unsere Gesundheit durch weniger Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen.“

Auch der Gesundheitssektor kann etwas gegen Klimawandel tun

Der Report zu Deutschland formuliert auch konkrete Handlungsaufforderungen an die Politik, etwa Hitzeschutzaktionspläne mit Fokus auf besonders schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen. Diese gibt es teilweise schon, aber nicht für alle Regionen. Die hitzebedingte Sterblichkeit müsse besser erfasst werden, möglichst in Echtzeit. In der Stadtplanung müssten mehr Grünflächen eingeplant werden, um die Aufheizung zu begrenzen.

Auch der Gesundheitssektor selbst könne etwas gegen den Klimawandel tun. Bisher trägt er laut Lancet weltweit 4,6% zur Kohlenstoff-Emission bei. In Deutschland sind es sogar 5,2%. „Deutsche Krankenhäuser haben enorme Möglichkeiten, ihren Energieverbrauch zu senken“, mahnt der Report. Das zeigten 47 Häuser, die mit dem Gütesiegel „Energie sparendes Krankenhaus“ des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ausgezeichnet wurden.

 

Kommentar

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