Herzenssache Schlaf: Ist Insomnie mit zerebro- und kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert?

Damian McNamara

Interessenkonflikte

21. November 2019

Symptome einer Schlaflosigkeit oder Insomnie stehen mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfall, Myokardinfarkt und für andere zerebro- bzw. kardiovaskuläre Erkrankungen (CCVD) in Zusammenhang, wie eine große, prospektive Studie ergab [1]. Allerdings rät ein Experte, die Ergebnisse zurückhaltend zu interpretieren, weil der Gesamteffekt doch „sehr gering“ sei.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass frühmorgendliches Erwachen, Ein- und Durchschlafstörungen sowie Tagesmüdigkeit mit einem um 7%, 9% bzw. 13% erhöhten CCVD-Risiko verbunden ist. Und im Vergleich zu Personen ohne Schlafstörungen war ein Symptom einer Schlafstörung mit einer um 7% höheren CCVD-Inzidenz verbunden, 2 Symptome mit 10% und 3 Symptome mit einer um 18% höheren Inzidenz.

 
Die individuellen Symptome einer Schlafstörung sind unabhängige Risikofaktoren für Herzerkrankungen und Schlaganfall. Dr. Liming Li
 

„Die individuellen Symptome einer Schlafstörung sind unabhängige Risikofaktoren für Herzerkrankungen und Schlaganfall. Erwachsene mit mehreren Symptomen sind einem noch höheren Infarktrisiko in Herz oder Hirn ausgesetzt, was ebenfalls klinische Beachtung finden sollte“, sagt Dr. Liming Li vom Peking University Health Science Center, China, und Koautor der Studie zu Medscape.

Methodische Schwächen älteren Untersuchungen

Früheren Kohortenstudien mangele es an einheitlichen Definitionen von Schlaflosigkeit, wie die Forscher um Li monierten. In einigen Fällen werde Schlaflosigkeit schlicht als „Probleme beim Einschlafen“ definiert.

Sie fügen hinzu, dass es nur „limitierte und umstrittene Evidenzen“ zu den Fragen gebe, ob Alter, Geschlecht oder andere demografische Unterschiede einen Einfluss auf den Zusammenhang zwischen Schlaflosigkeit und CCVD hätten.

Daten von knapp 500.000 Probanden ausgewertet

Um ein klareres Bild zu erhalten, analysierten Li und Kollegen Daten von 487.200 Teilnehmern der China Kadoorie Biobank Study. Ihre Kohorte umfasste Personen zwischen 30 und 79 Jahren aus 10 verschiedenen Regionen Chinas.

Bei allen Teilnehmern hatte man zwischen 2004 und 2008 mithilfe eines Fragebogens abgefragt, ob Probanden an Schlaflosigkeit leiden und – falls ja – welche Symptome im Mittelpunkt stehen. Zu Studienbeginn gaben 10% frühmorgendliches Erwachen, 11% Ein- und Durchschlafstörungen und 2% Tagesmüdigkeit wegen eines nicht erholsamen Schlafes an. Bei keinem der Teilnehmer fanden die Wissenschaftler bei der Rekrutierung Hinweise auf eine CCVD.

Insomnie-Symptome traten am ehesten bei von älteren, unverheirateten Frauen aus ländlichen Gegenden auf. Darüber hinaus fand man in der Gruppe mit Schlaflosigkeit ein niedrigeres Bildungsniveau, ein geringeres Haushaltsnettoeinkommen und einen etwas niedrigeren BMI, verglichen mit Personen ohne diese Beschwerden. Diabetes mellitus und Angst oder Depression waren ebenfalls mit größerer Wahrscheinlichkeit zu finden.

Assoziation von CCVD mit Schlafstörungen größtenteils bestätigt

Die Wissenschaftler werteten CCVD-Ereignisse über einen Follow-up-Zeitraum von durchschnittlich 9,6 Jahren unter Verwendung von ICD-10-Codes, Daten aus Krankheitsregistern und von Kostenträgern sowie Aufzeichnungen der örtlichen Kliniken aus.

Insgesamt wurden 130.032 CCVD-Fälle erfasst, darunter 40.348 Fälle von ischämischen Herzerkrankungen und 45.316 Schlaganfälle. Personen mit mindestens einem Insomnie-Symptom hatten ein leicht erhöhtes gesamtes Schlaganfall-Risiko mit einer Hazard Ratio 1,05-1,08; bei ischämischen Schlaganfällen lag die HR bei 1,06-1,09. Solche Assoziationen ließen sich für hämorrhagische Schlaganfälle nicht nachweisen.

Für jedes einzelne Symptom war das gesamte CCVD-Risiko erhöht. So waren etwa Ein- und Durchschlafstörungen zu Beginn der Untersuchung bei einer Analyse, die um potenzielle Störvariablen wie Alkoholkonsum, Rauchen und körperliche Aktivität bereinigt worden war, mit einer HR von 1,09 (95%-Konfidenzintervall: 1,07-1,11) verbunden. Ebenso war das Risiko beim frühmorgendlichen Erwachen (HR: 1,07; 95%-KI: 1,05-1,09) und bei der Tagesmüdigkeit erhöht (HR: 1,13; 95%-KI: 1,09-1,18).

Junge Erwachsene besonders gefährdet

Die Prävalenz der Insomnie ist bei älteren Erwachsenen zwar höher, doch ist sie interessanterweise „für junge Erwachsene in Bezug auf das CCVD-Risiko tatsächlich schädlicher“, stellen die Autoren fest.

 
Es gibt eine Vielzahl möglicher Erklärungen für diesen Effekt. Ich würde daher die Studie zurückhaltend interpretieren. Dr. James Burke
 

In der Studie war die Assoziation zwischen den 3 Insomnie-Symptomen und der CCVD-Inzidenz in 2 Gruppen stärker: jüngere Erwachsene und Personen ohne Hypertonie zum Zeitpunkt der Messung der Ausgangswerte.

Jüngere Erwachsene oder Erwachsene ohne erhöhten Blutdruck würden am meisten von der Früherkennung und der Intervention bei Insomnie in Bezug auf die kardiovaskuläre Gesundheit profitieren, so Li.

Stärken und Schwächen der Studie

Der nicht erholsame Schlaf als Symptom einer Insomnie wurde in der Studie nicht berücksichtigt. Weitere mögliche Limitierungen der Studie sind der Umstand, dass die Beschwerden nur einmalig mit Studienbeginn erfasst wurden, und dass Probanden die Einschätzung selbst abgaben. „Deshalb“, so die Autoren weiter, „müssen unsere Ergebnisse aufgrund eines möglichen Bias mit Vorsicht interpretiert werden.“ Weitere Studien seien notwendig, um festzustellen, ob sich das CCVD-Risiko verringere, wenn der Lebensstil oder die Schlafhygiene verändert würden, um die Insomnie-Symptome zu lindern.

Dr. James Burke, Neurologe an der University of Michigan in Ann Arbor und nicht an der Studie beteiligt, wies in einem Kommentar für Medscape darauf hin, dass in der Studie gezeigte Auswirkungen sehr klein seien. „Die Robustheit der statistischen Vergleiche kommt durch die enorme Stichprobengröße zustande. Es gibt eine Vielzahl möglicher Erklärungen für diesen Effekt. Ich würde daher die Studie zurückhaltend interpretieren“, sagte Burke und fügte hinzu, dass es die geringe Effektgröße der Studie in Kombination mit „vielen nicht gemessenen Störvariablen“ schwierig machen könnte, die Ergebnisse zu reproduzieren.

 
Diese große Längsschnittstudie liefert weitere Belege dafür, dass selbstberichtete Insomnie-Symptome, die mindestens 3 Mal pro Woche auftreten, von Ärzten ernst genommen werden sollten. Dr. Julio Fernandez-Mendoza
 

Dr. Julio Fernandez-Mendoza, Schlafpsychologe am Penn State College of Medicine in Hershey, Pennsylvania und ebenfalls nicht an der Untersuchung beteiligt, meint, die Studie zeige, wie wichtig eine „verbesserte Früherkennung und frühe therapeutische Ansätze bei Personen im Alter von 30 bis 49 Jahren oder bei Personen sind, die noch keine typischen kardio- oder zerebrovaskulären Risikofaktoren wie etwa Hypertonie entwickelt haben“.

„Personen aus diesen Gruppen, die über Insomnie-Symptome klagen, sollten eingehend klinisch untersucht werden und nicht einfach als gesunde Personen mit isolierten Schlafstörungen betrachtet werden“, sagt er gegenüber Medscape.

Eine „wichtige Einschränkung“ der Studie seien fehlende objektive Messungen des Schlafes, um Erkrankungen wie Schlafapnoe und andere organische Ursachen auszuschließen. Darüber hinaus wäre es sinnvoll gewesen, Insomnie-Patienten zu identifizieren, die eigentlich Kurzschläfer seien.

„Die in dieser Studie angegebenen Risikoschätzungen oder Hazard Ratios liegen beim etwa 1,2-Fachen, während Kurzschläfer eine 2- bis 5-fach erhöhte Risikoeinstufung für kardio-/zerebrovaskuläre Outcomes aufweisen“, so Fernandez-Mendoza. „Dennoch liefert diese große Längsschnittstudie weitere Belege dafür, dass selbstberichtete Insomnie-Symptome, die mindestens 3 Mal pro Woche auftreten, von Ärzten ernst genommen werden sollten.“

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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