Berlin – Dass private Akteure in der globalen Gesundheitspolitik großen Einfluss haben, war für die Teilnehmer der Tagung „Win-win oder Win-lose? Öffentlich-Private Partnerschaften in der Globalen Gesundheit“ der Deutschen Plattform für Globale Gesundheit eine Tatsache [1].
Kontrovers diskutiert wurden aber die Fragen: Ist der Einfluss schon zu groß – oder heiligt der Zweck die Mittel? Welche Regeln braucht es für Kooperationen – und wo sind rote Linien? Kritisiert wurde zudem, dass etwa Stiftungen nicht unbedingt diejenige Gesundheitsversorgung fördern, die die Menschen in Entwicklungsländern am dringendsten bräuchten.
Impfprogramme sind beliebter als Basis-Versorgung
Globale Gesundheitspolitik wäre heute ohne die Ressourcen von Stiftungen und Unternehmen nicht mehr möglich, erläuterte Keynote-Sprecherin Prof. Dr. Anna Holzscheiter, Leiterin der Forschungsgruppe Governance for Global Health am Wissenschaftszentrum Berlin. Sie stellten nicht nur Geld zur Verfügung, sondern auch Medikamente, Daten und ihre Netzwerke.
Insbesondere Stiftungen gelten dabei als „die Guten“, die quasi im öffentlichen Interesse agieren. „Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zu Nichtregierungsorganisationen: Stiftungen haben keinerlei Rechenschaftsverpflichtungen, wofür sie ihre Mittel verwenden“, so Holzscheiter.
Allerdings wollten sie sich oft mit Ergebnissen schmücken. Beliebt seien daher Projekte, deren Effekt man direkt messen kann, etwa Impfprogramme. „Für die Menschen wäre aber oft der Aufbau einer Basis-Gesundheitsversorgung viel wichtiger“, sagte Mareike Haase, Referentin für internationale Gesundheitspolitik bei „Brot für die Welt“, „aber das wird nicht so gern finanziert.“
Haase kritisierte in diesem Zusammenhang auch die Schwerpunktsetzung des gerade zu Ende gegangenen World Health Summit in Berlin: „Da geht es überwiegend um medikamentöse und instrumentelle Ansätze.“
Dr. Christoph Benn widersprach: „Der Einfluss von Stiftungen ist nicht so groß wie gedacht.“ Benn ist Director for Global Health Diplomacy am Joep Lange Institut in Amsterdam und ehemaliger Director External Relations beim Globalen Fond zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Von 15 Sitzen im Vorstand des Globalen Fonds sei nur einer für Stiftungen und einer für die Industrie vorgesehen (heute je 2 von 20 Sitzen). Die Zuwendungen der Bill & Melinda Gates Stiftung etwa machten nur 4% der Gesamteinnahmen aus: „Da gibt es keine dominierende Rolle.“
Für Unternehmen zählt auch der Kontakt zur Politik
Auch die Vertreterin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sah nur einen begrenzten Einfluss von Stiftungen. „Für uns ist der Aufbau der Basis-Gesundheitsversorgung nach wie vor das zentrale Element“, sagte die Leiterin des Referats Gesundheit, Bevölkerungspolitik, Soziale Sicherung Ilse Hahn. Man habe auch mit der Gates-Stiftung die Spielregeln in einem „Memorandum of Understanding“ (etwa: Grundsatzvereinbarung) klar festgelegt. Die Stiftung ist die mit Abstand größte weltweit im Gesundheits- und Entwicklungssektor und vergibt jährlich rund 4,7 Milliarden Euro (Stand 2017).
Der Nutzen für Stiftungen und andere private Akteure ist aber zuweilen auch nicht der direkte Einfluss auf internationale Gremien, sagte Haase – sondern dass sie über diese Kontakt zur Politik bekommen. Sie kritisierte etwa die Zusammenarbeit mit Coca-Cola oder Nestlé: „Diese Unternehmen können so ganz nebenbei Lobbyarbeit für ihre Interessen machen, etwa gegen eine Steuer auf Softdrinks.“
Tatsächlich sind Übergewicht und dessen Folgeerkrankungen auch in vielen Entwicklungsländern zu einem massiven Problem geworden. In Kenia etwa sind Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen mittlerweile die zweithäufigste Todesursache.
„Wir sind uns durchaus bewusst, dass es unterschiedliche Interessen gibt“, sagte Benn, „aber es gibt auch rote Linien.“ Die Tabak- und Waffenindustrie ist tabu. „Bei allen anderen Unternehmen muss im Einzelfall abgewogen werden.“
Coca-Cola lehne man nicht pauschal ab. „Es ist ja auch nicht so, dass Medikamente mit Coca-Cola-Lastern verteilt werden.“ Das Unternehmen berate nur Regierungen mit seiner Expertise zu Vertriebswegen in ländlichen Gebieten. „Ich denke, der Vorteil ist größer als das Risiko.“ Klar sei aber: Der private Sektor könne in der Gesundheitspolitik immer nur eine „komplementäre Rolle“ spielen.
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Diesen Artikel so zitieren: Private Akteure in der globalen Gesundheitspolitik: Zu großer Einfluss – oder heiligt der Zweck die Mittel? - Medscape - 20. Nov 2019.
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