Philadelphia – Eine antiinflammatorische Therapie mit Colchicin kann Infarktpatienten vor erneuten kardiovaskulären Ereignissen, insbesondere vor Schlaganfällen und Angina pectoris, schützen. Das zeigen die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der kardiovaskulären Outcome-Studie COLOT, in die mehr als 4.700 Infarktpatienten aufgenommen worden waren.

Prof. Dr. Jean-Claude Tardif
Das Montreal Heart Institute hat die Studienergebnisse in einer „Late Breaking Science-Session“ zu neuen Ansätzen zur kardiovaskulären Risikoreduktion beim Jahreskongress 2019 der American Heart Association (AHA) in Philadelphia bekannt gegeben [1]. Gleichzeitig ist die Studienpublikation im New England Journal of Medicine erschienen [2].
„COLCOT zeigt, dass Colchicin in einer niedrigen Dosis von 0,5 mg pro Tag das Risiko eines ersten ischämischen Events nach einem Herzinfarkt sowie die allgemeine ischämische Ereignisrate im Vergleich zu Placebo um 23 Prozent beziehungsweise 34 Prozent senkt“, berichtete Studienleiter Prof. Dr. Jean-Claude Tardif, Direktor des Montreal Heart Institutes, Montreal, Kanada.
Antiinflammatorische Behandlung vielversprechend
Inflammation spielt in der Pathogenese von Atherosklerose und akuten Koronarereignissen eine Schlüsselrolle. Schon länger sind Experten daher auf der Suche nach einem antiinflammatorischen Medikament, das Infarktpatienten vor weiteren kardiovaskulären Ereignissen schützen kann. „Zu diesem Zeitpunkt sind die Entzündungswerte sehr hoch“, erklärte Tardif.
Eine Hemmung von Interleukin-1-beta unter dem monoklonalen Antikörper Canakinumab hatte in der CANTOS-Studie zu einer Senkung des inflammatorischen Biomarkes C-reaktives Protein (CRP) im Blut sowie zu einer moderaten 15%igen Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse geführt (wie Medscape berichtete). Allerdings war unter der Antikörper-Therapie die Zahl fataler Infektionen gestiegen. Und Canakinumab ist bislang nicht für die kardiovaskuläre Prävention zugelassen. In der CIRC-Studie führte eine antiinflammatorische Behandlung mit Methotrexat nicht zu einer Besserung kardiovaskulärer Outcomes.
Bei COLCOT handle es sich um „eine große einfache und gut konzipierte ereignisgesteuerte Studie mit dem Ziel, eine einzige Frage zu beantworten“, kommentierte Dr. Aruna Pradhan, Brigham and Women’s Hospital und Harvard Medical School, Boston, USA, auf dem AHA-Kongress.
COLCOT wurde in 12 Ländern mit über 4.700 Patienten durchgeführt
In der randomisierten Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie COLchincine Cardiovascular Outcomes Trial (COLCOT) sollte untersucht werden, ob eine niedrige Dosis des hochwirksamen antiinflammatorisch wirkenden Gichtmittels Colchicin das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse nach einem Herzinfarkt reduzieren kann. Mit oralem Colchicin, das seit Jahrhunderten als antiinflammatorisches Arzneimittel verwendet wird, werden aktuell zudem Patienten mit einer Perikarditis behandelt.
In COLCOT wurden in 167 Zentren in 12 Ländern 4.745 Patienten (Durchschnittsalter 61 Jahre) aufgenommen, bei denen höchstens 30 Tage zuvor ein Myokardinfarkt diagnostiziert worden war; im Mittel wurden die Patienten 2 Wochen nach dem Infarkt in die Studie aufgenommen. Insgesamt 2.366 von ihnen wurden in die Colchicin-Gruppe (Tagesdosis: 0,5 mg), 2.379 in die Placebo-Gruppe randomisiert.
Beinahe alle Patienten erhielten Acetylsalicylsäure (ASS), einen weiteren Thrombozytenaggregationshemmer sowie ein Statin, und 93% waren einer perkutanen Koronarintervention (PCI) unterzogen worden. „Der Therapiestandard war also sehr hoch“, sagte Kardiologe Tardif.
Primärer Studienendpunkt war eine Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Herzstillstand, Myokardinfarkt, Schlaganfall oder akute Hospitalisierung aufgrund von Angina pectoris, die mittels PCI behandelt werden musste.
Eventrate signifikant gesunken
Insgesamt traten während des Follow-ups – im Mittel waren das 22,6 Monate – bei zusätzlich mit Colchicin behandelten Patienten wesentlich weniger (5,5%) kardiovaskuläre Ereignisse auf als bei Studienteilnehmern, die die Placebo-Tablette einnahmen (7,1%). Im primären Endpunkt zeigte sich eine Risikoreduktion von 23%, vor allem aber aufgrund einer signifikant niedrigeren Zahl von Schlaganfällen und Brustschmerz. Bezog man sowohl primäre als auch wiederholte kardiovaskuläre Ereignisse mit ein, betrug der Unterschied sogar 34%.
En détail ergaben sich bezüglich der einzelnen Komponenten des primären Endpunkts folgende Risikoreduktionen:
Kardiovaskulärer Tod: -16%
Herzstillstand: -17%
Myokardinfarkt: -9%
Schlaganfall: -74%
Akute Hospitalisierung aufgrund von mit PCI behandelter Angina pectoris: -50%
Insgesamt wurde das Medikament gut vertragen, berichtete Tardif auf dem AHA-Kongress. In beiden Gruppen traten etwa gleich viele Nebenwirkungen auf. Jedoch war die Rate gastrointestinaler Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Durchfall unter Colchicin leicht erhöht; ebenso die Zahl der Pneumonien. Anders als unter Canakinumab traten aber keine fatalen Infektionen und nur bei wenigen Patienten septische Schocks auf.
Studienergebnis ein „Meilenstein“?
„Die Studienergebnisse stellen einen Meilenstein dar und bestätigen, dass Entzündungsmanagement das kardiovaskuläre Risiko eindämmt“, kommentierte Pradhan. Man habe ein weitreichend verfügbares und relativ sicheres Generikum erfolgreich umnutzen können, so ihr Fazit.
Weniger euphorisch äußerte sich Dr. L. Christin Newby, Bereich Kardiologie am Duke Clinical Research Institute, Duke Medical Center Durham, USA, in einem Editorial zu der Studie [3]. Das Medikament konnte weder die kardiovaskuläre Mortalitätsrate noch das Risiko eines erneuten Infarkts signifikant senken, bemerkte sie.
Zudem, so Newby weiter, wurde die Therapie bei fast 19% der Patienten in beiden Gruppen vorzeitig abgesetzt. Diese Patienten wurden im Schnitt nur 7 Monate mit Colchicin und 6 mit Placebo behandelt. Das könnte „den tatsächlichen Behandlungseffekt sowie die Nebenwirkungen unklarer machen“, so ihre Befürchtung.
„Der moderate Benefit, der vor allem durch den weichen Endpunkt der Hospitalisation aufgrund einer Angina pectoris zustande kam, unterstützt nicht die routinemäßige Gabe von Colchicin für die Sekundarprävention, ohne dass wir genauer verstehen, warum sich keine Auswirkungen auf die Mortalitäts- oder Infarktrate gezeigt hat“, so Newbys Fazit.
Das niedrigere Schlaganfallrisiko sei jedoch eine „interessante Beobachtung“. Jedoch sei bislang unklar, ob sich das Medikament tatsächlich zerebrovaskulär auswirke oder es sich um einen Zufallsbefund handle.
Zwar sei es sinnvoll, weiter nach antiinflammatorischen Medikamenten mit besseren Nebenwirkungsprofilen zu suchen, so ihre Empfehlung. Jedoch sei die Frage, „ob die Behandlung tatsächlich auf die Inflammation selbst abzielen solle oder ob man pathologische Prozesse oder Mediatoren identifizieren müsse, die die Inflammation erst in Gang bringen, so dass man zu einem früheren Zeitpunkt intervenieren kann“.
Neue Studie – mit Diabetes-Patienten
Tardif jedoch kündigte gleich die nächste Colchicin-Studie an. Nach den positiven Ergebnissen bei Infarktpatienten müsse nun untersucht werden, ob sich das antiinflammatorisch wirkende Medikament auch bei anderen Hochrisikopatienten positiv auf die Eventrate auswirke, sagte er auf dem AHA-Kongress. „Wir werden die COLCOT-T2D-Studie in 10.000 Patienten mit Diabetes, aber ohne bekannte kardiovaskuläre Erkrankungen, durchführen.“
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Schutzengel Colchicin: Es kann nach Myokardinfarkt die Rate kardiovaskulärer Ereignisse senken - Medscape - 19. Nov 2019.
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