„Die Zukunft der Antibiotika hängt von uns allen ab!“ – unter diesem Motto steht die Weltantibiotikawoche der Weltgesundheitsorganisation vom 18. bis 24. November [1]. Die WHO ruft damit Politik, Pharmahersteller, Ärzte, Veterinärmediziner und auch Patienten dazu auf, ihren Beitrag zu leisten, um die Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen zu verringern und die Wirksamkeit und Verfügbarkeit von Antibiotika auch in Zukunft sicherzustellen.
„Das reicht von der rationalen Antibiotikaverordnung in der Human- und Tiermedizin über den sorgsamen Umgang mit Antibiotika seitens der Patienten bis hin zur Politik und der pharmazeutischen Industrie, die sich dringend über die Problematik der unzureichenden Antibiotika-Forschung und Antibiotika-Lieferengpässe verständigen müssen“, sagt Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie an der Universitätsklinik Köln und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) in einer Stellungnahme der DGI. Aus Anlass der Weltantibiotikawoche greift die DGI 3 Aspekte auf.
1. Antibiotika wirken nicht gegen Erkältung oder Grippe
Nach einer Umfrage der DAK erwarten 72% der Patienten, dass ihr Arzt bei anhaltenden Symptomen einer Erkältung ein Antibiotikum verschreibt. Und tatsächlich werden noch immer häufig Antibiotika verschrieben. Fälschicherweise – denn Bakterien wirken bekanntlich nur gegen Bakterien, nie gegen Viren. Allenfalls dann, wenn eine Virusinfektion von einer bakteriellen Infektion begleitet wird, kann ein Antibiotikum sinnvoll sein.
2. Antibiotika-Einnahme: Je länger, desto besser? Von wegen
Viele kennen noch die Regel: „Antibiotika einnehmen, bis die Packung leer ist.“ Doch diese Regel ist veraltet. „Viele Jahre ist man davon ausgegangen, dass eine längere Antibiotikatherapie die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr der Infektion oder die Ausbildung von Resistenzen verringert“, erklärt Fätkenheuer.
Die Idee dahinter war, möglichst alle krankmachenden Bakterien abzutöten. „Heute wissen wir: Je länger die Bakterien dem Selektionsdruck eines antimikrobiellen Wirkstoffs ausgesetzt sind, desto wahrscheinlicher überleben überwiegend resistente, also gegen das Mittel unempfindliche Erreger“, erläutert Fätkenheuer. Eine kürzere Antibiotikatherapie hat nicht nur den Vorteil von weniger Resistenzentstehung – sie geht auch mit weniger Nebenwirkungen einher.
Studien haben gezeigt, dass kürzere Antibiotikatherapien einer längeren Therapie gleichwertig oder sogar überlegen sind. So wies eine 2016 im JAMA veröffentliche Untersuchung zur ambulant erworbenen Lungenentzündung nach, dass eine 5-tägige Antibiotikatherapie als ebenso wirksam war wie eine 10-tägige.
Das heißt allerdings nicht, dass Patienten ein Antibiotikum eigenhändig absetzen sollten, sobald ihre Symptome verschwunden sind, erklärt Prof. Dr. Winfried Kern, Vorstandsmitglied der DGI und Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Freiburg. „Für solch eine einfache Faustregel ist die moderne Antibiotikatherapie zu komplex.“ Vielmehr gilt: Es hängt von der Art der Erkrankung, ihrer Schwere, dem individuellen Verlauf und dem jeweiligen Bakterientyp ab, wie lange ein Antibiotikum eingenommen werden muss.
Bei einer Harnwegsinfektion z.B. muss das Medikament nur einen Tag lang eingenommen werden. Auch für Antibiotika gilt: Sie sollten so lange wie nötig, aber so kurz wie möglich eingenommen werden.
3. Nicht-resistente Erreger sind immer noch die größte Gefahr
Tatsächlich sind resistente Bakterien nicht – wie oft angenommen – per se gefährlicher als nicht-resistente. Zur Behandlung von MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus) stehen noch immer Antibiotika aus mindestens 6 unterschiedlichen Substanzklassen zur Verfügung.
Für andere, nicht-resistente Bakterien, gibt es weniger Antibiotika-Substanzklassen. In Deutschland werden die meisten schweren Infektionen durch Erreger verursacht, die nicht als multiresistent gelten: Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 30.000 Menschen an einer durch Staphylococcus aureus ausgelösten Blutstrominfektion, weniger als 10% davon werden durch die multiresistente Variante von Staphylococcus aureus – also MRSA – ausgelöst. MRSA ist sogar auf dem Rückzug – doch die nicht-resistente Variante fordert nach wie vor jedes Jahr tausende Menschenleben.
Noch genauer hinschauen
Wie der Antibiotika-Einsatz in der ambulanten Versorgung bei Patienten mit unkomplizierten Infektionen reduziert werden kann, wird derzeit beispielsweise in der ARena-Studie untersucht. In der 3-armigen, Cluster-randomisierten Studie werden verschiedene Maßnahmen in der Routineversorgung erprobt. In 14 Arztnetzen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen schauen Ärzte noch genauer hin, ob eine Antibiotikagabe wirklich nötig ist.
Die teilnehmenden Ärzte bilden sich fort, treffen sich in Qualitätszirkeln und diskutieren, in welchen Fällen Antibiotika sinnvoll sind und wann darauf verzichtet werden kann. Zum Projekt gehört auch, medizinische Fachangestellte fortzubilden und über Öffentlichkeitsarbeit und Patienteninformation das Thema einem großen Publikum näherzubringen.
ECDC-Umfrage zum Wissen über Antibiotika
Dass Unsicherheit im Umgang mit Antibiotika eine nicht unwesentliche Rolle spielt, belegen die Ergebnisse einer Umfrage der Europäischen Behörde zur Kontrolle von Infektionskrankheiten (ECDC), an der 18.000 Beschäftigte aus dem Gesundheitsbereich aus 30 europäischen Ländern teilnahmen:
Das Wissen über Antibiotika ist hoch. Mehr als 89% der Befragten kennen den Zusammenhang zwischen der Verschreibung, Abgabe und Verabreichung von Antibiotika und der Entstehung und Verbreitung von Resistenzen. Allerdings stimmten nur 58% der Aussage zu, dass sie eine Schlüsselrolle bei der Kontrolle von Antibiotikaresistenzen spielen sollten. Und nur 75% gaben die richtige Antwort, dass „jede mit Antibiotika behandelte Person einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist, an einer antibiotikaresistenten Infektion zu erkranken“.
43% der Ärzte gaben an, dass sie in der Woche vor der Umfrage mindestens einmal aus Angst vor einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten oder vor Komplikationen ein Antibiotikum verordnet haben, obwohl sie es lieber nicht getan hätten.
97% der Befragten beantworteten richtig, dass Antibiotika nicht gegen Erkältungen und Grippe wirksam sind, und dass sie mit Nebenwirkungen wie Durchfall, Kolitis, Allergien assoziiert sind.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Weltantibiotikawoche: Irrtümer, Unwissenheit, Angst – was Fehlverordnungen und Resistenzen fördert - Medscape - 18. Nov 2019.
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