Philadelphia – Mit einer 2-mal jährlichen Injektion von Inclisiran kann zusätzlich zu Statinen der LDL-Cholesterinspiegel bei Risikopatienten signifikant um 58% verringert werden. Dies zeigte die zweite nun vorgestellte Phase-3-Studie mit dem neuen Therapieprinzip – ORION-10. Inclisiran ist ein chemisch modifiziertes doppelsträngiges RNA-Molekül (small interfering RNA – siRNA).

Prof. Dr. R. Scott Wright
Die Ergebnisse stellte Prof.Dr. R. Scott Wright, Mayo Clinic, Rochester, Minnesota, bei den Scientific Sessions 2019 der American Heart Association in Philadelphia vor [1]. Die Senkung des LDL-Cholesterin-Spiegels konnte über die Beobachtungszeit von 18 Monaten aufrechterhalten werden. Die Verträglichkeit von Inclisiran war mit Placebo vergleichbar.
„Unsere Ergebnisse zeigten, dass Inclisiran eine neue Therapiemöglichkeit für hohe LDL-Cholesterinspiegel ist. Die vorgefüllte Spritze ist bequem anzuwenden und wird gut toleriert“, so das Fazit von Wright. Die Adhärenz könne aufgrund der 2-mal jährlichen Gabe gut überprüft werden, weil normalerweise die Patienten etwa 2-mal im Jahr in die Praxis kämen.
Seltene Verabreichung – gut für Adhärenz oder nicht?

Prof. Dr. Karol E. Watson
Das sah Diskutantin Prof. Dr. Karol E. Watson, David Geffen School of Medicine, University of California, Los Angeles etwas kritischer: „Wir wissen nicht wirklich, welche Auswirkungen die seltene Dosierung auf die Adhärenz der Patienten hat. Ich würde gerne sagen, dass meine Patienten zweimal im Jahr zu mir kommen, aber sie tun es nicht. Und ich weiß nicht, ob die Therapie bei den Patienten nicht aus den Augen und aus dem Sinn ist oder ob sie ermutigt sind, diese aufrechtzuerhalten.“
Watson betonte aber, dass die siRNA „LDL-Cholesterin-Spiegel sehr beeindruckend und sehr anhaltend“ senkte. Die Therapie sei sicher, und sie wurde gut vertragen. Aber Watson wüsste gerne, welche Effekte Inclisiran auf HDL-Cholesterin und Triglyceride habe.
Weil Inclisiran eine potenziell lebenslange Therapie sei, benötige man Sicherheitsdaten über lange Zeiträume. Man wisse auch noch nicht, ob sie klinische Endpunkte verbessere und hier besser als Statine sei.
So senkt siRNA Lipide
Das chemisch modifizierte doppelsträngige RNA-Molekül Inclisiran wird subkutan appliziert und hat eine sehr lange Wirkungsdauer.
Es ist mit 3-antennigen N-Acetylgalactosamin-Kohlenhydraten konjugiert. Diese Kohlenhydrate binden an von der Leber exprimierte Asialoglykoprotein-Rezeptoren, hierdurch wird Inclisiran spezifisch in die Leberzellen aufgenommen.
Dort bindet Inclisiran an den RNA-induzierten Silencing Complex (RISC). Hierdurch werden Messenger-RNA-Moleküle, die für PCSK9 (Proprotein Convertase Subtilisin/Kexin Typ 9) kodieren, abgespalten und abgebaut. Somit stehen sie für die Protein-Translation nicht mehr zur Verfügung, der PCSK9-Spiegel sinkt. In der Folge sinkt der LDL-Cholesterin-Spiegel.
Klinische Prüfung im ORION-Programm
In der Phase-2-Studie ORION-1 hatte sich eine 2-mal jährliche Gabe von 300 mg Inclisiran als wirksam erwiesen, diese Dosis wurde nun in den Phase-3-Studien eingesetzt. Die Ergebnisse der ORION-11-Studie mit 1.167 Patienten waren beim ESC-Kongress in Paris vorgestellt worden.
Wright präsentierte in Philadelphia nun die Ergebnisse einer zweiten Phase-3-Studie, der ORION-10, in die in 145 Zentren 1.561 Patienten aufgenommen worden waren. Die Patienten hatten eine atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung (ASCVD) und einen hohen LDL-Cholesterinspiegel trotz hochdosierter Statin-Therapie. Alle Teilnehmer erhielten Statine bis zur maximal tolerierten Dosis.
Randomisiert wurden 781 Patienten mit Inclisiran behandelt, wobei sie je 300 mg subkutan an Tag 1, nach 3 Monaten und dann alle 6 Monate erhielten.
Die demografischen Parameter der beiden Gruppen waren vergleichbar. Die Patienten waren im Median 66 Jahre alt, rund 70% waren Männer. Eine heterozygote familiäre Hypercholesterinämie lag bei 9% vor. Rund 90% wurden mit Statinen behandelt. Der LDL-Cholesterinausgangswert lag bei 105 mg/dl.
Der koprimäre Endpunkt umfasste die Änderung des LDL-Cholesterinspiegels an Tag 510 im Vergleich zum Ausgangswert sowie die prozentuale Veränderung des LDL-Cholesterinspiegels von Tag 90 bis Tag 540.
LDL-Cholesterin sank um 58 Prozent
Der primäre Endpunkt der Studie wurde erreicht: Der LDL-Cholesterinwert war in der Inclisiran-Gruppe an Tag 510 signifikant um 58% gesunken (p < 0,00001). Auch die prozentuale Veränderung von Tag 90 bis Tag 540 war mit -56% signifikant im Vergleich zu Placebo (p < 0,00001).
Das Nebenwirkungsprofil von Inclisiran war mit dem unter Placebo vergleichbar. Unerwünschte Wirkungen an der Injektionsstelle waren selten, meist nur leicht und vorübergehend. Es gab keine Hinweise für unerwünschte Wirkungen auf Leberenzyme, Parameter der Nieren- und Muskelfunktion oder Thrombozyten. Unter Placebo brachen 2,2% der Patienten, unter Inclisiran 2,4% die Therapie wegen Nebenwirkungen ab.
Eine exploratische Analyse vordefinierter kardiovaskulärer Endpunkte zeigte im Trend eine Reduktion von 10,2% unter Placebo auf 7,4% unter Inclisiran.
„Inclisiran erreichte mit zweimal jährlicher Injektion als Add-on zu adäquater Lipidsenkerbehandlung bei Patienten mit atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung eine anhaltende und potente Reduktion des LDL-Cholesterinspiegels über 18 Monate, wobei das Sicherheitsprofil ähnlich dem von Placebo war“, so die Zusammenfassung von Wright.
Orion-4 untersucht klinische Endpunkte
Mit den Daten der Phase-3-Studien Orion-9, Orion-10 und Orion-11 wird vermutlich noch in diesem Jahr die Zulassung von Inclisiran bei der Food and Drug Administration (FDA) und Anfang 2020 bei der Europäischen Zulassungsbehörde (EMA) beantragt.
In der Phase-3-Studie Orion-4 werden derzeit kardiovaskuläre Endpunkte bei rund 15.000 Teilnehmern untersucht. Mit ersten Ergebnissen wird im Dezember 2024 gerechnet.
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Diesen Artikel so zitieren: Spritze gegen LDL: Inclisiran senkt zusätzlich zu Statin LDL-Cholesterin um 58 Prozent im Vergleich zu Placebo - Medscape - 18. Nov 2019.
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