Risiko-adaptiertes Screening bei Darmkrebs: Könnte es die Früherkennung verbessern?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

19. November 2019

Heidelberg – Die Zahl der Neuerkrankungen bei Darmkrebs ist rückläufig und auch die krebsbedingte Mortalität nimmt ab – bei älteren Menschen. „Es gibt aber eine Zunahme des kolorektalen Karzinoms bei den Unter-50-Jährigen – und zwar um über 30 Prozent in den vergangenen 20 Jahren“, berichtete Prof. Dr. Birgit Kallinowski, Gastroenterologische Gemeinschaftspraxis, Schwetzingen, auf dem 7. Heidelberger CRC-Symposium des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) [1].

Die Expertin gab ein Update zur Darmkrebs-Früherkennung und zeigte auf, wie ein noch besseres – nämlich Risiko-adaptiertes – Screening aussehen könnte.

Nach den Krebsregisterdaten des Robert Koch-Instituts (RKI) aus 2017 lag die Zahl der Neuerkrankungen bei Darmkrebs bei 61.010 (33.120 Männer und 27.890 Frauen). 25.512 Personen starben an Darmkrebs. 39% der Erkrankungen wurden im Stadium I, 30% im Stadium II, 21% im Stadium III und 10% im Stadium IV (metastasierend) diagnostiziert. Die 5-Jahres-Überlebenszeit lag bei 62%.

Die Darmkrebs-bedingte Sterblichkeit konnte um 90% gesenkt werden. 70% aller durch die Früherkennungs-Koloskopie entdeckten Karzinome im Stadium I und II sind heilbar ohne Verkürzung der Lebenserwartung. Mehr als 100.000 Kolonkarzinome wurden seit Einführung der Früherkennungs-Koloskopie 2002 verhindert, so Kallinowski.

Derzeitige Krebsfrüherkennung: Noch reichlich Luft nach oben

Kallinowski machte aber auch deutlich, dass die Teilnahmeraten an den Früherkennungsuntersuchungen noch ausbaufähig sind. Für die Koloskopie liegt die Teilnahmerate bei Frauen bei 23,8% und bei Männern bei 21,3%, für die Darmkrebsberatung bei nur 11,9% bei den Frauen und bei 9,7% bei den Männern. Und selbst der Test auf okkultes Blut (FOBT) wird nur von 13,7% der Frauen und 9,6% der Männer angenommen.

Seit April 2017 wird ein immunologischer FOBT (iFOBT) ab dem 50 Lebensjahr jährlich und ab dem ab dem 55. bis 74. Lebensjahr alle 2 Jahre angeboten. Seit April 2019 gibt es eine Vorsorge-Koloskopie ab dem 50. Lebensjahr für Männer und ab dem 55. Lebensjahr für Frauen. War die Koloskopie unauffällig, wird sie alle 10 Jahre wiederholt. Die Nachsorge-Intervalle sehen wie folgt aus:

 

Ausgangssituation

Intervall-Koloskopie

1 oder 2 kleine tubuläre Adenome (< 1 cm) ohne villöse Komponente oder hochgradige intraepitheliale Neoplasie

5 bis 10 Jahre

3 oder 4 Adenome oder ≥ 1 Adenom ≥ 1 cm oder villöse Komponente oder hochgradige intraepitheliale Neoplasie

3 Jahre

≥ 5 Adenome

< 3 Jahre

Serratierte Adenome

Wie bei klassischen Adenomen

Abtragung in piece-meal-Technik

Kontrolle der Abtragungsstelle nach 2 bis 6 Monaten

 

Entsprechend des Krebsfrüherkennungs-Registergesetzes (KFRG) von 2013 im Nationalen Krebsplan werden nun seit Juli 2019 Männer und Frauen im Alter von 50, 55, 60 und 65 Jahren durch die Krankenkassen zur Koloskopie eingeladen. Teil der Einladung ist ein 18-seitiger Aufklärungsbogen zur Entscheidungshilfe, um eine informierte Teilnahme der Patienten zu erzielen.

Kritik an neuer Früherkennung

„Das Einladungsschreiben ist zu textlastig – welcher Patient liest sich schon durch 18 Seiten?“, so Kallinowski. Sie kritisiert auch, dass der iFOBT nicht zusammen mit dem Einladungsschreiben verschickt wird.

 
Das Einladungsschreiben ist zu textlastig – welcher Patient liest sich schon durch 18 Seiten? Prof. Dr. Birgit Kallinowski
 

Hinzu kommt: Fällt ein iFOBT positiv aus, gilt die Koloskopie nur als Abklärungskoloskopie und wird dann nicht im Vorsorgedokumentations-Register eingegeben, was die Dokumentation unvollständig macht.

Sie kritisiert ferner, dass keine nationale Kampagne zur KFRG-Einführung stattfand. Sinnvoll wäre außerdem eine Risiko-adaptierte Früherkennungs-Koloskopie.

Risiko-adaptiertes Screening sollte Lebenszeitrisiko berücksichtigen

Eine Risiko-adaptierte Früherkennungs-Koloskopie sollte sich auch am Lebenszeitrisiko orientierten. Das liegt für die Normalbevölkerung bei 6%. Liegt hingegen eine familiäre Adenomatöse Polyposis (FAP) vor, besteht ein Lebenszeitrisiko, an Darmkrebs zu erkranken, von 95%. Die FAP hat eine Prävalenz von etwa 1/8.000 bei Geburt und 1/11.000 bis 1/35.000 in der europäischen Allgemeinbevölkerung. Sie ist die Ursache von ungefähr 1% der kolorektalen Karzinome.

Die häufigste Form des erblichen Darmkrebses ist der Erbliche Nicht-polypöse Darmkrebs (HNPCC). 5 bis 7% aller Darmkrebsfälle sind auf ein HNPCC zurückzuführen. Die Veranlagung wird von einem Elternteil geerbt, ist damit von Geburt an vorhanden und kann schon im jungen Lebensalter zu Darmkrebs führen. Die Wahrscheinlichkeit, an Darmkrebs zu erkranken, liegt bei 60 bis 80%.

Liegt eine positive Familienanamnese vor (d.h. mind. ein Verwandter 1. Grades erkrankt vor dem 50. Lebensjahr an Dickdarmkrebs), liegt das Lebenszeitrisiko bei > 12%. Generell erkranken Männer häufiger an Darmkrebs als Frauen, und generell steigt das Risiko ab dem 50. Lebensjahr.

 
Dreimal pro Woche 30 Minuten Bewegung oder Sport, bei dem man ins Schwitzen kommt, kann das CRC-Risiko schon deutlich senken. Prof. Dr. Birgit Kallinowski
 

Die KolosSal-Studie nennt eine Reihe Risikoprädiktoren für die Entstehung eines kolorektalen Karzinoms: Geschlecht, Alter, erstgradige Verwandte mit kolorektalem Karzinom, Nikotinabusus (Höhe des Risikos abhängig von Menge und Zeitraum), Alkoholkonsum und der Konsum von rotem Fleisch, die Einnahme von nicht steroidalen Antiphlogistika, vorausgegangene Koloskopie und Adenome in der Anamnese.

Eine Risiko-adaptierte Früherkennungs-Koloskopie in Zukunft setzt sich zusammen aus Lebensstil- und Umweltfaktoren (Nikotin- und Alkoholkonsum, hoher Verzehr roten Fleisches, Übergewicht, Diabetes und mangelnde Bewegung) und genetischen, morphologischen und topographischen Risikofaktoren. Wobei schon relativ wenig Bewegung schützend wirkt, so Kallinowski: „Dreimal pro Woche 30 Minuten Bewegung oder Sport, bei dem man ins Schwitzen kommt, kann das CRC-Risiko schon deutlich senken.“

In einem Modell stellten US-Wissenschaftler 2018 ein Risiko-adaptiertes Darmkrebs-Screening der Zukunft vor. Das könnte sich aus einem E-Score (environmental risk factor) und einem G-Score (Gene-Umwelt-Interaktions-Index) zusammensetzen. „Ein solches Screening würde eine individuelle Strategie mit Festlegung des optimalen Screening-Zeitpunkts erlauben.“ Die Kenntnis des individuellen Risikoprofils würde auch zu einer höheren Inanspruchnahme der Früherkennung führen.
 

Kommentar

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