Heidelberg – Liquid Biopsy ist derzeit „in“, das zeigt auch die stetig steigende Zahl an Publikationen zum Thema. Doch was kann die Liquid Biopsy beim Kolorektalen Karzinom derzeit tatsächlich leisten? Der Frage ging Prof. Dr. Uwe Martens, SLK Kliniken Heilbronn, auf dem 7. Heidelberger CRC-Symposiums des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) nach [1].
Mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) und nachfolgender Sequenzierung lassen sich Tumorzellen und Tumor-DNA im Blut nachweisen. Allerdings ist ihre Konzentration sehr klein. Selbst bei fortgeschrittenen malignen Tumoren findet man häufig nur 1 Tumorzelle auf 1 Milliarde normaler Blutzellen.
Der Anteil der ctDNA (circulating tumor DNA, zirkulierende Tumor-DNA) an der gesamten cfDNA (zellfreien DNA) könne bei Krebspatienten stark variieren, von weniger als 0,1% bis zu mehr als 90%, so Martens. Dass die ctDNA-Konzentration mit zunehmender Krankheitsprogression steigt und die Konzentration in Stage IV-Tumoren deutlich höher ist als bei Stage I-Tumoren, konnte 2014 eine Studie zeigen. Doch wie relevant sind die Analysen für den klinischen Alltag?
Liquid Biopsy bei lokalisierter, klinisch nicht nachweisbarer Erkrankung
2018 konnten Cohen und Kollegen nachweisen, dass der CancerSEEK-Test 16 Krebsgene und 8 Serummarker von 8 Tumortypen (Leberkrebs, Magenkrebs, Pankreaskarzinom, Lungenkrebs, Darmkrebs, Brustkrebs, Speiseröhrenkrebs und Eierstockkrebs) identifiziert. Bei 1.005 Patienten mit nicht-metastatischen, klinisch nachweisbaren Tumoren war der Test im Median bei 70% positiv. Die Sensitivität lag zwischen 69 und 98%, und die Spezifität betrug mehr als 99%.
Allerdings wurden Stage I-Tumoren deutlich seltener detektiert als Stage III-Tumoren. So spürte der Test nur 43% aller Stage I-Tumoren auf, mit zunehmendem Tumorstadium verbesserte sich die Detektion. Für die Detektion eines lokalisierten, klinisch nicht nachweisbaren Tumors ist die Liquid Biopsy deshalb derzeit nur bedingt geeignet. Insofern könne die Arbeit von Cohen „nur ein Anfang“ sein, betont Martens.
Entsprechend räumt die S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“ dem Nachweis von zirkulierender DNA und zirkulierenden Tumorzellen im peripheren Blut wie im Knochenmark bei lokalisierter, klinisch nachweisbarer Erkrankung derzeit keinerlei Relevanz ein.
Liquid Biopys nach chirurgischer Resektion, bei minimaler Resterkrankung
Hinweise darauf, dass ctDNA-Messungen verwendet werden können, um die Tumordynamik bei Krebspatienten nach Operation oder Chemotherapie zu überwachen, fanden sich schon 2008 in einer Studie in Nature Medicine . Die Wissenschaftler hatten 162 Plasmaproben von 18 Probanden ausgewertet, die sich einer multimodalen Therapie bei Darmkrebs unterzogen hatten.
Dass sich die Verwendung von cfDNA zum Nachweis von minimalen Resterkrankungen (MRD) und zum Management der postoperativen Therapie eignet, bestätigt auch eine Studie aus dem vergangenen Jahr. Obwohl die ctDNA von Patient zu Patient stark variieren kann, korrelieren die ctDNA-Werte bei einem einzelnen Patienten im Lauf der Zeit gut mit Veränderungen der Tumorlast und des Behandlungserfolgs, so die Studienautoren.
Eine Arbeit australischer und US-amerikanischer Onkologen von 2016 zeigt, dass sich mittels ctDNA bei Patienten mit Kolonkarzinom Stage II postoperativ eine minimale Resterkrankung erkennen und auch das Wiederauftreten von Krebs prognostizieren lässt. Es gelang den Forschern, nach der Resektion eines Stage II-Tumors Patienten mit dem höchsten Rezidivrisiko zu identifizieren.
Bei Patienten, die keine adjuvante Chemotherapie erhalten hatten, wurde ctDNA postoperativ bei 14 von 178 (7,9%) Patienten nachgewiesen. Von diesen 14 Patienten erlitten 11 (79%) während des Follow-ups von 27 Monaten ein Rezidiv. Bei Patienten mit negativer ctDNA trat ein Rezidiv nur bei 16 (9,8 %) von 164 Patienten auf (HR: 18; 95%-Konfidenzintervall: 7,9 bis 40; p < 0,001).
Bei den Patienten, die Chemotherapie erhalten hatten, war das Vorhandensein von ctDNA nach Abschluss der Chemotherapie mit einem geringeren rezidivfreien Überleben verbunden (HR: 11; 95%-KI: 1,8 bis 68; p = 0,001). Der ctDNA-Nachweis lieferte direkte Hinweise auf Resterkrankungen und identifizierte Patienten mit einem sehr hohen Rezidivrisiko. Das könnte Entscheidungen über weitere adjuvante Behandlungen erleichtern.
Auch eine aktuelle Kohortenstudie mit 96 Patienten mit Darmkrebs Stage III in JAMA Oncology zeigt, dass postchirurgische und postchemotherapeutische zirkulierende Tumor-DNA-Analysen Patienten mit hohem Rezidivrisiko identifizieren können. Die ctDNA-Analyse nach Chemotherapie konnte eine Patientenuntergruppe definieren, die trotz der abgeschlossenen adjuvanten Standardbehandlung ein hohes Rezidivrisiko aufwies.
Liquid Biopsy bei metastasierten Krebserkrankungen
Einige ctDNA-Assays hätten auch klinische Validität bei bestimmten Arten von fortgeschrittenem Krebs gezeigt, schreiben Dr. Jason Merker und Kollgen in einem Review 2018. Otpimalerweise werde der Test auf ctDNA mit Plasma durchgeführt. Und zwischen Plasma und Gewebeproben gibt es hohe Übereinstimmungsraten (80 bis 90%) – was erwarten ließe, dass sich das auch in den ctDNA-Tests widerspiegelt. Dennoch zeige die Evidenz, dass die Ergebnisse von ctDNA-Assays und die Ergebnisse der Genotypisierung von Tumorproben voneinander abweichen.
Die Tumorbiopsie bleibe deshalb Standard für die initiale pathologische Diagnose und molekulare Tests, betont Martens. Etwa 15% der Patienten mit metastasierendem Krebs weisen zudem möglicherweise nicht genügend ctDNA auf, um eine mutierende Profilerstellung aus dem Plasma zu ermöglichen. Zu wenig Material für die klinische Sequenzierung. Hinzu kommt: cfDNA kann auch von anormalen und oft gutartigen klonalen Populationen (clonal hematopoiesis, CH; clonal hematopoiesis of indeterminate potential, CHIP) stammen. Die Häufigkeit von CHIP nimmt mit dem Alter exponentiell zu, sie liegt bei mehr als 10% bei Personen über 70 Jahren.
Auch insgesamt kommen Merker und Kollegen zu einer eher nüchternen Bilanz: Es gebe keine Beweise für den klinischen Nutzen und wenig Beweise für die klinische Validität von ctDNA-Assays bei Krebs im Frühstadium, bei der Therapieüberwachung oder beim Nachweis von Resterkrankungen, schreiben sie. Es gebe auch keine Hinweise, die darauf hindeuteten, dass ctDNA-Assays außerhalb einer klinischen Studie für die Krebsvorsorge nützlich sind.
Auch die S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“ weist der cfDNA-Analyse zur Bestimmung des RAS-Mutationsstatus kaum Bedeutung zu: „Die Bestimmungen des RAS-Mutationsstatus können entweder am Primärtumorgewebe oder an Metastasen erfolgen. Falls die Bestimmung des RAS-Mutationsstatus aus dem Gewebe nicht möglich ist, kann in Betracht gezogen werden, den RAS-Mutationsstatus aus der im Blut zirkulierenden Tumor-DNA zu ermitteln (Empfehlungsgrad 0).“
Tumorbiopsie bleibt Goldstandard, RAS-Biomarkertest als Ergänzung
Goldstandard zur Bestimmung des RAS-Status ist die Gewebeuntersuchung durch den Pathologen. Seit dem 1. Dezember 2015 ist es in Deutschland aber möglich, den Mutationsstatus von Darmtumoren mit einem RAS-Biomarkertest zu bestimmen, dem OnkoBEAM®-Test. Dieser könne als Ergänzung zu herkömmlichen Gewebebiopsien oder chirurgischen Eingriffen dienen, so Martens.
Wie er weiter berichtet, seien seit 2012 mehr als 50 große klinische Studien mit OncoBEAM® publiziert und mehr als 55 000 Proben analysiert worden. Der Test habe dabei eine sehr hohe Sensitivität und nachgewiesene klinische Relevanz für mCRC und NSCLC gezeigt. Hinzu kommt die gute Übereinstimmung von Gewebeanalysen versus Plasmaanalysen.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Studien im Überblick: Was kann die Liquid Biopsy in der Onkologie schon heute leisten – und wo liegen die Grenzen? - Medscape - 18. Nov 2019.
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