Knapp 40% aller Geburten finden erst nach dem errechneten Termin statt, etwa 1 von 16 erst nach der vollendeten 42. Woche. Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) zum Vorgehen bei Terminüberschreitung und Übertragung sieht vor, ab 41+0 eine Geburtseinleitung anzubieten, 3 Tage später zu empfehlen und spätestens beim Erreichen der 43. Woche die Schwangerschaft durch Einleitung oder Kaiserschnitt zu beenden. Ergebnisse aus Schweden stellen dieses Prozedere infrage [1].
Wie die Risiken einer Übertragung bewerten?
Das wesentliche und gefürchtete Risiko bei Terminüberschreitung und Übertragung ist der intrauterine Fruchttod (IUFT) wegen eines Plazenta-Versagens. Aber auch die neonatale Morbidität durch Schulterdystokie, Pneumonien und Sauerstoffmangel-Folgen wie Mekonium-Aspiration und peripartale Asphyxie steigt mit jedem Tag der Terminüberschreitung an.
Entsprechend dem Trend, Interventionen während Schwangerschaft und Geburt möglichst zu vermeiden, wird unter Geburtshelfern und Hebammen immer wieder diskutiert, wie die Risiken einer Übertragung zu bewerten sind, ob tatsächlich beim Erreichen der 43. Woche die Schwangerschaft in jedem Fall beendet werden muss und ob das weitere Zuwarten tatsächlich das Risiko für das Kind messbar erhöht.
In Schweden ist im Jahr 2016 unter der Schirmherrschaft der Swedish Society of Obstetrics and Gynecology eine Multicenterstudie mit geplanten 10.000 Teilnehmerinnen gestartet, deren Schwangerschaften entweder nach dem Erreichen einer Schwangerschaftsdauer von 41+0 Wochen per Einleitung oder Kaiserschnitt beendet wurden, oder bei denen bis 42+0 abgewartet wurde. Die Arbeitshypothese der Studiengruppe lautete, dass durch eine aktive Beendigung der Schwangerschaft die neonatale Morbidität um 33% gesenkt werden könne.
Keine Todesfälle bei Einleitung nach 41 Schwangerschaftswochen
Erst jetzt wurde bekannt, dass die Studie bereits nach 2 Jahren im Oktober 2018 gestoppt wurde, obwohl erst die Hälfte der geplanten Geburtenzahlen erreicht worden war. Denn in der Gruppe mit dem zuwartenden Prozedere war es bei 1.376 Teilnehmerinnen zu 5 Totgeburten und einem Todesfall nach der Geburt wegen eines hypoxischen Hirnschadens mit Multiorganversagen gekommen.
In der Gruppe mit der Einleitung direkt nach Beendigung der 41. Schwangerschaftswoche trat im gleichen Zeitraum kein einziger Todesfall auf. Auch die Rate an intensivpflichtigen Kindern (5,9% versus 4%) und an Neugeborenenikterus (2,3% versus 1,2%) war in der ersten Gruppe signifikant höher. Die Komplikationsrate bei den Müttern war dagegen nicht erhöht.
Eigentlich hatte die Studiengruppe eine Veröffentlichung ihrer Ergebnisse in einem hochrangigen Journal geplant. Aber die Resultate wurden bereits vorher im Rahmen einer Dissertation an der Universität Göteborg Ende September 2019 online publiziert [2].
Auswirkungen auf das Vorgehen bei Übertragung
Mehrere schwedische Kliniken haben ihre Strategien bei einer Überschreitung des Geburtstermins daraufhin geändert, wie die britische Tageszeitung The Guardian am 28. Oktober 2019 berichtete.
Medscape fragte Prof. Dr. Frank Louwen, Frankfurt, Vizepräsident der DGGG, ob die schwedischen Ergebnisse auch das geburtshilfliche Vorgehen in Deutschland verändern und in die anstehende Aktualisierung der Leitlinie zum Vorgehen bei Terminüberschreitung aufgenommen werden. Louwen ist gleichzeitig auch Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung Frauengesundheit (DSF), deren Aufgabe es ist, im Auftrag der DGGG die Finanzierung von evidenzbasierten Leitlinien sicherzustellen.
Seine Antwort: „Es handelt sich hier zunächst um eine Doktorarbeit; wir werden die Publikation in einem hochrangigen Journal abwarten.“ Denn: „Die Ergebnisse aus Schweden können nur bei erwiesener Evidenz in die Aktualisierung der DGGG-Leitlinie zum Vorgehen bei Terminüberschreitung einfließen.“
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Gefährliches Abwarten? Eine Geburt erst spätestens zur 43. SSW einzuleiten, könnte zu riskant sein - Medscape - 14. Nov 2019.
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