Angehörige indigener Völker aus Nordamerika und Alaska, die im Schulkindalter eine BCG(Bacillus Calmette-Guérin)-Impfung gegen Tuberkulose erhalten hatten, wiesen als Erwachsene ein signifikant geringeres Risiko für Lungenkrebs-Erkrankungen auf als eine Placebo-Gruppe. Dies geht aus einer vor kurzem im JAMA Open Network veröffentlichten retrospektiven Studie hervor [1].
Die BCG-Impfung kann bis zu 50 Jahre vor verschiedenen Formen der disseminierten Tuberkulose schützen. Außerdem wird der Lebendimpfstoff aufgrund seiner immun-modulatorischen Aktivität als Standardtherapie bei nicht muskel-invasivem Harnblasenkrebs eingesetzt.
Ursprünglich ging es den Autoren nicht um Lungenkrebs
In früheren Studien mit Follow-up-Zeiten zwischen 13 und 27 Jahren hatten sich allerdings Hinweise auf eine erhöhte Mortalität durch Leukämien und Lymphome nach der BCG-Impfung ergeben. In anderen Studien wurde das nicht bestätigt bzw. ein nicht signifikanter Zusammenhang mit einer verminderten Leukämie-Inzidenz beobachtet.
Das Team um Nicholas T. Usher von der Uniformed Services University of the Health Sciences, Bethesda, Maryland, wertete deshalb Daten von Teilnehmern einer klinischen Impfstudie aus, die ursprünglich von 1935 bis 1938 mit 2.963 Mitgliedern nordamerikanischer indigener Völker wie Schoschonen und Sioux durchgeführt worden war. Die maximal 19 Jahre alten Schulkinder hatten entweder die Impfung (n = 1.540) oder ein Placebo (n = 1.423) erhalten.
Follow-up über 6 Jahrzehnte
Die Daten für die vorliegende Publikation stammen aus einer retrospektiven Datenanalyse aus den Jahren 1992 bis 1998 und umfassten somit eine durchschnittliche Follow-up-Zeit von 60 Jahren.
Informationen über etwaige Krebserkrankungen stammten aus Totenscheinen, Krankenakten, Pathologie-Befunden sowie Befragungen der Probanden. Berücksichtigt wurden ausschließlich Primärtumoren.
Etwa die Hälfte der Teilnehmer in beiden Studiengruppen waren Frauen, und die Impfung erfolgte im mittleren Alter von 8 Jahren. Insgesamt starben im Untersuchungszeitraum 633 Teilnehmer in der Placebogruppe (44%) und 632 in der Impfgruppe (41%). 325 bösartige Neoplasien wurden diagnostiziert.
2,5-fach erniedrigtes Lungenkrebsrisiko nach BCG-Impfung
Der Verdacht eines erhöhten Risikos für Leukämien oder Lymphome bestätigte sich in der Analyse nicht. Weder die generelle Krebsinzidenz unterschied sich zwischen den 2 Gruppen, noch konnten Usher und seine Kollegen ein erhöhtes Risiko für Leukämien oder Lymphome nach der BCG-Impfung feststellen (Hazard Ratio: 0,80).
Stattdessen stellten sie eine etwa 2,5-fach niedrigere Rate von Lungenkrebs in der Impfstoff-Gruppe fest (18,2 Fälle pro 100.000 Personenjahre in der Impfgruppe vs. 45,4 Fälle pro 100.000 Personenjahre in der Placebo-Gruppe; HR: 0,38). Dieses Ergebnis blieb auch nach Adjustierung an eine Vielzahl von Störfaktoren wie Rauchen, Alkohol-Missbrauch und Geschlecht der Teilnehmer bestehen.
Gleichzeitig räumen die Autoren ein, dass sie eine Vielzahl von Risikofaktoren für Lungenkrebs unberücksichtigt – weil unbekannt – lassen mussten; dazu zählten etwa Übergewicht, das Kochen über offenem Feuer, Passivrauchen, Umweltverschmutzung oder Strahlenbelastungen.
Vermindert bereits die Immunreaktion das Krebsrisiko?
Wie ließe sich nun dieser protektive Effekt erklären? „Wir hatten zunächst erwartet, dass die BCG-Impfung vor Lungenkrebs schützen könnte, indem sie eine Tuberkulose-Infektion verhindert“, schreiben die Autoren. So ist bekannt, dass sich in einer tuberkulösen Narbe ein Bronchialkarzinom entwickeln kann.
Allerdings bestätigten die Daten diese Theorie nicht: Das Lungenkrebsrisiko sank offenbar unabhängig von einer Tuberkulose-Erkrankung. Denn nur 3 Fälle von Lungenkrebs, alle aus der Placebo-Gruppe, wurden bei Teilnehmern mit einer früheren Tuberkulose-Infektion diagnostiziert. „Dies deutet darauf hin, dass der Effekt durch die Immunantwort auf die BCG-Impfung vermittelt wird“, schreiben Usher und seine Kollegen.
Außerdem handele es sich vermutlich um einen präventiven und nicht um einen therapeutischen Effekt, da die Behandlung mit BCG in Lungenkrebs-Studien kaum bis gar keinen Erfolg gezeigt habe.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: BCG-Impfung: Hilft möglicherweise nicht nur gegen Tuberkulose, sondern auch gegen Lungenkrebs - Medscape - 13. Nov 2019.
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