Berlin – „Die Industrie gibt nicht wirklich ein gutes Bild ab“, musste Thomas Cueni, Direktor der International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations (IFPMA), einräumen. Viele große Unternehmen haben sich aus der Entwicklung neuer Antibiotika zurückgezogen. Und: Der Zugang zu bestehenden ist nach wie vor in vielen Ländern nicht flächendeckend gegeben.
Doch das Problem ist komplex, wie das Forum „Bridging Research & Development and Sustainable Access to Antibiotics“ (Die Lücke schließen zwischen Forschung und Entwicklung und nachhaltigem Zugang zu Antibiotika) auf dem World Health Summit in Berlin feststellte [1].
Nachhaltiger Zugang ist mehr als nur bezahlbare Preise
Schätzungsweise 700.000 Menschen sterben jedes Jahr weltweit an Infektionen mit multiresistenten Erregern. Nachhaltiger Zugang zu Antibiotika bedeutet nicht nur, dass diese auch für Menschen in Entwicklungsländern bezahlbar sind, betonte Dr. Manica Balasegaram, Direktor des „Global Antibiotic Research and Development Partnership“ (GARDP): „Auch die Qualität muss gesichert sein, und sie müssen in verantwortungsvoller Weise genutzt werden.“
Für Dr. Peter Beyer, Senior Advisor in der Abteilung „Basismedikamente und Gesundheitsprodukte“ der WHO, bedeutet das beispielsweise, dass eine Behandlung immer erst mit einem Standard-Antibiotikum beginnen sollte, „damit die neuen Mittel nicht unnötig eingesetzt werden“.
Ähnlich sieht es Dr. Mirfin Mpundu, Direktor des Ecumenical Pharmaceutical Network (EPN) und von ReAct Africa in Schweden: „Für die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern ist das dringendste Problem gar nicht die Entwicklung neuer Antibiotika. Sondern der Zugang zu bestehenden.“ Zwar hätten viele Länder mittlerweile nationale Aktionspläne aufgestellt. „Doch für die Umsetzung fehlt dann doch oft das Geld.“
Für Unternehmen rechnen sich neue Antibiotika nicht
Cunei betonte, für die Entwicklung neuer Antibiotika brauche es nach wie vor die Expertise von Pharmaunternehmen. Doch immer weniger sind auf dem Feld aktiv. Allein 2018 zogen sich 3 weitere große Unternehmen zurück. Für die Firmen birgt dieses Geschäftsfeld viele Risiken, erläuterte Cunei. Das gelte sogar dann noch, wenn die Forschung Erfolg habe.
Als Beispiel nannte er das Unternehmen Achaogen in den USA. Das 2002 gegründete Start-up hatte mit öffentlicher Förderung erfolgreich das neue Antibiotikum Plazomicin entwickelt. Im Juni 2018 wurde es in den USA für die Behandlung von Harnwegsinfektionen zugelassen. Doch 10 Monate später war Achaogen pleite. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Plazomicin waren zu gering, um die Kosten für Herstellung, Vertrieb und Vermarktung wiedereinzuspielen.
Das Dilemma mit neuen Antibiotika ist: Sie werden dringend gebraucht – aber sollen, sobald sie da sind, möglichst selten und möglichst kurz eingesetzt werden. Das ist gut, um die Entstehung neuer Resistenzen zu verhindern, aber schlecht für den Umsatz des herstellenden Unternehmens. „Es braucht daher neue Modelle für die Unternehmen, um ihre Kosten wieder reinzuholen“, sagte Cunei.
Diskutiert wird beispielsweise eine Art öffentliche Prämie für den Markteintritt. „Wir könnten dafür bezahlen, dass ein bestimmtes Mittel überhaupt verfügbar ist“, sagte Michelle Childs, Leiterin der Abteilung Advocacy bei der Drugs for Neglected Diseases initiative (DNDi).
5 neue Mittel bis 2025?
Ein Vertreter des Unternehmens MSD im Publikum mahnte die Haltung „Einfach machen!“ an. MSD forscht noch an neuen Antibiotika. „Warum sagen wir nicht jetzt, wir wollen in einem Jahr gemeinsam ein Pilotprojekt für neue Antibiotika auf die Beine stellen?“ Der Vorschlag wurde vom Podium gleich aufgegriffen: „In einem Jahr sollten wir in der Lage sein, hier etwas auf den Tisch zu legen“, sagte Balasegaram.
„Global Antibiotic Research and Development Partnership“ hat sich bis 2025 zum Ziel gesetzt, 5 neue Antibiotika auf den Markt zu bringen, unter anderem gegen sexuell übertragbare Krankheiten und Sepsis bei Neugeborenen. Dazu setzt die von der WHO mitgegründete Organisation auf Public-Private-Partnerschaften, die etwa eine öffentliche Förderung für die Entwicklung und Refinanzierungsmodelle beinhalten.
Balasegaram mahnte, dass Antibiotika-Resistenzen kein Thema nur für Entwicklungsländer seien: „Irgendwann kann das für jeden von Ihnen oder für Ihre Familie entscheidend sein.“
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Diesen Artikel so zitieren: Antibiotika für die Welt: Neu-Entwicklung als Pleite-Modell – und auch beim Zugang für alle hapert es - Medscape - 8. Nov 2019.
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