Bei benigner Prostatahyperplasie erhalten Patienten oft 5α-Reduktasehemmer. Sollten sie ein Prostatakarzinom entwickeln, steht die frühere Einnahme dieser Arzneistoffe mit aggressiveren Tumoren bei Diagnose und mit einer höheren Gesamtmortalität bzw. Mortalität durch Prostatakrebs in Verbindung. Das berichten Forscher um Abhishek Kumar vom Department of Radiation Medicine and Applied Sciences, University of California, San Diego, in JAMA Network Open [1].
„Die Arbeit hat eine große klinische Relevanz: Erhalten Patienten mit benigner Prostatahyperplasie 5α-Reduktasehemmer, sinkt der PSA-Wert um 50 Prozent, was Diagnosen allein auf Basis dieses Biomarkers erschwert“, sagt Prof. Dr. Günter Karl Stalla zu Medscape. Er ist Leiter des Medicover Neuroendokrinologie MVZ mit klinischem Studienzentrum, München, und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. „Sowohl bei der kleineren Pilotstudie als auch bei der jetzt veröffentlichten Arbeit mit einer großen Fallzahl konnte gezeigt werden, dass man die Rate an Patienten mit Prostatakarzinom unterschätzt.“
Der Experte ergänzt: „Eigentlich müsste jeder Urologe oder Hausarzt, der Untersuchungen bei Patienten unter 5α-Reduktasehemmern vornimmt, PSA-Werte mit 2 multiplizieren – das wurde hier gut belegt.“
Gleichzeitig warnt er vor dem Trend, dass Männer zum Hausarzt gehen, um den PSA-Wert bestimmen zu lassen, und glauben, damit sei alles in Ordnung. „PSA ist ein nicht spezifischer Tumormarker, es gibt nur Korrelationen mit der Größe der Prostata, mit einer Prostatitis oder mit mechanischen Reizungen.“ Rektal-digitale Untersuchungen, Ultraschall und gegebenenfalls Punktionen seien im Zuge der Diagnostik ebenfalls erforderlich.
Späte Diagnose wegen Vortherapie mit 5α-Reduktasehemmern?
Bekanntlich werden 5α-Reduktasehemmer zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie (BPH) verordnet. Dass es durch die Arzneistoffe zur verspäteten Diagnostik kommen kann, falls Patienten ein Prostatakarzinom entwickeln, berichteten Reith R. Sarkar und Kollegen aus der gleichen Arbeitsgruppe wie Kumar bereits vor wenigen Monaten in JAMA Network Open .
Sie analysierten Daten von 80.875 Veteranen, bei denen Ärzte zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2015 Prostatakrebs im Stadium I bis IV diagnostiziert hatten. Alle Patienten wurden bis zum Tod oder bis zum 31. Dezember 2017 nachuntersucht.
Bei der Diagnose waren die Männer im Median 66 (61 bis 72) Jahre alt. Die mediane Zeit vom ersten PSA-Anstieg bis zur Diagnose war bei Personen, die 5α-Reduktasehemmer eingenommen hatten, signifikant länger als bei Personen ohne diese Medikation (3,6 Jahre versus 1,4 Jahre; p < 0,001).
Unter dieser Pharmakotherapie hatten Patienten zum Zeitpunkt der Prostata-Biopsie höhere adjustierte PSA-Werte (13,5 ng/ml versus 6,4 ng/ml) und häufiger ein Prostatakarzinom mit einem Gleason-Score von 8 oder höher (25,2% versus 17,0%), ein klinisches Stadium T3 oder höher (4,7% versus 2,9%), einen Befall der Lymphknoten (3,0% versus 1,7%) und Metastasen (6,7% versus 2,9%) Alle Unterschiede waren hoch signifikant.
Beim adjustierten PSA-Wert wurde die von Stalla erwähnte Korrektur rein rechnerisch vorgenommen. Die Mortalität durch Prostatakrebs (Hazard Ratio [HR] 1,39) und die Gesamtmortalität (HR 1,10) waren bei Anwendern ebenfalls signifikant erhöht.
„Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass 5α-Reduktasehemmer mit einer verzögerten Diagnose und mit schlechteren krebsspezifischen Ergebnissen assoziiert sind“, fassen Sarkar und seine Koautoren zusammen.
Kumars Team schreibt zu diesen Resultaten: „Wir stellten die Hypothese auf, dass diese Ergebnisse auf die breitere US-Bevölkerung übertragbar sind.“
Daten aus Medicare bestätigen Assoziationen früherer Studien
Um ihre Vermutung zu überprüfen, arbeiteten die Forscher mit „Surveillance, Epidemiology and End Results“, einer Datenbank auf Basis der US-Krankenversicherung Medicare. Als Zeitraum wählten sie den 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2013. Alle Patienten wurden bis zum Tod oder alternativ bis zum 31. Dezember 2015 verfolgt.
Als Einschlusskriterien definierten Kumar und seine Kollegen ein Prostatakarzinom im Stadium I bis IV und die Bestimmung von PSA-Spiegeln zum Zeitpunkt der Diagnose. Der Datenbank konnte auch entnommen werden, wer zuvor Rezepte für 5α-Reduktasehemmer erhalten hatte.
Die Kohorte umfasste 30.313 Patienten mit einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 3,75 Jahren. Insgesamt verordneten Ärzte 2.373 Patienten (7,83%) mindestens 6 Monate vor der Diagnose eines Prostatakarzinoms 5α-Reduktasehemmer – bei einer medianen Anwendungsdauer von 2,46 Jahren. Die kumulative Inzidenz von Todesfällen durch Prostatakrebs betrug nach 4 Jahren 5,3% für die, die 5α-Reduktasehemmer erhalten hatten, versus 2,8% ohne diese Pharmakotherapie.
Im Vergleich zu Patienten ohne Hormonentzug hatten Patienten mit 5α-Reduktasehemmern häufiger eine fortgeschrittene Erkrankung mit einem Gleason-Score von 8-10 (18% versus 29%), Hochrisiko-Prostatakarzinome (28% versus 38%), eine Beteiligung der Lymphknoten und Metastasen (jeweils 2% versus 3%). Auch hier waren alle diese Unterschiede signifikant. Außerdem war ihr adjustierter – also mathematisch korrigierter – PSA-Wert signifikant höher (14,2 vs 6,6 ng/ml).
Die Anwendung von 5α-Reduktasehemmern stand zudem mit einer jeweils signifikanten höheren Mortalität durch Prostatakarzinome (HR 1,38) und einer höheren Gesamtmortalität (HR 1,15) in Verbindung. Es gab keine signifikanten Unterschiede bei der nicht krebsbedingten Mortalität. Aufgrund ihrer Ergebnisse fordern Kumar und seine Kollegen von Ärzten, die Vorsorge von Männern unter 5α-Reduktasehemmern zu verbessern.
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Diesen Artikel so zitieren: Wenn die BPH mit 5α-Reduktase-Inhibitoren behandelt wird, riskieren Männer verspätete Diagnose von Prostatakrebs - Medscape - 7. Nov 2019.
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