Nierenversagen unbekannter Ursache bei Landarbeitern – „ Sentinel-Krankheit“ im Zeitalter des Klimawandels?

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

28. Oktober 2019

In Mittelamerika sind chronische Nierenerkrankungen zu einer der Hauptursachen für Krankenhausaufenthalte und Todesfälle geworden, was zu einem großen Teil auf sogenannte Nierenerkrankungen unbekannter Ursache (chronic kidney disease of unknown origin, CKDu) zurückzuführen ist. Die globale Krankheitslast sei unbekannt, schreiben Dr. Cecilia Sorensen von der University of Colorado und Dr. Ramon Garcia-Trabanino vom Centro de Hemodiálisis, San Salvador, im New England Journal of Medicine, da die betroffenen Gebiete in der Regel über eine schlechte Infrastruktur bei der Gesundheitsversorgung verfügten [1].

Obwohl die Nierenerkrankung unbekannter Ursache, CKDu, schon seit Jahrzehnten bekannt ist, konnte bislang die Ursache noch nicht wirklich dingfest gemacht werden. Sorensen und Garcia-Trabanino äußern nun im NEJM die Vermutung, dass die globale Erwärmung in Verbindung mit dieser Nierenkrankheit stehen könnte.

Unklares Krankheitsbild

„CKDu wurde erstmals in El Salvador in den 1990er-Jahren beschrieben, als ungewöhnlich viele Landarbeiter an einem irreversiblen Nierenversagen starben“, berichten sie. Schnell habe sich gezeigt, dass das Phänomen in Gemeinden in heißen, feuchten Regionen Mittelamerikas allgegenwärtig war. Ähnliche Krankheitsbilder wurden aber auch in Nordamerika, Südamerika, im Nahen Osten, in Afrika und in Indien beobachtet.

 
Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass CKDu mit Hitzeexposition und Dehydration zusammenhängt. Dr. Cecilia Sorensen und Dr. Ramon Garcia-Trabanino
 

 „Nach fast 3 Jahrzehnten bleibt die Ursache von CKDu rätselhaft“, fassen die Autoren zusammen. Diabetes oder Hypertonie scheiden ursächlich aus. „Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass CKDu mit Hitzeexposition und Dehydration zusammenhängt.“ Allerdings dürfe man Agrochemikalien, Schwermetalle, Infektionen, Einflüsse der Ernährung und genetische Risikofaktoren bei der Suche nach Ursachen nicht ausschließen.

Diagnostik erst im Stadium 3 oder 4

Dr. Virginia Weaver von der Johns Hopkins University in Baltimore und ihre Kollegen beschrieben 2015 die Hauptmerkmale von CKDu in BMC-Nephrologie . Sie fanden heraus, dass die Krankheit junge und mittlere erwachsene Patienten betrifft und zu einer erheblichen Morbidität und Mortalität führt. Männer scheinen stärker gefährdet zu sein als Frauen, und Patienten sind oft in ländlichen Gebieten zu finden. „Armut mit fehlendem Zugang zur Gesundheitsversorgung erschwert die Bestimmung der klinischen Merkmale von CKDu“, konstatieren die Autoren.

 
Armut mit fehlendem Zugang zur Gesundheitsversorgung erschwert die Bestimmung der klinischen Merkmale von CKDu. Dr. Virginia Weaver
 

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Dr. Richard J. Johnson vom University of Colorado Anschutz Medical Campus und seine Kollegen kürzlich im NEJM . Die Urinanalyse zeigte bei symptomlosen Landarbeitern keine oder nur eine minimale Proteinurie, eine verringerte Anzahl roter Blutkörperchen und Leukozyten sowie gelegentlich Uratkristalle. Anomalien von Serumelektrolyten können Hypokaliämie, Hyponatriämie und Hypomagnesiämie in Verbindung mit erhöhten Elektrolytverlusten im Urin umfassen.

Zum Zeitpunkt der Diagnose ist die Nierenerkrankung normalerweise im Stadium 3 oder 4 weit fortgeschritten. Obwohl die Patienten anfangs asymptomatisch sind, entwickeln sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren Anzeichen und Symptome einer Nierenerkrankung im Endstadium (Anämie, Anorexie, Übelkeit und fortschreitende Urämie). „Ob eine frühere Identifizierung betroffener Patienten eine Umkehr der Krankheit ermöglicht, ist derzeit nicht bekannt“, so Johnson und Kollegen. Über mögliche Gründe können sie nur spekulieren.

Schädigt Hitzeexposition die Nieren akut subklinisch?

Doch inzwischen verdichten sich die Hinweise auf thermische Auslöser anhand von Untersuchungen bei Landarbeitern in Mittelamerika mit hohen CKDu-Raten. Sie ernten 5 bis 6 Tonnen Zuckerrohr pro Tag, tragen Schutzkleidung und sind Temperaturen von über 40 °C ausgesetzt. Sorensen und Garcia-Trabanino vermuten, dass die Hitzeexposition die Nieren akut subklinisch schädigt und sich der Effekt kumuliert.

 
Ob eine frühere Identifizierung betroffener Patienten eine Umkehr der Krankheit ermöglicht, ist derzeit nicht bekannt. Dr. Richard J. Johnson und Kollegen
 

Experten gehen davon aus, dass CKDu eine Form einer Hitzestress-Nephropathie sein könnte, die aufgrund veränderter Umweltbedingungen immer häufiger auftritt. In der Tat zeigen meteorologische Daten, dass es in vielen Regionen mit hoher CKDu-Inzidenz erhebliche klimatische Veränderungen gegeben hat – weitaus mehr als die globale Erhöhung von knapp 1°C.

Dazu schreiben Sorensen und Garcia-Trabanino: „Möglicherweise haben wir jetzt eine physiologische Grenze in Bezug auf die Hitzeexposition erreicht, bei der Akklimatisierung und Verhaltensänderungen die Belastungen nicht mehr kompensieren.“

CKDu – ein Modell für klimasensitive Erkrankungen

Zwar sehen die Autoren noch große Wissenslücken bei der Pathogenese von CKDu. Eine Sache ist für sie aber schon jetzt klar: Das Nierenleiden steht modellhaft für klimasensitive Erkrankungen:

  • Die Prävalenz steigt mit der Exposition gegenüber Hitze und Feuchtigkeit – und beide Faktoren stehen mit dem Klimawandel in Verbindung.

  • CKDu ist es in geografischen Regionen weit verbreitet, in denen eine große Anzahl an Menschen wenig bis keinen Zugang zur medizinischen Versorgung hat. Genau hier werden klimasensitive Erkrankungen zuerst auftreten, bevor sie Europa oder Nordamerika erreichen.  

  • CKDu betrifft sozial und wirtschaftlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen überproportional stark – ein generelles Phänomen vieler neuer Erkrankungen. Das kann an harten Arbeitsbedingungen, aber auch an fehlenden Vorsorgeuntersuchungen liegen.

Ärzte könnten die Zukunft ändern

„Als Angehörige der Gesundheitsberufe stehen wir an vorderster Front der Klima-Gesundheitskrise“, kommentieren Sorensen und Garcia-Trabanino. CKDu sei eine „Sentinel-Krankheit im Zeitalter des Klimawandels“. „Aber wir können aus dieser Epidemie lernen und einen klügeren Weg vorwärts gehen“, heißt es weiter. „Wir glauben, dass dies nicht ein Moment der Verzweiflung ist, sondern eine Zeit für kollektives Handeln.“

Ärzte seien besonders in der Pflicht, denn: „Als Verantwortliche für die Gesundheit der Bevölkerung sehen wir Opfer des Klimawandels aus erster Hand. Wir glauben, dass Ärzte die Möglichkeit haben, den Kurs der Zukunft zu ändern.“

 

Kommentar

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