Jeder 5. Klinikpatient ist mangelernährt, doch bei einer Ernährungstherapie zahlen die Krankenhäuser drauf

Antje Sieb

Interessenkonflikte

24. Oktober 2019

Jeder 5. Patient in Kliniken oder Bewohner in Pflegeheimen war 2018 in Deutschland schwer mangelernährt, weitere 15% erfüllten die Kriterien für eine leichte Mangelernährung. Das sind die Ergebnisse einer Vorveröffentlichung des Deutschen Ernährungsberichtes, in der Prof. Dr. Dorothee Volkert von der Universität Erlangen Nürnberg und Kollegen die Ergebnisse der jährlichen Datensammlung zum nutritionDay zusammenfassen [1].

Prof. Dr. Kristina Norman

Foto: David Ausserhofer/DIfE

„Dass Mangelernährung im Krankenhaus ein Problem darstellt, ist keine neue Erkenntnis“, kommentiert die Ernährungsmedizinerin Prof. Dr. Kristina Norman vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke die Ergebnisse. „Man könnte ja hoffen, dass das in Deutschland anders ist, aber die Daten zeigen: Das ist nicht der Fall.“

Mangelernährung beeinflusst Genesung

Am nutritionDay, einem festgelegten Stichtag im November, befragen freiwillig teilnehmende Klinikstationen oder Pflegeheime ihre Patienten und Bewohner und dokumentieren deren Ernährungszustand. Dazu gehört z.B., wieviel des Mittagessens an diesem Tag verzehrt wurde.

Diese Stichprobe wird seit 2006 in mehreren Ländern mit wechselnder Beteiligung erhoben. Im vergangenen Jahr nahmen in Deutschland insgesamt 767 Patienten von 48 Stationen am nutritionDay teil.

 
Der Ernährungszustand … ist für eine rasche Gesundung wichtig. Wenn das hintangestellt wird, lässt man eine große therapeutische Komponente außer Acht. Prof. Dr. Kristina Norman
 

Die jährliche Befragung soll für Daten, aber auch für mehr Aufmerksamkeit sorgen. Denn Mangelernährung beeinflusse die Genesung von Kranken, erklärt Norman: „Der Ernährungszustand als Grundausstattung ist für eine rasche Gesundung wichtig. Wenn das hintangestellt wird, lässt man eine große therapeutische Komponente außer Acht.“

Das zeigten mittlerweile zahlreiche Studien, in denen Patienten gezielt bei Aufnahme ins Krankenhaus auf Mangelernährung gescreent wurden. „Man sieht, dass das einen Einfluss hat auf die Aufenthaltsdauer, auf die Komplikationen, und sogar auf den poststationären Verlauf, also die Wiederaufnahmerate.“

Auch in den Daten der deutschen nutritionDay Auswertung findet sich ein solcher Zusammenhang: Die Mortalität und die weitere Aufenthaltsdauer im Krankenhaus nahmen mit schlechterem Ernährungszustand zu. Auch die Menge des verzehrten Mittagessens am Stichtag war ein Prädiktor für die Sterblichkeit und Aufenthaltsdauer.

Für den schlechten Ernährungszustand der Patienten ist allerdings nicht in erster Linie die Krankenhausküche verantwortlich. Viele leiden schon unter Mangelernährung, wenn sie im Krankenhaus ankommen. Krankheiten oder Appetitlosigkeit, aber auch Schluckbeschwerden können Gründe für die Probleme sein.

„Wenn man argumentiert, dass Mangelernährung bei Aufnahme nicht die Schuld des Krankenhauses sein kann, dann stimmt das zwar, aber es ist die Pflicht des Krankenhauses, das mit zu erfassen, und das wird nicht gemacht“, erklärt Norman.

Das fehlende Screening sei einer der Gründe, dass Mangelernährung häufig erst zu spät oder gar nicht behandelt werde. Laut der Daten der nutritionDay-Erhebung erhielten 7% der Patienten angereicherte Kost und 14% bekamen zusätzliche Trinknahrung. Insgesamt wurde aber nur ein Teil der mangelernährten Patienten behandelt, ein Großteil erhielt keine Ernährungsintervention.

Denn nicht jedem sieht man eine Mangelernährung auch an. Nicht nur untergewichtige Patienten, sondern auch normal- oder sogar übergewichtige können schon unter Mangelernährung leiden, erklärt Norman: „Eines der wichtigsten Anzeichen für Mangelernährung ist ungewollter Gewichtsverlust. Das ist ein Zeichen für katabolen Stoffwechsel. Da werden keine Prozesse unterstützt, die der Gesundung dienen, da ist das Immunsystem geschwächt, die Wundheilung ist schlechter, es findet massiv Muskelabbau statt. Das wird häufig übersehen.“

 
Eines der wichtigsten Anzeichen für Mangelernährung ist ungewollter Gewichtsverlust. Das ist ein Zeichen für katabolen Stoffwechsel. Prof. Dr. Kristina Norman
 

Dabei zeigen, laut Norman, mittlerweile viele Studien nicht nur gesundheitliche, sondern auch gesundheitsökonomische Gründe für eine rechtzeitige Behandlung der Mangelernährung. „Es gibt ausreichend Studien, die nachweisen, dass Ernährungstherapie ökonomisch sinnvoll ist. Soviel kostet die Ernährungstherapie im Vergleich zu den wohlbelegten Kosten der Mangelernährung nämlich nicht.“

Individuelle Ernährungstherapie senkt Sterblichkeit

In vielen Fällen kann offenbar das Eingehen auf Essenswünsche sowie Nahrungsanreicherung oder Trinknahrung dafür sorgen, dass sich der Ernährungszustand der Patienten verbessert.

Das haben Forscher In einer kürzlich veröffentlichten kontrolliert randomisierten Studie an Schweizer Krankenhäusern mit über 2.000 Patienten nachgewiesen. Sie sorgten mit individueller Ernährungstherapie dafür, dass in der behandelten Patientengruppe immerhin 79% der Kranken genug Kalorien und 76% genug Eiweiß bekamen.

Mit dem Einsatz ernährungstherapeutischer Maßnahmen sank die Sterblichkeit der behandelten Patienten und auch die Komplikationen nahmen im Vergleich zur Kontrollgruppe ab.

Norman nennt allerdings auch strukturelle Probleme als Grund dafür, dass das Erkennen und Behandeln einer Mangelernährung im Krankenhaus oft kein Standard sind: „Die Ernährungstherapie müsste das Krankenhaus zahlen. Den Vorteil der geringeren Kosten im Nachgang hat aber nicht das Krankenhaus. Das ist ein transsektorales Problem. Dessen sollten sich die Krankenkassen stärker annehmen.“

 

Kommentar

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