In diesem Beitrag kommentiert Prof. Dr. Hans-Christoph Diener die Möglichkeiten einer modernen Migränetherapie – wie gut die Präparate wirken und vertragen werden.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich will Ihnen heute über Neues zur Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne berichten.
Bis vor 30 Jahren hatten wir nur Analgetika, nichtsteroidale Antirheumatika und Mutterkornalkaloide. Dann wurden die Triptane eingeführt, insgesamt 6, die sehr gut wirksam waren. Auch bei Patienten, die auf die Analgetika oder Mutterkornalkaloide nicht ansprachen. Sie sind vor allem sehr gut verträglich.
Als diese Substanzen entwickelt wurden, zeigte sich, dass sie leichte vasokonstriktive Eigenschaften haben, deswegen sind sie bei vaskulären Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall kontraindiziert.
Damals wurde aber noch unterstellt, dass ein Teil dieser vaskulären Ereignisse durch Vasospasmen bedingt sind. Heute weiß man, dass beispielsweise beim Herzinfarkt eine atherosklerotische Plaque rupturiert und sich ein Thrombus bildet, ein Vorgang, bei dem eine Vasokonstriktion keine Rolle spielt. Das erklärt auch, warum schwerwiegende vaskuläre Nebenwirkungen von Triptanen fast nicht beobachtet werden.
Neu: „Ditane“ und „Gepante“
Dessen ungeachtet bestand aber die Notwendigkeit neue Migränemittel zu entwickeln, die keine vasokonstriktiven Eigenschaften haben und die möglicherweise bei Patienten wirken, bei denen Triptane nicht wirksam sind. Hier gibt es nun 2 neue Substanzklassen, die so genannten „Ditane“ und „Gepante“.
„Ditane“ wie Lasmiditan sind Substanzen, die am Serotonin-1F-Rezeptor agonistisch angreifen. Diesen Rezeptor gibt es sowohl auf Nervenendigungen wie auch im Gehirn. In placebokontrollierten Studien war Lasmiditan eindeutig wirksamer als Placebo.
Nach indirekten Vergleichen ist es wahrscheinlich genauso wirksam wie ein Triptan. Es hat zentrale Nebenwirkungen, beispielsweise Müdigkeit, Benommenheit, Schwindel. Wir wissen aber nicht, ob Lasmiditan auch bei Patienten wirkt, die auf Triptane nicht ansprechen.
Die Substanz hat keine vasokonstriktiven Eigenschaften und kann deswegen Patienten gegeben werden, bei denen Triptane kontraindiziert sind.
Eine zweite Entwicklung sind kleine Moleküle, die als Antagonisten am CGRP-Rezeptor wirken, die so genannten „Gepante“. Auch diese Substanzen haben keine vasokonstriktiven Eigenschaften. Derzeit befinden sich mehrere „Gepante“ in der Entwicklung wie Rimegepant, Ubrogepant und Atogepant. Sie sind wirksamer als Placebo, nach indirekten Vergleichen wahrscheinlich weniger wirksam als Triptane und sehr gut verträglich.
Sie werden nicht nur für die Behandlung akuter Migräneattacken untersucht, sondern auch mit täglicher Einnahme zur Prophylaxe der Migräne. Ob sie dort langfristig wirklich sicher sind, beispielsweise hinsichtlich Leberschäden, ist bisher nicht bekannt.
CGRP-Antikörper zur Prophylaxe der Migräne
Zur Prophylaxe der Migräne hatten wir bisher Betablocker, Flunarizin, Valproinsäure, Topiramat und für die chronische Migräne Onabotulinumtoxin A. Die meisten dieser Prophylaktika sind wirksam, aber werden leider von vielen Patienten nicht gut toleriert.
Deswegen wurde eine komplett neue Gruppe von Substanzen entwickelt, nämlich monoklonale Antikörper gegen CGRP (Calcitonin-Gene-Related Peptide) oder den CGRP-Rezeptor. Bislang gibt es 4 Substanzen, von denen 3 (Erenumab, Galcanezumab, Fremanezumab) zugelassen sind. Alle haben ihr klinisches Studienprogramm absolviert.
Zusammengefasst kann man sagen, dass diese Substanzen alle wirksamer als Placebo sind. Wir wissen aber nicht, wie sie im Vergleich zu den traditionellen Migräneprophylaktika wirken.
Sie sind extrem gut verträglich. Leider ist bisher sehr wenig über das Sicherheitsprofil bekannt. Darauf werde ich gleich noch eingehen.
Was wissen wir sonst noch zu den CGRP-Antikörpern?
Die Substanzen wirken relativ rasch, so dass man schon nach 2 bis 3 Monaten ermessen kann, ob man mit der Prophylaxe fortfahren sollte oder nicht.
Die Antikörper werden subkutan oder intravenös appliziert, entweder einmal im Monat oder alle 3 Monate, so dass die Compliance kein Problem darstellt. Sie können auch mit den traditionellen Migräneprophylaktika kombiniert werden. Sie wirken sowohl bei episodischer wie auch bei chronischer Migräne.
Weil sie zu einer Reduktion der Einnahme von Akutmedikation führen, sind sie auch bei Patienten mit Dauerkopfschmerz durch Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln wirksam.
Denken Sie daran, dass alle Patienten mit schwerwiegenden Begleiterkrankungen, bei denen möglicherweise CGRP und diverse dilatatorische Eigenschaften eine Rolle spielen, von den Studien mit CGRP-Antikörpern ausgeschlossen waren.
Deswegen wäre ich im Moment sehr zurückhaltend, diese Substanzen bei Menschen mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfall und für Subarachnoidalblutung, bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung (Angina pectoris), aber auch bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen, COPD oder pulmonaler Hypertension sowie Wundheilungsstörungen einzusetzen. CGRP spielt bei diesen Krankheiten eine wichtige Rolle.
Natürlich sind die Substanzen kontraindiziert bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Schwangeren und bei stillenden Frauen.
Voraussetzungen für die Erstattung
Die Antikörper können bei den Patienten eingesetzt werden, bei denen alle bisherigen medikamentösen Migräneprophylaktika nicht wirksam waren, nicht vertragen wurden oder kontraindiziert waren.
Insgesamt gibt es also bedeutsame Fortschritte sowohl für die Akuttherapie von Migräneattacken wie für die Prophylaxe der Migräne.
Meine Damen und Herren, ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen in Essen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Medscape © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk-Spezial: Ein Überblick zu den „bedeutsamen Fortschritten der Migränetherapie“ – welche Wirkstoffe Ihren Patienten besser helfen könnten - Medscape - 11. Nov 2019.
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