2 Pikser im Jahr – und das war‘s: Neues Wirkprinzip könnte die LDL-Senkung erheblich erleichtern

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

21. Oktober 2019

Inclisiran ist ein Lipidsenker, der nach einem neuen Prinzip ein Gen im Fettstoffwechsel stilllegt. In der Verlängerung einer Phase-2-Studie hielt die Wirksamkeit von 2 Injektionen bei den meisten Teilnehmern über ein Jahr hinweg an [1]. Eine solche Therapie käme Patienten zugute, denen die tagtägliche Einnahme von Medikamenten schwerfällt.

Verschiedene Dosierungen und eine versus 2 Injektionen

Die multizentrische Basisstudie war zunächst auf ein halbes Jahr angelegt. Sie gehört zum Orion-1-Programm, mit dem der innovative Wirkstoff Inclisiran geprüft wird, wie Prof. Dr. Kausik K. Ray vom Imperial College London, Großbritannien, und seine Kollegen erläutern.

Bei den 501 Patienten im mittleren Alter von 63 Jahren, zu 65% Männer, war das LDL-Cholesterin (LDL-C) trotz maximaler Statintherapie ursprünglich schlecht eingestellt. Der eine Teil hatte eine atherosklerotisch bedingte kardiovaskuläre Erkrankung mit LDL-C über 70 mg/dl, der andere Teil ein erhöhtes Atherosklerose-Risiko durch Typ-2-Diabetes oder familiäre Hypercholesterinämie mit LDL-C über 100 mg/dl.

Randomisiert waren sie einer von 8 Gruppen zugewiesen worden: 4 erhielten 200 mg, 300 mg, 500 mg Inclisiran oder Placebo, und zwar eine einmalige Injektion zu Beginn. Die andere Hälfte bekam nicht nur teilweise andere Dosierungen, nämlich 100 mg, 200 mg, 300 mg oder Placebo, sondern diese auch noch ein zweites Mal 3 Monate später. Alle 30 Tage wurden die Spiegel an LDL-C und einem lipidregulierenden Enzym gemessen, dem Proprotein Convertase Subtilisin-Kexin Typ 9 (PCSK9).

Im besten Fall profitierten 83% der Patienten mindestens 1 Jahr

In der ersten Publikation zu Orion-1 hatte das Team um Kay über die Resultate nach 6 Monaten berichtet, in der aktuellen Analyse ging es um die Bilanz nach einem Jahr. Sie lautet: Im zeitlichen Durchschnitt reduziert die einmalige Applikation je nach Dosierung das LDL-C um 30% bis 39%, die 2-malige um 30% bis 47%.

 
Durch die starke und dauerhafte Verminderung von LDL-C mit zwei Injektionen pro Jahr könnte Inclisiran eine lipidsenkende Therapie unterstützen. Prof. Dr. Kausik K. Ray und Kollegen
 

Ein wichtiger Parameter war für die Forscher außerdem, wieviel Teilnehmer langfristig auf die Therapie ansprachen. Dazu setzten sie den besten Wert der LDL-Reduktion zu Beginn als 100% und beobachteten, bei wem diese Reduktion nach einem Jahr noch nicht unter 20% gefallen war. Mit steigender Dosierung nahm der Anteil der Patienten bei den Einzelinjektionen von 48% bis 65% zu, bei den Doppelinjektionen von 56% bis 83%. Mit PCSK9 ergab sich ein ähnliches Bild.

Mit anderen Worten: Die Strategie mit 2 der 300-mg-Dosierungen mündete sowohl in die höchste Ansprechrate als auch in die beste mittlere LDL-Reduktion. Fazit der Autoren: „Durch die starke und dauerhafte Verminderung von LDL-C mit zwei Injektionen pro Jahr könnte Inclisiran eine lipidsenkende Therapie unterstützen.“

Bequemes Therapieregime könnte die Compliance erleichtern

Das sei deshalb eine Chance, weil erhöhtes LDL-C eine Atherosklerose und damit kardiovaskuläre Erkrankungen nicht nur auslöst, sondern langfristig auch verschlimmert, etwa bei genetischen Varianten. Statine sind zwar allen Leitlinien zufolge die erste Wahl zur Prävention, allerdings werden damit die gewünschten Lipidwerte oft nicht erreicht, so dass zusätzliche Medikamente notwendig sind.

In Frage kommen Ezetemib, dass jedoch eine tägliche Einnahme erfordert, oder monoklonale Antikörper, die ein- bis 2-mal pro Monat appliziert werden müssen. Das bedeutet für viele Patienten eine Last, was erfahrungsgemäß die Compliance und damit den klinischen Erfolg beeinträchtigt. Mit Inclisiran, so die Hoffnung, ließe sich dieser Nachteil vermeiden, da es Effektivität mit bequemer Handhabung vereint.

Unerwünschte Ereignisse häufig – mit Verum wie mit Placebo

Inclisiran ist eine siRNA, die das PCSK9-Gen stilllegt. Eine Hauptsorge bei dieser neuen Art von Therapeutika gilt den unerwünschten Wirkungen: Kommt es zu einer Immunaktivierung? Könnten siRNA-Vehikel toxisch wirken?

Frühere Anwendungen waren auf seltene Erkrankungen begrenzt, wie Patisiran für die hereditäre Transthyretin-Amyloidosis. Im Gegensatz dazu sind erhöhte Fettwerte und kardiovaskuläre Erkrankungen enorm verbreitet. „Vom ORION-Programm mit dem voraussichtlich größten Datensatz über eine langfristige siRNA-Therapie wird abhängen, wie stark die Forschung über Genabschaltung vorangetrieben wird“, schreibt Prof. Dr. Maarten J. G. Leening von der Universität Rotterdam in seinem Kommentar [2].

In der jetzigen Studie war die Zahl schwerwiegender Vorkommnisse im ersten und zweiten Halbjahr fast gleich, nämlich 20 und 21 pro 100 Personenjahre. Unerwünschte Ereignisse insgesamt, egal ob mild oder gravierend, kamen in beiden Abschnitten mit 134 per 100 Personenjahre häufig vor. Relativiert wird das allerdings dadurch, dass die Teilnehmer in den Placebogruppen ebenso oft über Gesundheitsstörungen berichteten – was Leening als erheblichen Nocebo-Effekt wertet. Weil die Patienten von möglichen Beschwerden wissen, glauben sie, derartiges bei sich wahrzunehmen.

 
Ärzte und Patienten brauchen daher die Gewissheit, dass Inclisiran effektiv, sicher und verträglich ist, zumal es ja vorbeugend verordnet wird. Prof. Dr. Maarten J. G. Leening
 

Eine Parallele stellen die viel diskutierten Muskelschmerzen bei Statintherapie dar: In verblindeten Studien klagen nur etwa 0,2% der Patienten darüber, in nicht verblindeten dagegen bis zu 30%. Ähnliche Phänomene könnten die langfristige Anwendung von Inclisiran aufs Spiel setzen, fürchtet Leening und betont: „Ärzte und Patienten brauchen daher die Gewissheit, dass Inclisiran effektiv, sicher und verträglich ist, zumal es ja vorbeugend verordnet wird.“ Bisher jedoch erstrecken sich die Daten zur Behandlung über lediglich 341 Personenjahre.

Studie mit 15.000 Patienten soll verlässliche Daten liefern

Das jedoch wird sich ändern: durch die im Oktober 2018 gestartete Phase-3-Studie TIMI 65/ORION-4, in der 15.000 Erwachsene mit atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen 5 Jahre lang alle 6 Monate 300 mg Inclisiran versus Placebo erhalten.

Erwartet werden sowohl Erkenntnisse über den Krankheitsverlauf als auch zu mehr als 30.000 Personenjahren Therapie. Besonders zu beachten wären nach Leenings Ansicht dieselben unerwünschten Wirkungen, wie sie bei anderen Lipidsenkern auftreten, etwa Muskelschmerzen, Diabetes, Leberschäden oder hämorrhagische Schlaganfälle, außerdem die Bildung von Antikörpern gegen das Medikament, die den LDL-Rückgang bremsen könnten.

Allerdings macht es die lange Wirkdauer von Inclisiran schwer, durch Absetzen und erneute Exposition festzustellen, ob unerwünschte Ereignisse dem Medikament selbst oder aber dem Nocebo-Effekt geschuldet sind.

siRNA-basierte Wirkstoffe

Inclisiran hemmt über mehrere Zwischenschritte die Synthese des Enzyms PCSK9. Es ist den natürlich vorkommenden small interfering RNA (siRNA) nachgebildet. Diese kurzen Nukleotidstücke greiden in die Zellfunktionen ein. Das geschieht, indem sie an größere RNA-Moleküle binden und auf die Weise bewirken, dass die Bauanleitung der zugehörigen Gene nicht mehr in Proteine umgesetzt wird (gene silencing). 2006 ging der Nobelpreis für Medizin an die Entdecker dieser Art der Gen-Abschaltung.

Die therapeutische Nutzung gestaltet sich jedoch schwierig. So scheiterte Bevasiranib, eine siRNA zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration, in einer Phase-3-Studie. Nach diesem Rückschlag stellten mehrere große pharmazeutische Unternehmen, darunter Hoffmann-La Roche, ihre siRNA-Entwicklung ein. Dennoch befinden sich einige Medikamente, die auf RNA-Interferenz basieren, in klinischer Erprobung.

 

Kommentar

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