Typ-2-Diabetes: Die 2 besten Therapieprinzipien im Direktvergleich – und wer wird der Sieger?

Sonja Boehm

Interessenkonflikte

18. Oktober 2019

Barcelona – Direkte Vergleichsstudien von 2 Medikamenten sind in der Diabetologie eher selten. Doch beim Kongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Barcelona wurde mit der SUSTAIN-8-Studie nun eine solche vorgestellt [1]. Besonders interessant macht sie, dass tatsächlich 2 der neuen Antidiabetika-Klassen, die beide wegen ihrer positiven kardiovaskulären Endpunkt-Studien im Therapie-Algorithmus immer weiter nach vorne rutschen, verglichen worden sind: ein SGLT2-Hemmer und ein GLP-1-Analogon.

 
SUSTAIN-8 vermittelt klinisch relevante Informationen eines Head-to-Head-Vergleichs. Prof. Dr. Ildiko Lingvay
 

Finanziert war die Studie allerdings von Novo Nordisk, dem Hersteller des neuen GLP-1-Analogons Semaglutid. Dieses ist zwar als erster Wirkstoff dieser Klasse inzwischen auch in einer oralen Zubereitung zumindest in den USA verfügbar (wir berichteten). In der SUSTAIN-8-Studie war allerdings das einmal wöchentlich subkutan zu verabreichende Semaglutid (Ozempic®, Novo Nordisk) der Vergleichspartner.

Und tatsächlich erwies sich in der Studie, die über ein Jahr ging, das GLP-1-Analogon Semaglutid in den Endpunkten Senkung des HbA1c-Wertes und des Körpergewichts dem einmal täglich oral zu verabreichenden Canagliflozin (Invokana®, Janssen) als überlegen.

Ein Kilogramm mehr Gewichts- und 0,5%-Punkte mehr HbA1c-Reduktion

In SUSTAIN-8 waren jeweils knapp 400 Patienten, die unter einer Metformin-Monotherapie deutlich über dem Therapieziel lagen (medianer Ausgangs-HbA1c-Wert 8,3%) randomisiert und doppel-blind mit Semaglutid, 1,0 mg einmal wöchentlich, oder oralem Canagliflozin, 300 mg einmal täglich, behandelt worden. Nach 52 Wochen betrug die mediane Abnahme im HbA1c-Wert 1,5% unter Semaglutid und 1.0% unter Canagliflozin. Beim Körpergewicht hatten ebenfalls die mit Semaglutid Behandelten mehr abgenommen – im Schnitt 5,3 kg im Vergleich zu 4.2 kg unter Canagliflozin. Für beide Endpunkte war der Unterschied statistisch signifikant.

Die SUSTAIN-8-Studie ist zeitgleich zur Vorstellung beim EASD-Kongress im Lancet Diabetes & Endocrinology veröffentlicht worden [2].

 
Die Schlussfolgerung von Lingvay und Kollegen‚ diese Ergebnisse könnten die Auswahl bei der Therapie-Intensivierung lenken, lässt sich zumindest in Frage stellen. Prof. Dr. André Scheen
 

Für die Studienleiterin Prof. Dr. Ildiko Lingvay, vom UT Southwestern Medical Center, University of Texas, Dallas, vermittelt SUSTAIN-8 „klinisch relevante Informationen eines Head-to-Head-Vergleichs von zwei sehr häufig in der Zweitlinie eingesetzten Substanzklassen zur Senkung des Blutzuckers bei Patienten mit Typ-2-Diabetes“, wie sie bei der Präsentation der Ergebnisse in Barcelona betonte.

Es ist mehr zu berücksichtigen als HbA1c und Gewicht

Andere Kollegen, etwa Prof. Dr. André Scheen von der Universität von Liège, Belgien, der – ebenfalls in Lancet Diabetes & Endocrinology ein Editorial zur Studie veröffentlicht hat, weisen allerdings darauf hin, dass es in der Praxis viele verschiedene Faktoren bei der Wahl des Zweitlinien-Therapie zu berücksichtigen gibt, die über die Effekte auf Blutzucker und Körpergewicht hinausgehen [3].

Er erinnert daran, dass Vertreter beider Substanzklassen, der GLP-1-Agonisten, aber auch der SGLT2-Hemmer, in kardiovaskulären Endpunkt-Studien belegt haben, dass sie das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit Typ-2-Diabetes zu senken vermögen. Und dementsprechend werden auch beide Wirkstoffklassen in den Therapie-Algorithmen nach dem Versagen der alleinigen Metformin-Behandlung als Sekundärtherapie empfohlen.

Scheen weiter: „So lange keine Herzinsuffizienz vorliegt und keine Nierenerkrankung – zwei Bedingungen, unter denen SGLT2-Hemmer besser zu schützen scheinen – kann der Arzt zwischen den beiden Wirkstoffklassen wählen – ohne eine besondere Empfehlung, so lange es keine direkten Vergleichsstudien gibt.“

Für beide Wirkstoffklassen sei neben der Blutzuckersenkung mit dabei niedrigem Hypoglykämie-Risiko ein positiver Effekt im Bezug auf eine Gewichtsreduktion und eine Senkung des arteriellen Blutdrucks belegt. Der Mangel an direkten Vergleichsstudien mache die Wahl des richtigen Wirkstoffs im individuellen Fall für die Ärzte oft schwierig, schreibt Scheen. 

Er erinnert an eine ähnliche Vergleichsstudie – in diesem Fall zwischen oralem Semaglutid (14 mg einmal täglich) und Empagliflozin (25 mg einmal täglich) in PIONEER-2. Diese Studie ist allerdings zwar bereits vorgestellt, aber noch nicht publiziert worden. Auch hier habe sich der GLP-1-Agonist Semaglutid in der HbA1c-Senkung als überlegen erwiesen. Doch in punkto Gewichtssenkung ergab sich hier kein signifikanter Unterschied. Insgesamt erschienen die Unterschiede zwischen Semaglutid und den SGLT2-Hemmern „wenn auch signifikant, doch eher gering“, meint Scheen.

 
Die Empfehlung bleibt nach wie vor, personalisiert vorzugehen – und dabei nicht nur die beiden Endpunkte von SUSTAIN-8, HbA1c-Wert und Gewicht, zu berücksichtigen. Prof. Dr. André Scheen
 

„Aus diesem Grund lässt sich die Schlussfolgerung von Lingvay und Kollegen‚ diese Ergebnisse könnten die Auswahl bei der Therapie-Intensivierung lenken zumindest in Frage stellen“, meint Scheen.

Weitere wichtige Aspekte: Nebenwirkungen und Therapiekosten

Zudem seien – neben den Wirkungen auf Blutzucker und Gewicht – auch noch andere Aspekte zu berücksichtigen, etwa die Präferenzen der Patienten, z.B. was die Darreichungsform angeht, oder die individuelle Toleranz bezüglich Nebenwirkungen oder auch die Therapiekosten. So ist in SUSTAIN-8 eine einmal wöchentliche subkutane Gabe mit der täglichen Tabletteneinnahme verglichen worden.

Ein wichtiger Aspekt sind aber vor allem die unterschiedlichen Nebenwirkungen der Therapien. So brachen in SUSTAIN-8 mehr als doppelt so viele Patienten unter Semaglutid die Behandlung wegen Nebenwirkungen vorzeitig ab wie unter Canagliflozin – hauptsächlich wegen der für die GLP-1-Agonisten typischen gastrointestinalen Effekte. Auch sei die Behandlung mit Semaglutid teurer, schreibt Scheen. Und: Auf den systolischen Blutdruck hatte der SGLT2-Hemmer einen ausgeprägteren Effekt (mittlere Senkung 5,5 vs 3,5 mmHg).

Die Schlussfolgerung des belgischen Diabetologen lautet dementsprechend: „Die Empfehlung bleibt nach wie vor, personalisiert vorzugehen – und dabei nicht nur die beiden Endpunkte von SUSTAIN-8, HbA1c-Wert und Gewicht, zu berücksichtigen.“ Auch sollten Komorbiditäten wie Nieren- oder Herzinsuffizienz die Präferenzen in Richtung SGLT2-Hemmer verschieben.

Und schließlich, schreibt Scheen, „könnten wir auch über den zusätzlichen Gewinn einer Kombination spekulieren, statt uns mit dem Dilemma der Wahl zwischen GLP-1-Rezeptor-Agonist oder SGLT2-Hemmer auseinanderzusetzen“. Zumindest in der SUSTAIN-9-Studie habe die zusätzliche Gabe von Semaglutid s.c. einmal wöchentlich zu einem SGLT2-Hemmer bereits positive Wirkungen auf Surrogat-Endpunkte wie HbA1c und Gewicht gezeigt.
 

Kommentar

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