Was sich in Kliniken ändern muss, damit junge Ärztinnen und Ärzte kommen – und auch bleiben

Christian Beneker

Interessenkonflikte

15. Oktober 2019

München – Die Ärzte-Schwemme ist längst vorbei, und junge Ärztinnen und Ärzte wachsen nicht auf Bäumen. Nicht nur die KVen, auch die Krankenhäuser müssen sich Strategien einfallen lassen, um den Nachwuchs zu ködern. Aber welche? Auf dem Europäischen Gesundheitskongress in München referierten die Podiumsteilnehmer Lösungsansätze zur Frage: „Junge Ärzte halten und (zurück-)gewinnen.“ [1]

Er wolle den jungen Ärztinnen und Ärzten keine Vorwürfe machen, betonte der Geschäftsführer des Krankenhauses Landkreis Weilheim-Schongau, Thomas Lippmann, mehrfach, als er die Präferenzen junger Ärzte aus seiner Sicht beschrieb. Tatsächlich seien aber die Ansprüche der jungen Mediziner-Generation an Arbeit und Gehalt deutlich gestiegen. Zugleich geht nach Lippmanns Erfahrungen das Engagement und das Karrierestreben der jungen Ärztinnen und Ärzte zurück.

 
Die jungen Leute sind nicht mehr auf die Karriere aus und wollen nicht mehr unbedingt Chefarzt werden. Thomas Lippmann
 

„Facharzt werden oder Oberärztin – das ist noch okay“, berichtet der Geschäftsführer. „Aber die jungen Leute sind nicht mehr auf die Karriere aus und wollen nicht mehr unbedingt Chefarzt werden. Denn sie fragen sich: Warum muss ich mir das antun?“

So sei zum Beispiel die jahrzehntelange Treue zu einem Krankenhaus die Ausnahme geworden. „Aber die jungen Leute haben hohe Erwartungen.“ Sie seien total vernetzt und hätten doch Defizite bei der Teamarbeit, sie wollten mehr als sie könnten, und Coachings seien ihnen lieber als selbst zu lernen, meldete Lippmann auch Kritik an. „Steile Hierarchien lehnen sie ab.“

Fördern und fordern

Man brauche dementsprechend neue Karrierewege. Die Mittel der Wahl sind nach Lippmanns Ansicht auch Schritte in der Arbeitskultur. „Wir respektieren ihre veränderte Sicht auf Leben und Arbeit und müssen zum Beispiel unsere Führungskultur verbessern, um junge Ärztinnen und Ärzte anzulocken und zu halten.“ Das bedeute zum Beispiel, sie miteinander ins Gespräch zu bringen und sie bei wichtigen Entscheidungen mit einzubeziehen.

 
Wir müssen zum Beispiel unsere Führungskultur verbessern, um junge Ärztinnen und Ärzte anzulocken und zu halten. Thomas Lippmann
 

Lippmann berichtete, dass er stets bei den Assistenten-Besprechungen dabei sei, „um eventuelle Überlastungsanzeigen persönlich entgegen zu nehmen.“ Zugleich müssten die Häuser, die junge Ärzte gewinnen und halten wollen, auch flexible Arbeitszeitmodelle anbieten und vor allem „ein Plus geben“, wie Lippmann sagte, zum Beispiel Jobtickets, günstigen Wohnraum oder auch gemeinsame Bergwanderungen, nannte er als Beispiele. Andererseits müssten die Erwartungen an den Nachwuchs klar kommuniziert und bei der Arbeit Herausforderungen geboten werden.

Arbeitnehmermarkt

„Für unsere Ärzte tun wir fast alles“ – so warb Stefan Wollschläger, Leiter der Personalentwicklung der AMEOS-Gruppe, für den Job des Arztes in seinem Haus. Wollschläger legt besonderen Wert darauf, dass die Bewerber schon ab dem ersten Kontakt mit dem Krankenhaus gute Erfahrungen machen. „Wir als Krankenhaus wollen deshalb die Erwartungen der Bewerberinnen und Bewerber erfüllen.“

 
Junge Ärzte wissen schon, was sie wollen – nur ändert sich das ständig. Stefan Wollschläger
 

Und dann gehe es darum, die jungen Ärztinnen und Ärzte in den verschiedenen Phasen der Berufskarriere zu begleiten und zu halten. Die Zeiten des Arbeitgebermarktes bei Nachwuchsmedizinern seien vorbei, es regiere der Arbeitnehmermarkt, sagte Wollschläger: „Junge Ärzte wissen schon, was sie wollen – nur ändert sich das ständig.“ Darum müsse man gut zuhören – und solle mit der Ansprache auch da präsent sein, wo sich junge Ärzte treffen: auf Facebook und anderen sozialen Medien.

Frauen sind intoleranter gegenüber schlechter Organisation

Dass die Digitalisierung und Technisierung in den Krankenhäusern auch eine Belastung für den Nachwuchs sei, unterstrich Patrick Scheidt, Geschäftsführer der Elsevier GmbH. Denn bevor sich der Nutzen von IT-Systemen im Krankenhaus entfalte, stressten sie zunächst. So die elektronische Patientenakte: Sie verlangt Studien zufolge 50% der ärztlichen Arbeitszeit, um sie überhaupt anzulegen – und nützt erst dann.

 
Die Zahl der universitären Klinikdirektorinnen steigt nicht. Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser
 

„Das macht die Ärzte oft unzufrieden, und diese Unzufriedenheit projizieren sie auf ihren Arbeitgeber“, sagte Scheidt. Darum müssten die Krankenhäuser den Mehrwert von IT im Krankenhaus für den Nutzer schneller erlebbar machen.

Besonders könnten die Krankenhäuser bei den Ärztinnen punkten – mit familienfreundlichen Angeboten und Karriere-Chancen. Denn auch wenn die jungen Leute seltener in die Chefetagen der Kliniken streben – die Frauen unter ihnen schaffen es signifikant seltener ganz nach oben. Darauf machte Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser, Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes e.V., aufmerksam. „Heute sind 2 Drittel der Studienanfängerinnen für Medizin Frauen, und die Zahl der Promotionen und Habilitationen von Frauen in der Medizin steigt“, so Puhan-Schmeiser. „Aber die Zahl der universitären Klinikdirektorinnen steigt nicht.“

Schwangerschaft und Familienphase seien für das Weiterkommen der Frauen immer noch risikoreich, weil sie zum Karriereknick führten. Von den Ärztekammern forderte Puhahn-Schmeiser deshalb unter anderem, die Weiterbildung in Teilzeit zu ermöglichen, familienfreundliche Krankenhäuser zu fördern oder Mentorinnen-Programme aufzulegen.

Kliniken indessen sollten Frauen auch in Führungspositionen einstellen, unabhängig von der Familienplanung. Das bedeute, dass auch die Kliniken sich in ihren Arbeitsprozessen umstellen müssten, hieß es auf dem Podium. „Die Besprechungen spät abends müssen der Vergangenheit angehören!“

 
Die Besprechungen spät abends müssen der Vergangenheit angehören! Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser
 

Tatsächlich haben Studien ergeben, dass Frauen ihre Arbeitgeber seltener weiterempfehlen und relativ unzufrieden sind. Der Grund: Frauen mit Familie sind viel intoleranter gegenüber nicht funktionierender Organisation am Arbeitsplatz, denn sie müssen im Zweifel die überzogene Sitzung verlassen, um die Kinder abzuholen. Puhahn-Schmeiser: „Es ändert sich noch viel zu wenig und zu langsam.“

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....