Was sich seit langem für die Wiederherstellung der Fruchtbarkeit von Krebspatientinnen bewährt hat, ist auf dem Weg zur Lifestyle-Medizin: Der gesunden Frau wird in einem Alter, in dem sie noch eine gute ovarielle Reserve hat, ein Teil eines Eierstocks entfernt, aufbereitet, kryokonserviert und später stückchenweise wieder zurückgesetzt.
Jedes dieser Ovar-Stückchen kann je nach Ovarialreserve, also der Anzahl noch darin befindlicher Primordial- und Primärfollikel mit deren potenziell beherbergenden Oozyten, die fertile Phase um einige Jahre verlängern. Mit einer Aneinanderreihung mehrerer solcher Eingriffe werden sogar bis zu 10 Jahre oder auch mehr erreicht – und das bedeutet, dass die Menopause um die gleiche Zeit hinausgezögert werden kann.
Der erste, der mit dieser Methode vor kurzem an die breite Öffentlichkeit getreten ist, ist der britische Fertilisationsmediziner Prof. Dr. Simon Fishel. „Obwohl der Erhalt der Fertilität die geläufigste Indikation für die Kryopräservation und Transplantation von Ovargewebe (OTCT) ist, kann das Verfahren auch bei gesunden Frauen als Strategie vorgeschlagen werden, um die Menopause zu verschieben“, formulierte er bereits vor einem Jahr.
Inzwischen berichteten von Guardian über The Times bis The Sun zahlreiche britische Medien darüber, wie glücklich 40-jährige von Fishels Team behandelte Patientinnen seien, weil sie sich nach diesem Eingriff nun nicht mehr vor dem Eintritt der Wechseljahre – und den damit einhergehenden Hitzewallungen, Schlafstörungen und Depressionen – fürchten müssen.
In der Tat, so bestätigt Humanbiologin Dr. rer. nat. Jana Liebenthron, sind die Methoden des Fertilitätserhalts heute so weit entwickelt, dass es denk- und machbar wird, mit diesen Methoden über die reine Kinderwunsch-Indikation hinauszugehen. Liebenthron ist Leiterin der Kryobank im Bereich Medical und Social Freezing am UniCareD, Universitätsklinikum Düsseldorf, und Vorstandsmitglied im FertiPROTEKT Netzwerk e.V..
Methode auch in Deutschland bekannt ….
„Im Prinzip machen wir es genauso, wie es von den britischen Kollegen beschrieben wird. Wir entnehmen etwa ein bis zwei Drittel eines Ovars. Das lässt die natürliche Menopause, wenn die verbliebenen Ovarien weiterhin aktiv bleiben würden, nur um etwa 1 bis 2 Jahre früher eintreten“, erklärt Liebenthron.
Nach der Entnahme werde das Gewebe der Medulla ovarii vom Cortex ovarii abpräpariert und nur ein dünner Reststroma-Anteil mit entwicklungsfähigen Oozyten belassen. „Aus dem fertig präparierten Kortex werden rechteckige, ca. 4 x 8 x 1 mm3 große Stücke zugeschnitten und in einzelnen Portionen kryokonserviert für spätere therapeutische Rückverpflanzungen“, so Liebenthron.
… vor allem für onkologische Patientinnen mit Kinderwunsch
Besteht ein Kinderwunsch und sind die verbliebenen Ovarien nicht mehr funktionell – man spricht von einem therapie-induziertem vorzeitigen Ovarialversagen (POF) –, so können diese Stückchen portionsweise aufgetaut und entweder auf einen der verbliebenen Eierstöcke oder peritoneal in unmittelbarer Nähe der verbliebenen Ovarien transplantiert werden.
Zwischen 1 und 4 Jahre betrage die Funktionsdauer eines solchen Gewebestreifens – abhängig von der Fertilitätsreserve der Patientin zum Entnahmezeitpunkt. Wenn die Funktion nach Verbrauch der follikulären Reserve nachlasse, können die nächsten Kortexstücke bis wiederum zu deren Verbrauch in einem weiteren laparoskopischen Eingriff retransplantiert werden.
Das bedeutet: Solange eine Rekrutierung von Eizellen aus dem transplantierten Follikelpool stattfindet, produzieren die heranwachsenden Follikel endogenes Östradiol und nach der Ovulation auch Progesteron. Dadurch proliferiert die Gebärmutterschleimhaut und blutet am Zyklusende ab, wenn keine Schwangerschaft eintritt.
Besteht kein Kinderwunsch, sondern geht es lediglich um ein Hinausschieben der Menopause, dann können die beschriebenen ovariellen Gewebestreifen auch geringer invasiv in Fett- oder Muskelgewebe unter die Haut implantiert werden. „Um eine Oozyte für eine Kinderwunschbehandlung gewinnen zu können“, erläutert Liebenthron, „wäre diese Art der Rückverpflanzung nicht geeignet. Es scheint, dass der heranwachsende Follikel die Körperkerntemperatur und geringere Umgebungsdruckverhältnisse benötigt.“
Hoher finanzieller Aufwand
Der Aufwand für die Patientin ist erheblich; die britischen Medien berichten von Kosten zwischen 7.000 und 11.000 Pfund (7.800 bis 12.100 Euro). Ein weiteres Problem sei, dass eine wirklich gute ovarielle Reserve zuverlässig nur bis zum 30., maximal 35. Lebensjahr, gesichert nachweisbar ist. „Wenn das Gewebe nicht genügend Eizellen enthält, wäre der ganze Aufwand vergeblich“, so Liebenthron.
Eine Garantie gibt es aber auch bei jüngeren Patientinnen nicht. Die Angehrate der Transplantate wird aktuell im Netzwerk FertiPROTEKT mit 80 bis 95% beschrieben [1 2]. Der Erfolg korreliert dabei mit der Fertilitätsreserve der Patientin, die es unbedingt vorab zu bestimmen gilt.

Dr. Christian Albring
Auch Fishel bestätigt gegenüber Medscape, dass die Methode selbst zwar aus dem Fertilitätserhalt gut bekannt und bewährt sei. Wie lange aber nach der Gewebe-Entnahme bei seinen 40-jährigen Patientinnen später die Menopause wirklich hinausgezögert werden könne, darüber könne jetzt noch nichts gesagt, sondern nur vermutet werden.
Mehr Risiken als bei Leitlinien-gerechter Hormonersatztherapie
Außerdem, so Liebenthron, sei es ein Trugschluss, dass mit dieser Methode die Nebenwirkungen einer Hormonersatztherapie (HRT) umgangen werden können. Sie bezieht sich hier auf eine Arbeit aus Bern: „Bleibt der Östrogenspiegel erhalten, dann bleiben sicherlich auch die Risiken für Thrombosen und für östrogenabhängige Tumoren erhalten. Diese Methode als endokrinologische Lifestyle-Medizin einzusetzen, ist neu und derzeit noch experimentell. Wir sind mit der Bewertung noch bei weitem nicht fertig.“
Dr. Christian Albring, Hannover, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, erinnert zudem gegenüber Medscape daran, dass mit den Wechseljahren Dysmenorrhoe, Endometriose und das Wachstum von Myomen zum Stillstand kommen. Mit einer individuell angepassten, niedrig dosierten, leitliniengerechten Hormonersatztherapie könnten, so der Frauenarzt, diese Risiken umgangen und die Beschwerden und Symptome der Wechseljahre sinnvoller therapiert werden.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Social Freezing für Fortgeschrittene – vom Fertilitätserhalt zur Lifestyle-Medizin und zum Verzögern der Menopause? - Medscape - 10. Okt 2019.
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