Belgische Studie: Feinstaub-Partikel gelangen bis in die Plazenta – umso mehr, je dreckiger die Luft

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

7. Oktober 2019

Feinstaub-Partikel können in die Plazenta gelangen – das zeigt eine kleine Studie von belgischen Forschern, die in Nature Communications erschienen ist [1]. Dr. Hannelore Bové vom Centre for Environmental Sciences der Hasselt University in Diepenbeek, Belgien, und ihre Kollegen hatten 25 Plazenten von Nichtraucherinnen in der belgischen Stadt Hasselt untersucht und Kohlenstoffpartikel auf der dem Kind zugewandten Seite des Mutterkuchens nachgewiesen. Die Forscher verwendeten Lasertechnik, um die schwarzen Kohlenstoffpartikel zu erkennen.

Zwischen der Menge der gefundenen Kohlenstoffpartikel und der Stärke der Luftverschmutzung, der die Mütter in der Schwangerschaft ausgesetzt waren, gab es einen Zusammenhang:

  • In den Plazenten von Müttern, die in der Nähe von Hauptstraßen lebten, fanden sich durchschnittlich 20.000 Nanopartikel pro Kubikmillimeter.

  • Der Durchschnitt bei den Müttern, die nicht in der Nähe von Hauptstraßen lebten, lag bei 10.000 pro Kubikmillimeter.

Bové und ihre Kollegen konnten auch zeigen, dass sich die Kohlenstoffpartikel bereits in der 12. Schwangerschaftswoche im Mutterkuchen befinden. Sie hatten dafür das Gewebe von 5 Plazenten nach Fehlgeburten untersucht.

Die möglichen Schäden an Feten können lebenslange Folgen haben. Prof. Dr. Tim Nawrot, Leiter der Studie, sagte dazu im Guardian: „Das ist die verletzlichste Zeit des Lebens. Alle Organsysteme befinden sich in der Entwicklung. Zum Schutz zukünftiger Generationen müssen wir die Belastung reduzieren.“

 
Zum Schutz zukünftiger Generationen müssen wir die Belastung reduzieren. Prof. Dr. Tim Nawrot
 

Ergebnisse stimmen mit vorherigen Ex-vivo- und In-vivo-Studien überein

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die menschliche Plazenta-Schranke für Partikel nicht undurchdringlich ist“, schreiben Bové und ihre Kollegen. Die Studienergebnisse, die auf Expositionsbedingungen in der Praxis basierten, stünden in Übereinstimmung mit zuvor berichteten Ex-vivo- und In-vivo-Studien, die den Plazenta-Transfer verschiedener Nanopartikel untersucht haben.

 
Unsere Ergebnisse zeigen, dass die menschliche Plazenta-Schranke für Partikel nicht undurchdringlich ist. Dr. Hannelore Bové und Kollegen
 

In einem humanen Perfusionsmodell konnte 2010 gezeigt werden, dass Polystyrol-Teilchen mit einem Durchmesser von weniger als 240 nm in der Lage sind, die Plazenta zu durchqueren und dabei sogar die fetale Blutbahn zu erreichen. Auch Vidmar und Kollegen konnten 2018 mit einem ähnlichen Modell die Translokation von Silber-Nanopartikeln in den fetalen Kreislauf nachweisen.

2016 fanden französische Forscher Diesel-Nanopartikel in mütterlichen Erythrozyten und im Plasma sowie in trophoblastischen Plazentazellen von schwangeren Kaninchen, die Dieselabgasen ausgesetzt waren.

Luftverschmutzung kann jedes Organ und jede Zelle schädigen

Ein weltweiter Review kam 2019 zu dem Schluss, dass die Luftverschmutzung jedes Organ und praktisch jede Zelle im menschlichen Körper schädigen kann. Gewebeschäden können direkt aus der Schadstoff-Toxizität resultieren, weil feine und ultrafeine Partikel direkt in die Organe gelangen können oder indirekt durch systemische Entzündungsprozesse.

Festgestellt wurde, dass Nanopartikel die Blut-Hirn-Schranke überwinden; Partikel fanden sich auch in den Herzen junger Stadtbewohner. Prof. Dr. Dean Schraufnagel von der University of Illinois in Chicago, Leiter des Reviews, sagte dem Guardian : „Ich wäre nicht überrascht, wenn fast jedes Organ betroffen wäre. Wenn etwas fehlt, dann wahrscheinlich, weil dazu noch nicht geforscht wurde.“

Laut Ökotest ist die Feinstaubbelastung in Deutschland im Vergleich zu den 1990er-Jahren zwar zurückgegangen, nimmt aber inzwischen nur noch langsam ab. Studien gehen immer noch von 13.000 Menschen aus, die hierzulande jährlich an den Folgen der Luftverschmutzung sterben.

„Wir wissen seit langem, dass Umwelteinflüsse wie Luftverschmutzung oder Zigarettenrauch einen Einfluss auf das Wachstum des Fetus haben. Wir wissen auch, dass dies Langzeiteffekte haben kann, die bis ins Erwachsenenalter nachweisbar sind“, kommentiert Dr. Torsten Plösch, Universitätsdozent und Leiter der Forschungsgruppe Experimentelle Perinatologie, Universitätsfrauenklinik Groningen, Niederlande, die Studienergebnisse.

Man wisse allerdings nicht, welche Einzelfaktoren hier eine Rolle spielten. „Die Studie der belgischen Kollegen zeigt, dass Kohlenstoffpartikel aus der Umwelt auch im realen Leben zumindest die fetale Seite der Plazenta erreichen können – nicht nur in Laborversuchen. Damit erweitert sich die Liste der Schadstoffe, die potenziell den Fetus schädigen können.“

Studie zeigt nicht, dass die Partikel mit Plazenta-Zellen interagieren

Kritischer Punkt der Studie sei, dass sie lediglich zeige, dass sich die Kohlenstoffpartikel in der gesamten Plazenta verteilen und damit potenziell den Fetus erreichen können. Die Autoren hätten aber nicht im Nabelschnurblut gemessen, ob dort Partikel angekommen sind. Auch zeigen sie nicht, dass die Partikel irgendwelche Interaktionen mit Zellen der Plazenta eingehen. Es wurde auch nicht untersucht, ob die Partikel von Immunzellen erkannt werden oder irgendwelche Reaktionen auslösen.

Die Arbeit zeige ein potenzielles Risiko auf, das genauer untersucht werden müsse. Plösch fährt fort: „Die Studie kann keinen direkten Beweis erbringen, dass die Kohlenstoffpartikel ursächlich für negative Langzeitfolgen sind. Es ist aber mindestens zu vermuten, dass es ein weiterer Faktor in der langen Reihe von Schadstoffen ist, die wir in der Schwangerschaft vermeiden sollten.“

 
Es ist aber mindestens zu vermuten, dass es ein weiterer Faktor in der langen Reihe von Schadstoffen ist, die wir in der Schwangerschaft vermeiden sollten. Dr. Torsten Plösch
 

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....