Hamburg – Projekte, die Medizin aus den Kliniken in die Praxen zu bringen, gibt es viele. Aber der Weg zur flächendeckenden Versorgung vor allem auf dem Land ist weit. Wohl deshalb wählten die Verantwortlichen des Hamburger Gesundheitswirtschaftskongresses einen betont optimistischen Titel: „Raus aus dem Bett: Ambulante Medizin auf dem Vormarsch.“ [1]
„Die Potenziale der Ambulantisierung sind gewaltig“, erklärte der ehemalige Krankenhausmanager Otto Melchert. So verfügten 80% der Krankenhäuser im weitläufigen Mecklenburg-Vorpommern über Geld aus dem Sicherstellungszuschlag, weil jedes dieser Häuser auf seinen Versorgungsauftrag verweise. Hier sieht Melchert erhebliche Verwerfungen.
Anstelle der vielen Kliniken könnten etliche Leistungen auch über Medizinische Versorgungszentren (MVZ) angeboten werden. Die Einzelpraxen verschwänden ohnehin, und kooperative Strukturen unter den Niedergelassenen seien im Wachsen, so Melchert. Da sei viel mehr Zusammenarbeit unter den Sektoren möglich.
Sektorenübergreifende Versorgung mit Niedergelassenen
Marco Bohn, Geschäftsführer der Sana Kliniken Berlin-Brandenburg, sieht das Ende des klassischen Krankenhauses jedenfalls auf dem Land herannahen. „Um die Fragmentierung der Versorgung abzuschaffen, werden diese Krankenhäuser sich in ambulant-stationäre Zentren verwandeln“, sagte Bohn. Da könnten Haus- und Fachärzte unter einem Dach mit Apotheken und dem Klinikum Patienten versorgen.
„Und der Facharzt kommt per Telemedizin“, sagte Bohn. Solche Konstrukte ermöglichen Sektor-übergreifende Behandlungspfade. So biete eines der Sana-Häuser eine Herzinsuffizienz-Sprechstunde an – mit einem Facharzt, der aus dem 100 Kilometer entfernten Berlin per Telemedizin hinzugeschaltet werde.
Bohn: „Das Krankenhaus kann nicht mehr das klassische Krankenhaus sein. Die Niedergelassenen einer Region müssen Teil des Modells werden.“ Allerdings seien dann auch andere Finanzierungswege nötig. Der Experte denkt hier ein gemeinsames, Sektor-übergreifendes „Global-Budget“.
22 Gesundheitsregionen gibt es zurzeit in Deutschland. Uwe Borchers, Geschäftsführer des Zentrums für Innovation in der Gesundheitswirtschaft Ostwestfalen-Lippe (ZIG), pries sie als ein Mittel der Wahl, um die ambulante Medizin in der Fläche zu stärken. „In Zeiten, in denen Private Equity Fonds weite Teile der Altenpflege übernehmen, bieten die Regionen zum Beispiel mit Gesundheitszentren eine ganz andere Konfiguration.“
Dies etwa bei der Koordination von Krankenhausaufenthalten und der Zeit danach für alte Patentinnen und Patienten. Speziell geschulte Helferinnen begleiten beispielsweise Senioren in Westfalen Lippe in ihrem Behandlungsprozess als „Kümmerer am Küchentisch“ zusammen mit den Hausärzten. Das Projekt habe sich bewährt. „2017 gründeten das Ärztenetz Lippe zusammen mit dem Klinikum Lippe mit je 50% der Anteile eine entsprechende Versorgungsgesellschaft“, berichtet Borchers.
Ärzte und Patienten hätten ohne derartige Initiativen oft keinen Überblick über Nachsorgestrukturen. „Was kann man tun? Gesundheitsprojekte von den Regionen organisieren lassen“, fragte und antwortete gleichzeitig Borchers. Werden diese Regionen als Initiatoren entsprechender Projekte aktiv, dürfte derart „regional geerdete“ medizinische Versorgung am Ort auch als „strategischer Standortfaktor“ gelten, sagte der ZIG-Geschäftsführer.
Ambulante Medizin im Großformat
Völlig losgelöst von Kommunen oder Ärztenetzen unterhält die Ober Scharrer Gruppe (OSG) 91 augenärztliche ambulante Standorte mit rund 300 Ärzten. Auch die Augenabteilung des Klinikums Fürth wird von der OSG betrieben. „Tendenz: wachsend“, erklärt Sibylle Stauch-Eckmann, Vorsitzende der Geschäftsführung der Gruppe.
Dies sei ambulante Medizin in Großformat. Bedeutete die Operation des Grauen Stars zu früheren Zeiten tagelange Krankenhausaufenthalte, gingen die Patienten heute am Tag der OP wieder nach Hause. Auch für die Ärztinnen und Ärzte sei die OSG attraktiv, sagte Stauch-Eckmann. Der Andrang sei so stark, dass „die Flächenausdehnung von ganz allein“ komme.
Oft handle es sich um Augenärzte um die 50, „die keine Lust mehr haben auf die Bürokratie einer eigenen Praxis, erklärt Stauch-Eckmann. Die Gruppe will überall in Deutschland präsent sein. Aber auch unter den Augenärztinnen und -ärzten gilt: Die jungen Leute wollen nicht aufs Land.“
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Diesen Artikel so zitieren: Die stationäre Versorgung wird schwieriger, und Einzelpraxen verschwinden ebenfalls. Können MVZ die Lücke schließen? - Medscape - 1. Okt 2019.
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