Barcelona – Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) hat Semaglutid (Rybelsus®, Novo Nordisk) in der oralen Darreichungsform (7- und 14-mg-Dosierung) zugelassen. Indikation ist die Verbesserung der Blutzuckerkontrolle bei erwachsenen Patienten mit Typ-2-Diabetes zusätzlich zur Anpassung des Lebensstils hinsichtlich Ernährung und Bewegung.
In der einmal wöchentlich subkutan zu injizierenden Darreichungsform ist der GLP(Glucagon-Like Peptid)-1-Agonist als Ozempic® ebenfalls von Novo Nordisk bereits seit Dezember 2017 in den USA zugelassen.
„Das ist ein Wendepunkt. Es gibt keinen oralen Wirkstoff, der Ihnen eine Reduktion von 1,2% bis 1,5% im HbA1c-Wert plus eine Gewichtsreduktion von 3 bis 4 kg liefert!“ So äußerte sich der Direktor des Dallas Diabetes Research Center in Medical City, Texas, Dr. Julio Rosenstock gegenüber Medscape in einem Interview, das wir während des EASD-Jahreskongresses 2019 (European Association for the Study of Diabetes) geführt haben [1]. „Bisher“, so sagte er weiter, „ist eine der Limitierungen der GLP-1-Agonisten, dass diese Wirkstoffe injiziert werden mussten.“.
Der derzeitige EASD-Präsident Prof. Dr. David R. Matthews, emeritierter Professor für Diabetologie an der britischen Oxford-Universität, teilte die Begeisterung: „Ich denke, dass es das Management des Typ-2-Diabetes dramatisch verändern wird, denn bisher waren GLP-1-Agonisten nur in injizierbarer Form erhältlich. Wenn wir aber eine orale Applikationsmöglichkeit haben, werden plötzlich viel mehr Menschen sie absolut akzeptabel finden“, pflichtete er bei.
Die bekannten gastrointestinalen Nebenwirkungen der GLP-1-Agonisten seien bei oraler Gabe etwas weniger ausgeprägt als bei der injizierbaren Form, und sie führten zu einer ausgeprägteren Gewichtsreduktion als die SGLT-2-Hemmer, die 2. neue ebenfalls vielversprechende Klasse von Typ-2-Diabetes-Medikamenten, stellte Matthews fest.
Und Prof. Dr. Irl B. Hirsch, Medicine Diabetes Institute der University of Washington in Seattle, teilte Medscape in einer E-Mail mit: „Auch ich bin sehr gespannt auf die Zulassung von oralem Semaglutid. Besonders bei uns im pazifischen Nordwesten werden die GLP-1-Agonisten bislang kaum verordnet.“
Wie wahrscheinlich ist ein Umschwung?
Hirsch sagte jedoch auch: „Ich vermute, dass dies nur ein kleiner Schritt für die Anwendung dieser Substanzklasse ist. Denn der Hauptgrund für die zögerliche Verordnungspraxis sind weniger die Injektion oder die gastrointestinalen Nebenwirkungen als vielmehr die Kosten des Wirkstoffes … Es ist schwer vorstellbar, dass dieses Medikament jetzt einen Wandel auslöst, solange sein Preis so hoch bleibt.“
Prof. Dr. Simeon I. Taylor von der University of Maryland School of Medicine in Baltimore meinte: „Semaglutid verfügt bei wöchentlicher subkutaner Injektion über mehrere sehr attraktive Eigenschaften, darunter die besten Werte für die Wirkund auf den Blutzucker und auf das Körpergewicht sowie ein in den Studien um 26% geringeres Risiko für schwerer kardiovaskuläre Ereignisse im Vergleich zu Placebo.“
Aber obwohl die tägliche orale Semaglutid-Einnahme auch „ein attraktives Profil“ habe, „wäre eine direkte Vergleichsstudie der beiden Darreichungsformen erforderlich, um das Nutzen-Risiko-Profil der beiden Präparate wirklich miteinander vergleichen zu können“, regte er an.
„Wahrscheinlich ist es für manche Patienten bequemer, täglich eine Tablette einzunehmen, als sich wöchentlich eine Spritze zu setzen oder setzen zu lassen ... Für andere Patienten könnte es gerade anders herum interessanter sein“, fuhr er fort.
Und Taylor ergänzte: „Es ist auch wichtig, die von der FDA geforderten Verordnungshinweise zu prüfen, um zu klären, ob etwa besondere Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf den Einnahmezeitpunkt des Medikaments im Verhältnis zu den Mahlzeiten eingehalten werden müssen. Wenn die Patienten nicht zeitnah zum Einnahmezeitpunkt essen dürfen, kann das manchem Patienten unpraktikabel erscheinen.“
Er erläutert: „Wegen der relativ ineffizienten Resorption des oral aufgenommenen Wirkstoffes überschreitet die wöchentliche Semaglutid-Gesamtdosis deutlich die Menge, die bei der subkutanen Gabe notwendig ist.“ Schließlich, so ergänzt auch er, werde es „darum gehen, wie die Ausgestaltung des Preises bei den beiden Applikationsformen zustande kommt, um deren Kosteneffizienz beurteilen zu können“.
Orales Semaglutid in PIONEER-Studien getestet
Rosenstock war Hauptautor mehrerer Phase-3- -Studien mit dem Akronym PIONEER von Novo Nordisk, in denen orales Semaglutid in zahlreichen Behandlungsregimen und bei verschiedenen Patientenpopulationen untersucht worden ist. So erwies sich das Medikament etwa in der PIONEER-6-Studie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulären Risiko als sicher. Doch trotz einer 21%igen Reduktion von schweren kardialen Ereignissen im Vergleich zu Placebo erreichte dieser Unterschied in der Studie keine Signifikanz.
In PIONEER-3 senkte orales Semaglutid den HbA1c-Spiegel besser als der Di-Peptidyl-Peptidase-4 (DPP-4)-Inhibitor Sitagliptin (verschiedene Marken).
Und in der PIONEER-5-Studie an Patienten mit Typ-2-Diabetes und moderater chronischer Nierenerkrankung senkte die zusätzliche tägliche Gabe von oralem Semaglutid additiv zu Metformin, Sulfonylharnstoff und/oder Insulin den HbA1c-Wert über 26 Wochen um weitere 1%.
Kein Wettbewerb: Platz sowohl für orales Semaglutid als auch für SGLT2-Inhibitoren
Auf die Frage, wie er denn orales Semaglutid im Vergleich zu den ebenfalls oral einzunehmenden SGLT2-Hemmern in der Behandlung des Typ-2-Diabetes bewerte, sagte Rosenstock: „Die SGLT2-Hemmer haben bei der Herzinsuffizienz zweifellos die Nase vorn. Doch für mich ist das kein Wettbewerb. Ich sehe beide als ideale Kombinationspräparate zum Metformin. Wir haben jetzt Metformin, orale SLGT-2-Hemmer und einen oralen GLP-1-Agonisten. Das ist die ideale Dreifachkombination. Vielleicht nicht gleich zu Anfang, doch ich glaube, dass man beim Diabetes mit einer Doppelkombination beginnen muss.“
Tatsächlich „verändere sich das Umfeld in der Diabetestherapie“ hin zu einer stärkeren Individualisierung. So gebe es einen Wandel von der traditionellen Stufentherapie, die mit Lebensstiländerung beginnt und dann über die Metformin-Monotherapie mit Ergänzung eines zweiten Medikaments führt, hin zu einer aggressiveren Behandlungsform mit einer Kombinationstherapie gleich zu Behandlungsbeginn, sagte Matthews.
Er bezog sich auf seine gerade erst veröffentlichte VERIFY-Studie, die Argumenten für einen Start mit einer Kombinationstherapie mit Metformin und einem DPP-4-Inhibitor liefert. „Es hat den Anschein, als schnitten die Menschen unter einer Kombinationstherapie besser ab als beim stufenweisen Vorgehen“, sagte Matthews
„Ich glaube, die Diabetologie geht einer rosigen Zukunft entgegen, in der wir Menschen mit Diabetes wirklich sehr spezifisch werden behandeln können“, zeigte er sich optimistisch. „Es wird nicht jeder auf das orale Semaglutid umschwenken, aber eine Teilmenge der Patienten wird wirklich davon profitieren … Es ist eine weitere bedeutende Veränderung in der Diabetesversorgung der Zukunft.“
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Nach der FDA-Zulassung für ersten oralen GLP-1-Agonisten: Stimmen beim EASD-Kongress – wird es die Therapie verändern? - Medscape - 27. Sep 2019.
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