Homöopathie bleibt erstattungsfähig – dies ruft viele Kritiker auf den Plan: „Es geht ums Prinzip“

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

25. September 2019

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat nun doch entschieden, der Homöopathie die Erstattungsfähigkeit zu belassen. Sein Argument: Bei Arznei-Ausgaben von rund 40 Milliarden Euro im Jahr seien die etwa 20 Millionen, die gesetzliche Kassen für Homöopathie zahlen, zu vernachlässigen.

Man könne über das Thema Homöopathie emotional diskutieren oder man könne sich auch fragen, ob es das wert sei, so Spahn. Aber er habe sich entschlossen zu sagen, es sei „so okay“. Wenig überraschend fallen die Reaktionen auf Spahns Entscheidung höchst unterschiedlich aus.

Während Dr. Hermann Kortland vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Spahns Entscheidung als „Versachlichung der Debatte“ wertet und darauf verweist, dass von Globuli & Co. „keine Gefahr ausgeht“, Mathias Hevert, Geschäftsführer des Homöopathika-Herstellers Hevert, die Kosten für Homöopathie als „irrelevant im Konzert der gesamten Gesundheitsausgaben“ bezeichnet, und Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), darauf verweist, dass homöopathische Arzneimittel eine wichtige Therapieoption seien, die „keinerlei Belastung für die Solidargemeinschaft darstellt“, ist nicht nur das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) irritiert.

„Homöopathie unvereinbar mit wissenschaftlichem Weltbild“

„Er (Spahn) führt dazu ausgerechnet das schlechteste aller schlechten Argumente an – die ‚geringen Kosten´ der Homöopathie im Gesamtrahmen“, teilt INH auf facebook dazu mit. In einem offenen Brief hat sich das Informationsnetzwerk ausführlich mit den Folgen der Entscheidung des Bundesgesundheitsministers auseinandergesetzt.

 
Wir können nicht nachvollziehen, dass die Homöopathie entgegen der eindeutigen wissenschaftlichen Lage, … politisch weiterhin getragen wird. Informationsnetzwerk Homöopathie
 

Danach sieht das Netzwerk jeden einzelnen Euro für die Homöopathie als ungerechtfertigte Verwendung von Beitragsgeldern der Solidargemeinschaft an und nicht als ‚Peanuts´. Die Gründe der Forderung nach einem Ende der Erstattungsfähigkeit seien aber weitaus gewichtigere. Mit seiner Entscheidung gebe Spahn „einer zunehmenden Wissenschafts- und Faktenfeindlichkeit Raum, deren Auswirkungen Sie an anderer Stelle mit einer Impfpflicht dann wieder einzufangen versuchen“, so das INH.

Und weiter: „Wir können nicht nachvollziehen, dass die Homöopathie entgegen der eindeutigen wissenschaftlichen Lage, an der sich auch durch die ständigen Interventionen der homöopathischen Lobby nichts ändert, politisch weiterhin getragen wird. Die Homöopathie hat keine spezifische arzneiliche Wirkung und damit keine medizinische Relevanz. Sie ist voller innerer und äußerer Widersprüche und damit unvereinbar mit dem gültigen und bewährten wissenschaftlichen Weltbild“, schreiben die Verfasser.

Symbol für die grassierende Wissenschafts- und Faktenfeindlichkeit

„Die Homöopathie mag ein kleines Problem für das Gesundheitswesen sein, sie ist aber ein Symbol für die aktuell grassierende Wissenschafts- und Faktenfeindlichkeit. Aufklärung lohnt sich doppelt!“, twittert Dr. Natalie Grams, Leiterin und Sprecherin des INH.

Und INH-Sprecher Dr. Christian Lübbers kommentiert auf Twitter: „Der Lobby-Druck war wohl zu groß. Jens Spahn knickt ein. 2010 wollte er die Homöopathie-Erstattung noch ‚sofort streichen´, jetzt rechnet er die Kosten klein und sagt, es sei ‚so okay´“.

„Mit 20 Millionen Euro aber ließe sich viel Sinnvolles im Gesundheitswesen anstellen, statt es für unnütze Beschwörungsrituale zu vergeuden. Zudem sendet Spahn mit seiner vermeintlich lässigen Botschaft ein fatales Signal: Wenn es sogar der Gesundheitsminister ‚okay´ findet, dass die Solidargemeinschaft für Homöopathie zahlt, dann muss auch etwas dran sein. Er wertet damit die abstruse Methode auf, nur weil er offenbar keine Lust auf Diskussionen mit einer weltanschaulich verbissenen Klientel hat”, kommentiert Dr. Werner Bartens in der Süddeutschen Zeitung.

 
Die Homöopathie mag ein kleines Problem für das Gesundheitswesen sein, sie ist aber ein Symbol für die aktuell grassierende Wissenschafts- und Faktenfeindlichkeit. Dr. Natalie Grams
 

Deutlich fällt auch der Kommentar von Christian Schiffer im Bayerischen Rundfunk aus: „20 Millionen Euro, die die Solidargemeinschaft einer unsympathischen Industrie hinterher wirft, die zwar so tut, als sei sie so sanft wie ein Rehkitz, jedoch knallhart ist, wenn es um ihre Geschäftsinteressen geht. An eine Industrie, die Kritiker abmahnt und Hebammen brainwashed. 20 Millionen Euro an eine Industrie, die sich eine beachtliche Extrawurst herbeilobbyiert hat und deren Produkte deswegen laut Arzneimittelgesetz von einer Wirksamkeitsprüfung ausgenommen sind. Und ja genau: An eine Industrie, die Produkte vertreibt, die für den es keinen erwiesenen Nutzen gibt – zumindest keinen, der über den Placeboeffekt hinausgeht. Und deswegen geht es auch nicht nur um 20 Millionen Euro, sondern ums Prinzip.“

 
Mit 20 Millionen Euro aber ließe sich viel Sinnvolles im Gesundheitswesen anstellen, statt es für unnütze Beschwörungsrituale zu vergeuden. Dr. Werner Bartens
 

Auch SPD-Fraktionsvize und Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach kritisiert die Entscheidung via Twitter: „So okay ist es nicht, wenn wir die Wissenschaft der Medizin aufgeben, nur weil es wenig kostet, medizinischen Unsinn zu bezahlen. Der Staat muss zur Wissenschaft stehen. Auch im Konflikt. Immerhin stirbt der Patient, wenn er falsch behandelt wird.“

Weshalb nicht auf Selbstzahler-Basis?

Homöopathie gehört zwar nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen. Doch viele Kassen erstatten den Versicherten homöopathische Behandlungskosten. Wer Homöopathika haben wolle, solle sie auch bekommen – „aber bitte nicht auf Kosten der Solidargemeinschaft“, hatte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, kürzlich gesagt.

Auch Gassen verwies auf die nicht ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit homöopathischer Mittel. Prompt hatte die Hufeland-Gesellschaft in einem offenen Brief die Haltung Gassens kritisiert. „Wir sind befremdet darüber, dass Sie aus dieser Rolle heraus unsachliche Positionen zur Homöopathie vertreten und sich damit über die Grundsätze Zehntausender von Ihnen vertretener Ärzte hinwegsetzen“, heißt es in dem Schreiben.

„Mit den Homöopathen legt sich Jens Spahn lieber nicht an“, bringt es Robin Alexander in seinem Kommentar in der WELT auf den Punkt. Der Grund: Die Homöopathie ist populär in Deutschland, sie hat viele Anhänger.

 
So okay ist es nicht, wenn wir die Wissenschaft der Medizin aufgeben, nur weil es wenig kostet, medizinischen Unsinn zu bezahlen. Prof. Dr. Karl Lauterbach
 

Und Cornelia Schmergal kommentiert auf SPIEGEL online : „Es steht jedem Menschen frei, Schnupfen oder Halsweh mit Kügelchen und sanften Heilverfahren zu behandeln. Aber eine Kostenerstattung durch die Kassen verschwendet nicht nur das Geld der Beitragszahler. Schlimmer noch: Es wiegt Patienten in dem irrigen Glauben, die Einnahme von Globuli könne ernsthaftere Leiden lindern.“

Auch die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus betont gegenüber der ZEIT , dass Homöopathika auf Selbstzahler-Basis bezogen werden sollten. Gleiches gelte schließlich auch für Nahrungsergänzungsmittel, die einen Umsatz von mehr als 2 Milliarden Euro pro Jahr ausmachten. Aschenberg-Dugnus wies darauf hin, dass Kassen auch deshalb homöopathische Behandlungskosten erstatteten, um junge und gesunde Versicherte zu werben. „Es muss aber das Ziel sein, dass es um die qualitativ beste Versorgung der Versicherten geht und nicht um Marketingmaßnahmen“, fügt sie hinzu.

Frankreich prüfte – Homöopathie ab 2021 nicht mehr erstattungsfähig

In Frankreich sollen homöopathische Arzneimittel ab 2021 nicht mehr erstattet werden. Die Oberste Gesundheitsbehörde (HAS) dort hatte 9 Monate lang fast 1.200 homöopathische Arzneimittel geprüft und mehr als 1.000 wissenschaftliche Publikationen analysiert.

Sie kam dann zu dem Ergebnis, dass eine Wirksamkeit nicht nachgewiesen werden kann. Die Behörde betonte außerdem, dass die Anwendung der Homöopathie bei schwerwiegenden progredienten Krankheiten die medizinisch notwendige Behandlung nicht verzögern dürfe.

 

Kommentar

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