Die DRGs – eine komplette Fehlentscheidung oder „nur“ ein reformbedürftiges System? Darüber streiten Medizinethiker

Christian Beneker

Interessenkonflikte

24. September 2019

Weg mit den Fallpauschalen (DRGs), Übertherapien stoppen und dafür einen Masterplan zur effektiven Krankenhausplanung schaffen! Diese 3 Kernforderungen, die eine Gruppe von 215 Ärztinnen und Ärzten kürzlich im Magazin „Stern“ publiziert haben, machen offenbar Karriere: Seit der Veröffentlichung haben nach Angaben des „Stern“ insgesamt mehr als 1.500 Einzelpersonen und Organisationen den Appell unterschrieben [1].

„Und wir haben mehrere tausend weitere Unterschreiber angemeldet, deren Daten wir noch prüfen müssen“, sagt eine Sprecherin des Blattes zu Medscape. Der Titel des Appells: „Gegen das Diktat der Ökonomie in unseren Krankenhäusern.“ Medscape sprach mit 3 Medizinethikern, um zu erfahren, warum sie unterzeichnet haben.

Das Patientenwohl wieder in den Mittelpunkt stellen

Es sei fatal, wenn in einem Abrechnungssystem wie den DRGs unabhängig von der Indikation die Prozeduren abgerechnet werden, die beim Patienten vorgenommen werden, heißt es im Stern-Artikel.

Und weiter: „Eine Kopfweh-Attacke ist weniger wert als ein Magengeschwür. Dieses ist weniger wert als ein Herzinfarkt. Einen Beinbruch sollte man möglichst operieren – denn das Gipsen ist aus der Sicht vieler Krankenhaus-Geschäftsführer vergeudete Zeit, in der ein Arzt mehr Umsatz machen könnte.“

Für eine abwartende, forschende Medizin im Sinne des Patienten bleibe keine Zeit. Das Patientenwohl müsse wieder in den Mittelunkt der Medizin gerückt werden. So sollten zum Beispiel Mediziner Krankenhäuser leiten und nicht Betriebswirte, die sich vor allem um die Erlöse sorgen müssen.

Zudem befeuere das DRG-System die fatale Entwicklung, weil es vor allem Prozeduren mit viel Einsatz von Technik belohnt, zum Beispiel Herzkatheter-Untersuchungen oder Rücken-OPs. Der sparsame Einsatz invasiver Methoden wird dagegen bestraft, weil er schlecht honoriert wird.

Die Medizin sei bis zur letzten Minute durch-getaktet, kritisieren Ärzte in ihrem Appell. Die Folge: Patientengespräch, Weiterbildung der Assistentinnen und Assistenten oder Verwaltungstätigkeit werden nicht vergütet. „Das Diktat der Ökonomie hat zu einer Enthumanisierung der Medizin an unseren Krankenhäusern wesentlich beigetragen.“

Die DRGs – im Nachhinein betrachtet ein Fehler

Prof. Dr. Giovanni Maio, Medizinethiker an der Universität Freiburg, hat den Appell unterzeichnet. Er sagt, den Geschäftsführern sei ihre Arbeit nicht vorzuwerfen. Das Problem sei, dass Geschäftsführung und medizinische Entscheidungen vermengt wurden. „Die DRGs zu implementieren war ein Fehler, und es ist richtig, die Öffentlichkeit über diesen Fehler aufzuklären“, so Maio zu Medscape

Die DRGs zu implementieren war ein Fehler, und es ist richtig, die Öffentlichkeit über diesen Fehler aufzuklären. Prof. Dr. Giovanni Maio
 

„Ärzte dürfen nicht dazu eingesetzt werden, Gewinne zu maximieren. Das geht so nicht!“ Die DRGs wollen das Soziale über gewinnorientiertes Denken retten – „und das klappt nicht.“

Er vermisse ein neues politisches Konzept, das gegensteuere. Bei der Pflege habe man es geschafft, dass die Politik sich kümmere, sagt Maio. „Leider hat die Ärzteschaft nicht deutlich gemacht, dass sie in einer ähnlichen Misere ist. Warum sollte man die Pflege aus dem DRG-System herausnehmen, nicht aber die Ärzte?“

Tatsächlich sei es vor allem dem Ethos der Ärzte zu verdanken, dass die Krankenhauspatienten noch gut versorgt würden. Die Ärzte werfen sich quasi in die Bresche, die sich zwischen Gewinn-Maximierung und Patientenfürsorge auftut, erklärt Maio. Vor allem die Ärztinnen und Ärzte spüren die „moralische Dissonanz zwischen dem Wohl des Patienten und dem der Bilanzen.“

Zudem führe das DGR-System zur Erosion des Vertrauens der Patienten in die Behandlung. Denn der Patient kann nicht einschätzen, ob sein Arzt mit seinem Rat den Bilanzen dient oder ihm, dem Patienten. „In eine solche Zwickmühle darf man die Ärzte nicht bringen!“, mahnt Maio.

Öffentlich darüber sprechen, was in Krankenhäusern passiert

Prof. Dr. Karl-Heinz Wehkamp, Medizinethiker am Forschungszentrum für Ungleichheit und Sozialpolitik (socium) der Universität Bremen, fordert im Anschluss an den Appell zunächst einmal die freie Rede. „Es ist mein persönliches Ziel, dass endlich öffentlich darüber gesprochen wird, was in den Krankenhäusern immer wieder passiert: dass Menschen sinnlos behandelt werden!“, sagt Wehkamp zu Medscape.

Im persönlichen Gespräch würden die Missstände benannt, „in der öffentlichen Diskussion wird geschwiegen“. Denn die Medizin, das Gesundheitssystem und die Gesundheitswirtschaft haben 3 unterschiedliche Wertesysteme, betont Wehkamp, sie würden aber „bedenkenlos unter die Regie der Wirtschaft gestellt.“

So habe „das Gesundheitsministerium Mecklenburgs-Vorpommerns die Universitätsklinik Rostock kürzlich angewiesen, mehr Fälle zu generieren“, sagt Wehkamp. „Das stellen Sie sich mal vor!“

Das DRG-System verändern, nicht abschaffen

Prof. Dr. Christiane Woopen, Medizinethikerin an der Universität Köln und Vorsitzende des Europäischen Ethikrates, sieht in dem Apell im „Stern“ nur einen „kleinen Mosaikstein“, der aber helfen könnte, zu Veränderungen zu gelangen. „Anders als andere Unterzeichner meine ich aber nicht, dass das DRG-System abgeschafft gehört, es muss nur verändert werden“, sagt Woopen zu Medscape

Anders als andere Unterzeichner meine ich aber nicht, dass das DRG-System abgeschafft gehört, es muss nur verändert werden. Prof. Dr. Christiane Woopen
 

Obwohl sie in der Politik keinen starken Vertreter sieht, der „diese Kuh vom Eis bringen“ wolle, sieht sie die Zukunft des Appells relativ optimistisch. Sie setzt dabei auf die Wucht der vielen Unterschriften und vielleicht einmal auf große runde Tische, an denen alle, die an der Krankenhausversorgung beteiligt sind, neue Lösungen diskutieren oder doch wenigstens das Problem benennen. Woopen: „Wir stecken viel Geld in das Gesundheitssystem und müssen sagen, welche Medizin wir wollen!“

 

Kommentar

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