Erster Versuch der HIV-Eradikation via Genschere: Gescheitert, aber trotzdem wichtige Erkenntnisse für die Zukunft

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

23. September 2019

Das Genome-Editing-Verfahren CRISPR-Cas9 war bei einem Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie und HIV-Infektion sicher. Während einer Stammzelltherapie wurde das CCR5-Gen in Spenderzellen teilweise inaktiviert. Es kodiert für Oberflächenproteine als Eintrittspforte für HI-Viren.

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer

Trotzdem gelang es nicht, die HIV-Replikation in ausreichendem Umfang zu unterdrücken. Das berichten Forscher um Dr. Hongkui Deng von der Peking University in China im NEJM  [1].

„Die wichtigste Botschaft ist aus meiner Sicht, dass bei einem Patienten zum ersten Mal die Technologie der Genschere angewendet wurde, und dass dieser Eingriff ohne schwere Nebenwirkungen vertragen wurde“, sagt Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer im Gespräch mit Medscape. Er ist Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Universitätsklinikum Köln, und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie.

 
Die wichtigste Botschaft ist aus meiner Sicht, dass bei einem Patienten zum ersten Mal die Technologie der Genschere angewendet wurde, und dass dieser Eingriff ohne schwere Nebenwirkungen vertragen wurde. Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer
 

„Ich würde vermuten, dass es bei der Durchführung noch Möglichkeiten der Optimierung gibt“, ergänzt der Experte. „Ob die gentechnische Modifikation von CCR5 tatsächlich eine Methode ist, um eine komplette CCR5-Negativität zu erreichen, wie bei Knochenmark-Transplantationen schon gezeigt worden ist, kann man derzeit nicht sagen.“

Zu langfristigen Risiken – CCR5-Mutationen werden nach einer anderen Studie mit einer höheren Mortalität in Verbindung gebracht – kommentiert Fätkenheuer: „Diese Daten sind in ihrer Bedeutung nicht ganz klar – und bei Patienten mit Leukämie plus HIV-Infektion nicht sonderlich relevant.“

CCR5 als Zielstruktur für die Gentherapie

Zum Hintergrund: Wissenschaftler bewerteten CCR5 als mögliche Zielstruktur für eine Gentherapie. Denn HI-Viren benötigen diesen Rezeptor, um CD4-Zellen zu infizieren. Wird aufgrund von natürlich auftretenden Mutationen im CCR5-Gen kein funktionsfähiges Protein exprimiert, führt das zum Schutz vor HIV. Denn CCR5 ist ein essenzieller Ko-Rezeptor bei Infektionen.

Bereits in 2 Fällen ist es Ärzten gelungen, über diese Strategie Menschen von HIV-Infektionen zu heilen. Der „Berliner Patient“ und der „Londoner Patient“ erhielten aufgrund therapierefraktärer Leukämien allogene Stammzell-Transplantationen von Spendern mit Mutation in beiden Allelen des CCR5-Gens. Es kam es zur dauerhaften HIV-Remission. Gentechnologische Methoden kamen hier nicht zum Einsatz.

Deng und die Koautoren berichten jetzt von einem 27-jährigen Mann mit HIV-Infektion und akuter lymphatischer Leukämie (ALL). Ärzte fanden einen HLA-kompatiblen Spender ohne Mutationen im CCR5-Gen. Sie entnahmen Stammzellen und bearbeiteten diese in vitro mit der „Genschere“ CRISPR-CAS9, um das CCR5-Gen auszuschalten. Wie die Forscher berichten, ist es ihnen gelungen, 17,8% aller Stamm- und Vorläuferzellen zu editieren.

Im Zuge seiner Stammzelltherapie erhielt der Patient nach Zerstörung seines erkrankten Knochenmarks die genetisch veränderten Zellen – aber auch unveränderte Zellen, um den Therapieerfolg nicht zu gefährden. Denn es sei unklar, ob aus editierten Stammzellen funktionsfähiges Knochenmark entstünde, so Deng und seine Kollegen im Artikel.

Positive und negative Ergebnisse

Die ALL konnte erfolgreich therapiert werden; nach 19 Monaten befand sich der Patient immer noch in Remission. Als die Ärzte jedoch 7 Monate nach der Behandlung antiretrovirale Medikamente versuchsweise absetzten, kam es zur Replikation von HI-Viren. Der Titer an CD4-Zellen sank von 575 auf 250/μl. Deshalb entschloss man sich, erneut antiretrovirale Präparate einzusetzen.

Im Artikel schreiben die Autoren zwar, ihre Ergebnisse blieben hinter den Erwartungen zurück. Dennoch sehen sie nicht nur negative, sondern auch positive Aspekte in der experimentellen Therapie:

  • Die Gabe transgener Zellen führte zu keinen unerwarteten Effekten im Vergleich zu allogenen Stammzelltransplantationen mit nativen Zellen eines Spenders.

  • Transgene Zellen wurden Teil des neu gebildeten Knochenmarks (allerdings nur zu 5%) und differenzierten sich.

Schnelle Translation in die Anwendung – und Fragen zur langfristigen Sicherheit

In einem begleitenden Editorial weist Dr. Carl H. June von der University of Pennsylvania in Philadelphia auf die „schnelle Übertragung von Ergebnissen der Grundlagenforschung in Phase-1-Studien“ hin [2]. An seiner Institution lägen bei Experimenten mit genom-editierten CD4-T-Zellen 5 Jahre zwischen Proof-of-Concept-Studien an Tieren und frühen klinischen Studien. Seit den ersten Tierversuchen seien bei der chinesischen Gruppe jedoch erst 2 Jahre vergangen.

2 Erklärungen für die frühzeitige klinische Studie in China kommen für ihn infrage: „Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass das regulatorische Umfeld in China eine schnellere Übersetzung ermöglicht als in den USA“, schreibt June. Vielleicht sei der Zeitrahmen für gentechnisch veränderte Zelltherapeutika aber auch generell kürzer als bei der klassischen Entwicklung von Arzneistoffen. 

Generell sieht June Potenziale in der Methode, warnt jedoch, dass man derzeit nichts zu langfristigen Folgen sagen könne. Es gebe Hinweise, dass Mutationen im CCR5-Gen mit einer höheren Mortalität in Verbindung stünden.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....