Die Top Kardio-News vom AHA-Kongress: Potente Lipid-Senkung, Wirbel um ISCHEMIA, Colchicin nach Infarkt und Insuffizienz-Feintuning

Prof. Dr. Michael Böhm

Interessenkonflikte

21. November 2019

Über „bewegende Studien“ berichtet Prof. Dr. Michael Böhm vom AHA-Kongress in Philadelphia: Erfolge mit Inclisiran, neue Strategien bei Angina pectoris und Infarkt plus der Segen für Dapagliflozin.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Michael Böhm, Homburg/Saar:

Guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

mein Name ist Michael Böhm, ich bin hier beim amerikanischen Kardiologenkongress in Philadelphia um kurz über die Highlights zu berichten.

Ich beginne mit Prävention und Risikofaktoren, gehe weiter zur koronaren Herzkrankheit und dann zur Herzinsuffizienz, die 3 wesentlichen Themen auf dem Kongress.

Neues im Bereich der Lipide: siRNA zur LDL-Cholesterinsenkung

Heutzutage kann man eine familiäre Hypercholesterinämie mit einer PCSK9-Inhibition behandeln kann. PCSK9-Inhibitoren sind monoklonale Antikörper, die das LDL-Cholesterin sehr potent reduzieren. In diesem Bereich gibt es eine Neuerung, und zwar mit Inclisiran. Dies ist eine siRNA, die das Gen für PCSK9 abschaltet.

Auf dem Kongress wurden u. a. die Ergebnisse der Phase-3-Studie ORION-9 bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie vorgestellt, die zeigen, dass Inclisiran zusätzlich zu Lipidsenkern den LDL-Cholesterinspiegel um 55% senken kann [1]. Zu Studienbeginn lag der LDL-Cholesterinspiegel bei 150 mg/dl.

Der Effekt war unabhängig vom Gendefekt, der zur familiären Hypercholesterinämie geführt hat, wie eine Gain-of-Function-Mutation im PCSK9 oder andere Ursachen z. B. im ApoB-Gen.

Die Wirkung einer Gabe von Inclisiran hält über 6 Monate an, alle Adhärenzprobleme kann man damit überwinden. Bis auf minimale Reizerscheinungen an den Injektionsstellen gab es keine Probleme mit Nebenwirkungen. Die Outcome-Studien stehen noch aus, aber ORION-9 hat Effizienz und Potenz dieses neuen Ansatzes gezeigt.

siRNA auch bei Hypertriglyzeridämie

Die Technologien im Bereich Fettstoffwechsel konzentrieren sich derzeit vermehrt auf genetische Modifikationen. Vorgestellt wurde eine RNA-Interferenz mit ApoC zur Behandlung der familiären Hypertriglyzeridämie, welche auch sehr gefährlich ist. Bei starker Erhöhung von Triglyzeriden durch Ernährungsfehler können Pankreatitiden entstehen.

Mit der siRNA AROAPOC kam es zu einer dosisabhängigen deutlichen Abnahme von ApoC-Spiegeln um 72 bis 94% sowie der Triglyzeridspiegel um 53 bis 64% [2].

Das sind neue grundsätzliche Ansätze, die das Feld bewegen werden.

Stark diskutiert: die ISCHEMIA-Studie

Was gibt es Neues bei der koronaren Herzkrankheit? Bei den Scientific Sessions 2019 wurde die ISCHEMIA-Studie vorgestellt, die eine große Diskussion hervorgerufen hat [3]. ISCHEMIA hat einen revaskularisierenden Ansatz bei 5.179 Patienten mit lang anhaltender, chronischer stabiler Ischämie untersucht.

HIntergrund zur Studie: Randomisiert wurden die Patienten in der Verumgruppe invasiv (PCI oder Bypass) und in der Kontrollgruppe medikamentös behandelt. Stent oder Bypass waren in der Kontrollgruppe nur bei einer Verschlechterung vorgesehen. Der primäre Endpunkt umfasste kardiovaskulären Tod, Herzinfarkt, Reanimation nach Herzstillstand, Herzinsuffizienz oder eine Hospitalisierung wegen einer instabilen Angina. Er war nach 3,3 Jahren in den beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich mit 13,3 % bei invasiver und 15,5 % bei medikamentöser Therapie.

In den ersten beiden Jahren war die Ereignisrate in der Interventionsgruppe aufgrund einer Zunahme von prozeduralen Myokardinfarkten höher als in der Kontrollgruppe. In den folgenden 2 Jahren war die Ereignisrate dann jedoch vor allem aufgrund eines relativen Rückgangs spontaner Herzinfarkte niedriger bei initialer Intervention. Ähnlich war das Ergebnis beim harten kardiovaskulären Zweikomponenten-Endpunkt Herzinfarkt oder kardiovaskulärer Tod.

Bei initialer Intervention zeigten sich jedoch eine Abnahme der Angina-pectoris-Häufigkeit und eine Besserung der Lebensqualität [4]. Das bedeutet letztendlich, dass es nicht viel mehr sagt als das was wir wissen.

In der Studie waren Patienten, die wirklich 4 Monate lang eine stabile Ischämie hatten. Ausdrücklich ausgenommen waren solche, die jede Form eines akuten Koronarsyndroms hatten, und auch Patienten mit einer neu aufgetretenen Angina pectoris.

In allen Subgruppen gab es keine Unterschiede und man muss jetzt differenziell überlegen, wen man wie behandelt.

Eine Erweiterung dieser Studie war der gleiche Ansatz bei 777 Patienten mit stabiler ischämischer Herzerkrankung und terminaler hochgradiger Niereninsuffizienz. 53 % davon waren Dialysepatienten [5,6]. Auch hier wirkte eine primär invasive Strategie auf die primären Endpunkte im Vergleich zu medikamentöser Standardtherapie ähnlich und es zeigten sich wenige Effekte auf die Angina pectoris. 

Diese Arbeiten sind noch nicht publiziert. Man wird sehen, wie sich die Diskussionen hier entwickeln, wenn man mehr Daten hat als aus diesen Kongresspräsentationen.

 Inflammasom bekämpfen

Gute Nachrichten gibt es im Bereich des Inflammasoms. Der Wirkstoff Canakinumab erwies sich zwar als positiv bei Patienten mit hoher atherosklerotischer Last und hohem Risiko. Aber es wird nicht weiter verfolgt werden und nicht auf den Markt kommen.

Hier gab es die COLCOT-Studie mit Colchicin, das distal das Gesamtinflammasom beeinträchtigt [7,8] ( Medscape berichtete). In der doppelblinden, randomisierten placebokontrollierten Studie mit 4.745 Patienten nach Herzinfarkt zeigte Colchicin zusätzlich zu Standardtherapie einen signifikanten Effekt auf ischämische Ereignisse und einen kombinierten Endpunkt. Colchicin kann also möglicherweise in der Behandlung bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung nach Myokardinfarkt eine Bedeutung erlangen.

In einer kleineren Phase-4-Studie mit 714 Patienten wurde untersucht, ob man Colchicin gleich bei der perkutanen Koronarintervention geben sollte [9]. Diese Studie war neutral. Man fand aber nach 4 Wochen einen Trend bei der Abnahme inflammatorischer Marker. Hier ist vielleicht die längere Beobachtung oder auch die längere Therapie entscheidend.

Also: positive Daten mit Colchicin bei chronischer Behandlung von Patienten nach Myokardinfarkt. Die akute Gabe wirkt eher nicht. Aber Colchicin wäre wirklich eine deutliche Innovation und Erweiterung des Feldes.

Neues bei der Herzinsuffizienz

Beim ESC-Kongress 2019 in Paris war die DAPA-HF-Studie vorgestellt worden. Sie zeigte eine Abnahme von kardiovaskulärem Tod und eine Verschlechterung der Herzinsuffizienz um 26% mit dem SGLT2-Hemmer Dapagliflozin. Dieser war für die Behandlung des Diabetes mellitus entwickelt worden. Wie auch mit Empagliflozin wurde in Studien mit Dapagliflozin an Diabetikern gesehen, dass Herzinsuffizienz-Endpunkte und kardiovaskulärer Tod reduziert worden waren.

Interessanterweise wurde die DAPA-HF-Studie bei Patienten mit und ohne Diabetes mellitus durchgeführt. Schon in der Erstpublikation im New England Journal of Medicine zeigte sich keine Interaktion mit dem Vorliegen eines Diabetes. Diese Daten für Diabetiker und Nichtdiabetiker wurden jetzt detailliert in einem Update zur Studie vorgestellt [10] ( Medscape berichtete).

Die Reduktion des Endpunkts aus kardiovaskulärem Tod und Verschlechterung der Herzinsuffizienz ist bei beiden Gruppen identisch. Das gilt für alle nachgeordneten Subpunkte. Insbesondere gibt es keine Interaktion mit der Gesamtsterblichkeit – die ebenfalls reduziert ist – und den Einzelendpunkten kardiovaskulärer Tod und Herzinsuffizienz.

Darüber hinaus zeigte sich keine Assoziation zum HbA1c-Wert. Die Behandlungseffekte sind unabhängig von der Höhe des HbA1c-Werts gleich.

Lebensqualität und Belastbarkeit wurden mit dem Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire (KCCQ) untersucht, einem Instrument, das bei Patienten mit Herzinsuffizienz der Goldstandard ist [11,12]. Alle Domänen wurden bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern in gleicher Weise reduziert.

Nachdem die Daten also detailliert vorgestellt wurden, wie man: In der Tat zeigte sich kein Unterschied in der Therapie der Herzinsuffizienz mit Dapagliflozin bei Diabetikern und bei Nicht-Diabetikern. Ein ursprüngliches Diabetesmedikament ist also jetzt dabei, in den Bereich der Herzinsuffizienz einzudringen.

Sekundäranalysen aus der PARAGON-HF-Studie

Interessant waren weiterhin 2 Sekundäranalysen aus der PARAGON-HF-Studie. Hier handelt es sich um eine Studie an Patienten mit Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF). Diese Studie war knapp neutral ( Medscape berichtete). Es gab Trends, aber keine signifikanten Effekte. Verglichen wurden der ARNI Sacubitril/Valsartan mit Valsartan allein, also ein Vergleich mit einer aktiven Komponente.

Es gab 2 Subgruppenmit positiven Ergebnissen, und zwar Frauen sowie Patienten mit einer Ejektionsfraktion im mittleren Bereich unter 50%. Deshalb wurden entsprechende Subgruppenanalysen durchgeführt.

Eine Therapie für Frauen?

Bei den Frauen zeigte sich eine deutliche Heterogenität bei allen Endpunkten im Vergleich zu Männern [13,14]. So haben bei der Lebensqualität im Trend eher Männer profitiert als Frauen. Die detaillierte Subgruppenanalyse hat bei Frauen kein stringentes Ergebnis in eine Richtung gezeigt.

Die Idee war vielleicht, hier eine Therapie zu haben, die nur bei Frauen und nicht bei Männern funktioniert. Aber die Ergebnisse sind heterogen und sehr unübersichtlich. Das muss man diskutieren.

Die zweite Subgruppenanalyse untersuchte die Ejektionsfraktion genauer [15,16]. Hier hat man die Daten der PARADIGM-HF-Studie bei Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion und der PARAGON-HF-Studie an Patienten mit erhaltener Ejektionsfraktion gepoolt. Dies erlaubte, die Effekte über das gesamte Spektrum der Ejektionsfraktionen zu sehen.

Insgesamt zeigte sich, dass der ARNI bei einer EF etwa unter 50% wirkt, bei einer EF über 50% waren jedoch keine signifikanten Effekte auf klinische Endpunkte nachzuweisen.

Auch hier wurde auf Unterschiede bei Frauen und Männern geschaut: Frauen profitieren eher bei leicht reduzierter und auch bei etwas höherer EF. Die Neutralität wird bei Frauen bei einer EF von 55%, bei Männern bei 50% erreicht.

Diese Rechtsverschiebung bei Frauen könnte erklären, warum sie etwas besser reagiert haben. Aber auch in dieser Subgruppenanalyse waren die Ergebnisse heterogen.

Interessant ist, wie sorgsam die Studie und die Analysen durchgeführt worden sind. Man kann die Subgruppen jetzt nicht als indiziert betrachten, aber sie liefern Hypothesen für gezielte Studien in diesen Bereichen.

Das waren die Highlights der Herzinsuffizienz. Bis jetzt war es ein wirklich anregender Kongress mit vielen neuen Daten.

Ich habe versucht, Ihnen das Spektrum der wichtigsten Highlights darzustellen. Sie werden diese Arbeiten nachlesen können. Die COLCOT-Studie ist im New England Journal of Medicine [8] erschienen, eine DAPA-HF-Subanalyse[12]und die PARAGON-HF-Subanalysen [14, 16] sind in Circulation publiziert. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Anmerkung der Redaktion: Das gesprochene Wort wurde redaktionell editiert und an einigen Stellen durch Informationen (kursiv) aus den entsprechenden Studien ergänzt.

Kommentar

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