„Frühe Kombis mit Leitlinien-Potential“, orales Semaglutid & mehr: EASD-Highlights verändern die Strategie der Diabetes-Therapie

Prof. Dr. Matthias Blüher

Interessenkonflikte

26. September 2019

Der Vize-Präsident der EASD, Prof. Dr. Matthias Blüher, hat für Sie seine Favoriten kommentiert und er erklärt, wie die Studienergebnisse die Therapie-Strategie moderner machen.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Matthias Blüher, Leipzig

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mein Name ist Matthias Blüher, ich bin Diabetologe und Endokrinologe am Universitätsklinikum in Leipzig. Derzeit bin ich zudem Vizepräsident der Europäischen Diabetesgesellschaft (EASD) und auch in dieser Funktion hier in Barcelona beim EASD-Kongress aktiv. Ich habe mir viele Sitzungen angesehen und für Sie einige Highlights herausgepickt, von denen ich kurz berichten möchte.

Auffallend bei diesem Kongress ist, dass aktuell die Diabetes-Therapie immer individualisierter und personalisierter wird. Zum Teil wird hierfür eine Arbeit aus Schweden als Grundlage genommen, in der statt der klassischen 2 bis 3 Diabetes-Typen 5 Diabetes-Typen identifiziert wurden. Daran hat man sich jetzt „festgebissen“, um neue Therapiestrategien zu definieren. Zum Beispiel gibt es eine Gruppe von insulin-defizienten Patienten, die von einer relativ frühzeitigen Insulintherapie profitieren. Die überwiegende Mehrzahl von Typ-2-Diabetikern kann man jedoch durchaus lange mit Metformin und zusätzlich SGLT2-Hemmern und/oder GLP-1-Rezeptoragonisten sicher und effektiv behandeln.

SGLT2-Hemmer schützen Nierenfunktion

Zur oralen Therapie gab es eine Reihe von Nachanalysen bereits publizierter Studien, die die Frage beantworten sollten, welche Rolle zum Beispiel SGLT2-Hemmer bei der Verbesserung einer Herzinsuffizienz spielen. Dabei haben mich besonders die Nierendaten von Empagliflozin und Dapagliflozin interessiert. Hierzu wurde gezeigt, dass die SGLT2-Hemmer eine deutliche positive Wirkung, also eine schützende Funktion für die Nierenfunktion, über einen Zeitraum von mindestens 3 Jahren zu haben scheinen.

Semaglutid – orales Peptid zur Diabetestherapie

Aus der Gruppe der GLP-1-Rezeptor-Agonisten waren für mich Nachanalysen aus dem PIONEER-Studienprogramm zu Semaglutid interessant. Semaglutid gibt ist sowohl zur oralen als auch zur subkutanen Applikation. In einer Reihe von Postern wurde die Verfügbarkeit von oralem mit subkutan appliziertem Semaglutid verglichen. Es scheint so zu sein, dass die erreichbaren Spiegel unabhängig davon sind, ob man Semaglutid als Tablette nimmt oder sich unter die Haut injiziert.

VERIFY: Zusätzliche Gabe von Vildagliptin zu Metformin

Von den klinischen Studien war für mich die VERIFY-Studie das Highlight (Medscape berichtete). VERIFY ist eine von der Firma Novartis unterstützte Phase-4-Studie, die die Frage beantworten sollte, ob eine frühe Kombinationstherapie aus Metformin und dem DPP-4-Hemmer Vildagliptin langfristig dazu führt, dass eine bessere Diabeteseinstellung gemessen am HbA1c-Wert unter Vermeidung von Unterzuckerungen und Gewichtszunahme möglich ist.

Zunächst erhielten alle Patienten über 3 Wochen Metformin als Monotherapie in steigender Dosierung. Dann wurden sie 1:1 randomisiert und in einem Arm doppelblind mit Metformin weiterbehandelt und im zweiten Arm zusätzlich zum Metformin mit Vildagliptin therapiert. Primärer Endpunkt der VERIFY-Studie war die Notwendigkeit der Therapieintensivierung, die an einem HbA1c-Wert von 7% festgemacht wurde.

Bereits nach 6 Monaten Therapie fiel auf, dass die Personen, die nur mit Metformin behandelt wurden (n = 1.003), deutlich häufiger – mit ungefähr 60% der Patienten – eine Therapieintensivierung benötigten, während das Risiko eines Therapieversagens in dem Arm, der eine Kombinationstherapie aus DPP-4-Hemmer plus Metformin (n = 998) erhalten hat, um relativ 49% (HR 0,51, p < 0,0001) geringer war.

In der Studie wurden Menschen mit einer Dauer der Diabeteserkrankung von nur 3 Monaten und einem HbA1c-Ausgangswert von guten 6,7%, also in einem sehr frühen Diabetesstadium behandelt. Es zeigte sich, dass sie von einem frühen Einsatz der Kombination aus Vildagliptin plus Metformin dauerhaft profitiert und ungefähr 2 Jahre länger ihre Glykämieziele erreicht haben als mit einer alleinigen Metformin-Therapie.

Interessanterweise hat die VERIFY-Studie auch nahegelegt, dass es zu einer Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen kommen könnte. Die Studie war aber nicht als kardiovaskuläre Sicherheitsstudie ausgelegt. Deshalb kann auch statistisch keine Signifikanz abgeleitet werden. Aber die deutliche Reduktion mit einer Risikosenkung von etwa 30% (HR 0,71) für kardiovaskuläre Ereignisse bei den Menschen, die frühzeitig mit einer Kombinationstherapie behandelt wurden, war sehr beeindruckend.

Parallel wurde diese Studie in Lancet publiziert, was für mich bedeutet, dass die Studie VERIFY das Potenzial hat, dass wir unser Therapieregime überdenken und in Zukunft – ähnlich wie in der Hochdruck-Therapie – auf eine frühe Kombinationstherapie setzen.

Das hat den Vorteil, dass man an verschiedenen Pathomechanismen gleichzeitig angreifen kann. So kann man eine Insulinresistenz mit Metformin behandeln und den Insulinsekretionsdefekt mit einem DPP-4-Hemmer therapieren. In einer solchen Kombinationstherapie muss man auch nicht immer die maximal mögliche Dosis einsetzen. Damit kann man mögliche Nebenwirkungen von z. B. Metformin minimieren.

Dieses Vorgehen dürfte m.E. das Potenzial haben, die zukünftige praktische Umsetzung unserer Therapieempfehlungen zu beeinflussen und vielleicht zu Änderungen in den Leitlinien zu führen.

Damit bedanke ich mich ganz herzlich fürs Zuhören.

Ihr Matthias Blüher

Kommentar

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