Alle Hormonersatztherapien (HRT) mit Ausnahme von topisch-vaginalem Östrogen sind mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko assoziiert. Erhalten Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren eine HRT über 5 Jahre ist dies mit einer zusätzlichen Brustkrebs-Erkrankung pro 50 Anwenderinnen (Östrogen plus tägliches Gestagen), einem Fall mehr pro 70 Anwenderinnen (Östrogen plus intermittierendes Gestagen) bzw. einem Fall mehr pro 200 Anwenderinnen (nur Östrogen) assoziiert. Selbst 10 Jahre nach Abschluss der Behandlung gibt es Hinweise auf mehr Mammakarzinome als bei Kontrollen.
Das berichtet die Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer am Nuffield Department of Population Health, University of Oxford, unter Federführung von Prof. Dr. Valerie Beral, Prof. Dr. Richard Peto, Kirstin Pirie und Prof. Dr. Gillian Reeves [1]. Basis ist eine Metaanalyse prospektiv erhobener Daten von 100.000 Frauen mit Brustkrebs in der Postmenopause.
„Ganz klar ist die umfassende und große Datenbasis eine Stärke der Studie“, sagt Prof. Dr. Jenny Chang-Claude im Gespräch mit Medscape. Sie leitet die Unit of Genetic Epidemiology der Abteilung für Krebsepidemiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. „Die Primäranalyse basiert auf prospektiven Studien mit geringerem Bias als Fall-Kontroll-Studien“, betont sie. Alle Ergebnisse der ergänzenden Fall-Kontroll-Studien bestätigten weitgehend diese primären Resultate.
„Die Berücksichtigung älterer Studien könnte als mögliche Schwäche missverstanden werden“, gibt Chang-Claude zu bedenken. „Dies war jedoch wichtig, um Langzeiteffekte zu untersuchen.“
Sie ergänzt: „Das Wissen um Assoziationen (der HRT) mit (Krebs-)Risiken ist eigentlich nicht neu, aber jetzt mit einem hohen Evidenzgrad vorhanden.“ Bei Kombinationspräparaten hätten die Autoren sogar etwas höhere Risiken ermittelt, verglichen mit älteren Metaanalysen.
„Wir wissen jetzt auch, dass es selbst nach dem Absetzen noch länger zu Assoziationen mit höheren Risiken kommt“, ergänzt die Expertin. Ärzten rät Chang-Claude: „Hormonersatztherapien sind zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden wirksam, sollten aber nur kurzfristig durchgeführt werden.“
Hormonersatztherapie immer noch häufig
Die Autoren verweise darauf, dass ab den 1990er Jahren Frauen in Europa und Nordamerika immer häufiger Hormonersatztherapien erhielten. Dann halbierten sich Anfang der 2000er-Jahre die Zahlen wegen medizinischer Bedenken aufgrund von Studiendaten schlagartig, und blieben in den 2010er-Jahren relativ konstant: Derzeit gibt es ungefähr 6 Millionen Patientinnen in Nordamerika und 6 Millionen in Europa, die eine HRT erhalten.
Obwohl es sich teilweise um Kurzzeit-Therapien handelt, ist die Anwendung über 5 Jahre hinweg üblich – früher erhielten Frauen die Präparate oft 10 Jahre und länger.
Ärzte verordnen eine Hormontherapie mit Östrogen im Allgemeinen nach einer Hysterektomie, während Östrogen plus Progestagen bei postmenopausalen Beschwerden zum Einsatz kommen. Die European Medicines Agency (EMA) und die US Food and Drug Administration (FDA) empfehlen, Hormone in dieser Indikation nur kurzzeitig einzusetzen. Die klinischen Leitlinien bilden diese Empfehlungen nicht immer ab und sind oft weniger restriktiv, so die Autoren. Schon länger gebe es jedoch Hinweise auf die Assoziation mit höheren Brustkrebsraten unter der Substitution.
Daten von mehr als 500.000 Frauen ausgewertet
In ihre Analyse haben die Autoren 58 prospektive Studien von 1992 bis 2018 eingeschlossen. Während des Follow-up von maximal 5 Jahren (Median 1,5 Jahre) erkrankten 143.887 Frauen neu an einem Mammakarzinom. Ihr Alter betrug im Median 65 Jahre. Hinzu kamen 424.972 Kontrollen ohne Brustkrebs.
Das durchschnittliche Risiko, über einen Zeitraum von 20 Jahren (im Alter von 50 bis einschließlich 69 Jahren) an Brustkrebs zu erkranken, lag bei 6,3 Fällen pro 100 Frauen. Diese Zahl gilt unter Annahme eines normalen Body-Mass-Index (BMI; keine Adipositas) und eines westlichen Lebensstils.
In ihrem Artikel geben die Wissenschaftler folgende Assoziationen für eine 5 Jahre dauernde Hormonersatztherapie an, ebenfalls bezogen auf Frauen zwischen 50 bis einschließlich 69 Jahren und ohne sonstige Risikofaktoren:
insgesamt 8,3 Fälle pro 100 Anwenderinnen von Östrogen plus täglich Gestagen, was einer absoluten Zunahme von 2 Fällen pro 100 Frauen entspricht;
insgesamt 7,7 Fälle pro 100 Anwenderinnen von Östrogen plus intermittierend Gestagen (absolute Zunahme von 1,4 Fällen pro 100 Frauen);
insgesamt 6,8 Fälle pro 100 Benutzer von nur Östrogen (absolute Zunahme von 0,5 Fällen pro 100 Frauen).
„Die Anwendung der Hormontherapie in den Wechseljahren über einen Zeitraum von 10 Jahren führt zu einem etwa doppelt so hohen Risiko für Brustkrebs, wie es mit einer 5-jährigen Anwendung verbunden ist“, berichtet Reeves in einer Pressemeldung. Sie rät zu topischen Anwendungen der Wirkstoffe in Form von Cremes oder Pessaren. Systemische Therapien sollten sich auf 1 Jahr beschränken.
Doch selbst nach Ende der Pharmakotherapie wollen die Autoren mögliche Gefahren nicht ausschließen. „Unsere neuen Erkenntnisse zeigen, dass ein gewisses erhöhtes Risiko auch nach Absetzen der Hormontherapie bestehen bleibt“, so Beral in einer Pressemeldung. Im Vergleich zu früheren Schätzungen gehe man jetzt von einem doppelt so hohen Langzeitrisiko aus.
Vermutlich auch höhere Sterblichkeit an Brustkrebs nach HRT
Parallel zu der genannten Arbeit haben Beral und ihre Kollegen auch einen Überblick zur 20-Jahres-Mortalität durch Brustkrebs bei Hormonersatztherapie erstellt [2]. Grundlage waren Analysen der Million Women Study – mit insgesamt 1,3 Millionen Teilnehmerinnen, die zwischen 1996 und 2001 rekrutiert worden waren.
Die Forscher berücksichtigten 907.162 Probandinnen ohne Brustkrebs-Diagnose zu Studienbeginn. Hier fand Berals Team folgende Assoziationen:
Frauen, die niemals Hormonsubstitution bekommen hatten: 3.523 Todesfälle auf 476.902 Teilnehmerinnen (relatives Brustkrebs-Mortalitätsrate per Definition 1,00);
Frauen unter laufender Östrogensubstitution, weniger als 5 Jahre: 231 Todesfälle pro 31.996 Anwenderinnen (relative Mortalitätsrate 1,15);
Frauen unter laufender Östrogensubstitution, 5 Jahre oder länger: 661 Todesfälle pro 79.833 Anwenderinnen (relative Mortalitätsrate 1,35);
Frauen unter laufender Östrogen-Gestagen-Substitution, weniger als 5 Jahre: 557 Todesfälle pro 65.188 Anwenderinnen (relative Mortalitätsrate 1,39);
Frauen unter laufender Östrogen-Gestagen-Substitution, 5 Jahre oder länger: 905 Todesfälle pro 86.282 Anwenderinnen (relative Mortalitätsrate 1,64);
Frauen, die früher eine Hormonersatztherapie erhalten hatten, weniger als 5 Jahre: 816 Todesfälle pro 119.475 Teilnehmerinnen (relative Mortalitätsrate 0,99);
Frauen, die früher eine Hormonersatztherapie erhalten hatten, 5 Jahre oder länger: 393 Todesfälle pro 47.516 Teilnehmerinnen (relative Mortalitätsrate 1,24).
Stärken und Schwächen der Arbeit
In einem begleitenden Editorial [3] kommentiert Dr. Joanne Kotsopoulos vom Women's College Research Institute, Women's College Hospital im kanadischen Toronto die Veröffentlichungen.
Zu den Stärken schreibt sie: „Die Hauptanalyse beschränkt sich auf prospektive Studien mit detaillierten Informationen über den Einsatz von Hormonersatztherapien und für potenzielle Störfaktoren angepasst.“ Allerdings sei es bei prospektiven Studien mit zeitlicher Überschneidung der Exposition mit dem Auftreten eines Mammakarzinoms oft schwierig, Verzerrungen zu vermeiden.
Hinzu komme: „Einige Frauen werden während der Nachbeobachtung von Nicht-Anwenderinnen zu Anwenderinnen, und die Dauer der Therapie ist keine Konstante, sondern ändert sich jedes Jahr, in dem Hormone zum Einsatz kommen.“
Kotsopoulos weist noch auf eine Besonderheit hin. Interessant sei, dass Hormonersatztherapien bei Frauen, die stark übergewichtig seien, weniger unerwünschte Wirkungen zeigten. „Dies könnte daran liegen, dass die Menge an Östradiol aus der endogenen Produktion im Fettgewebe größer ist als diejenige, welche dem Körper durch Therapien zugeführt wird.“
So sei etwa die 20-Jahres-Inzidenz, an Brustkrebs zu erkranken, bei einer Frau mit einem BMI von 30 oder höher, aber ohne Hormonbehandlung, größer als bei einer normalgewichtigen Frau mit 5-jähriger Östrogenanwendung. „Hohe BMI-Werte und Hormonersatztherapien sind 2 Risikofaktoren für Brustkrebs, scheinen sich in ihrer Wirkung aber nicht zu addieren“, berichtet Kotsopoulos.
Ärzten rät sie, einen „rationalen und umfassenden Ansatz für das Management von Wechseljahresbeschwerden“ zu verfolgen, wobei Nutzen und Risiken sorgfältig abzuwägen seien. Als Kriterien nennt sie die Schwere aller Symptome bei der Menopause, mögliche Kontraindikationen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle oder Brustkrebs in der Vorgeschichte und nicht zuletzt den BMI – bei hohem BMI wird eher zur Vorsicht geraten. Insgesamt rät Kotsopoulos die Anwendung von Hormonen auf maximal 5 Jahre zu beschränken.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Also doch! Neue Metaanalyse bestätigt: Unter Hormonersatz erkranken mehr Frauen an Brustkrebs – und sterben daran - Medscape - 20. Sep 2019.
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