Barcelona – Erstmals konnte mit Hilfe einer Immuntherapie die Inzidenz eines Typ-1-Diabetes verzögert werden. Eine bereits bei der ADA-Jahrestagung vorgestellte und nun auch bei der Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Barcelona präsentierte Phase-2-Studie zeigte einen im Median um 2 Jahre nach hinten verschobenen Krankheitsbeginn, wenn die Probanden eine 2-wöchige ambulante Immuntherapie mit dem monoklonalen Anti-CD3-Antikörper Teplizumab erhalten hatten [1]. CD3 wird auf Effektor-T-Zellen exprimiert.
„Eine solche Verzögerung um 2 Jahre ist klinisch relevant“, betonte Studienleiter Prof. Dr. Kevan C. Herold, New Haven, USA, bei der Vorstellung seiner Daten: „Ich bin sicher, jeder Mensch mit Typ-1-Diabetes wird Ihnen sagen, dass jeglicher Zeitraum ohne die Erkrankung ein Geschenk ist.“
Studienteilnahme erst ab 8 Jahre
Die Rationale für die Studie war der bereits in einer früheren Untersuchung nachgewiesene Effekt von Teplizumab bei Menschen mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes: Bei ihnen konnte die Gabe des Antikörpers den Verlust der Betazellfunktion verlangsamen.
In der jetzt gezeigten multizentrischen, doppelblinden, randomisierten Phase-2-Studie ging es jedoch um mehr: um die Verzögerung oder Vermeidung des Eintritts der Erkrankung überhaupt.
Die Studie unter dem Titel „Teplizumab for Prevention or Delay of Type 1 Diabetes“ oder kurz „TN-10 prevention study“ schloss 76 Probanden im Alter ab 8 Jahren ein, die selbst noch keinen Diabetes hatten. Sie hatten aber ein hohes Risiko, in nächster Zeit an Typ-1-Diabetes zu erkranken, denn die Einschlusskriterien forderten:
mindestens einen nahen Verwandten mit Typ-1-Diabetes,
den positiven Nachweis von mindestens 2 von 5 mit Typ-1-Diabetes assoziierten Autoantikörpern bei den Probanden selbst (anti-GAD65, anti-ICA512, anti-ZnT8, anti-Insulin/MIAA, ICA) sowie
Auffälligkeiten im oralen Glukosetoleranztest (oGTT) bei den Probanden (Plasmaglukose nüchtern 110 bis 125 mg/dl bzw. 6,1 bis 6,9 mmol/l; nach 2 Stunden 140 bis 199 mg/dl oder 7,8 bis 11,05 mmol/l; nach 30, 60 oder 90 Minuten > 200 mg/dl bzw. > 11,1 mmol/l).
Immuntoleranz durch monoklonalen Anti-CD3-Antikörper
Die teilnehmenden Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden auf die 2-wöchige ambulante intravenöse Gabe von Teplizumab in steigenden Dosen versus Placebo randomisiert; die beiden Gruppen umfassten schließlich 44 versus 32 Teilnehmer.
Die nur 14-tägige Immuntherapie hatte einen deutlichen krankheitsverzögernden Effekt, wie Herold beim EASD-Kongress berichtete: Die Zeit bis zum Eintreten eines manifesten Typ-1-Diabetes betrug in der Gruppe, die den Antikörper erhalten hatte, im Median 48,4 Monate; in der Kontrollgruppe mit Placebo waren es nur 24,4 Monate.
43% versus 72% der Teilnehmer beider Gruppen entwickelten im Studienverlauf die Erkrankung. Das heißt: In der aktiv behandelten Gruppe war mehr als jeder zweite zum Zeitpunkt der Analyse nach etwa 5 Jahren noch nicht an Typ-1-Diabetes erkrankt.
Besonders gut hatten diejenigen Probanden auf die Therapie angesprochen, bei denen unter der Behandlung sogenannte „erschöpfte“ CD8-positive T-Zellen nachgewiesen werden konnten. Diese eignen sich möglicherweise als ein früher Marker für den Therapieerfolg.
Unerwünschte Wirkungen traten in der Phase-2-Studie häufiger unter Teplizumab auf. Nicht unerwartet war das Auftreten von Lymphozytopenien (75% unter Teplizumab vs. 6% unter Placebo). Außerdem wurde im aktiven Therapiearm gehäuft Hautausschlag beobachtet (36% vs. 3%).
Kinder frühzeitig auf Antikörper testen?
Prof. Dr. Annette G. Ziegler, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München, betonte in ihrem Kommentar, dass die Entwicklung vom positiven Autoantikörperstatus hin zum manifesten Typ-1-Diabetes oftmals schon vor dem 8. Lebensjahr – der Einschlussgrenze für diese Studie – geschieht. Es könne deshalb sinnvoll sein, eine ähnliche Studie auch mit jüngeren Kindern durchzuführen. Dem stimmte auch Sitzungsleiterin Prof. Dr. Lucienne Chatenoud, Hôpital Necker Enfants Malades Paris, Frankreich, auf Nachfrage von Medscape zu.
Zudem, so Ziegler, könnten auch Kinder ohne eine positive Familienanamnese in Studien eingeschlossen werden, sofern sich bei ihnen entsprechende Antikörper finden. In Deutschland hat die Expertin hierzu die unter dem Namen Fr1da bekannte Initiative gestartet, bei der bisher mehr als 90.000 Kinder im Alter von 2 bis 5 Jahren auf einschlägige Antikörper getestet worden sind.
Der Hersteller ProventionBio hat laut Ziegler bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA für Teplizumab den Breakthrough-Status erlangt und bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA analog dazu den PRIME-Status beantragt; hier steht die Entscheidung der Behörde noch aus.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: „Schutzengel“ für Beta-Zellen: Teplizumab kann bei Risikopersonen Typ-1-Diabetes hinauszögern - Medscape - 19. Sep 2019.
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