5 Strategien gegen die Ohnmacht vor dem Klimawandel: Forscher erklären, was Menschen motiviert, sich zu ändern – und was nicht

Sonja Boehm

Interessenkonflikte

19. September 2019

Klimawandel – klar, ein wichtiges und aktuelles Thema! Den meisten von uns ist bewusst, dass sich etwas ändern muss, um die weitere Klima-Erwärmung zu bremsen. Doch der „Overkill“ an Mahnungen, Warnungen, Informationen ist schwierig zu sortieren – und wir fühlen uns dadurch oft eher ausgebremst.

Das deutsche Science Media Center hat in den vergangenen Tagen und Wochen Statements von Wissenschaftlern aus verschiedenen Bereichen zum Thema „Klima-Wandel – wer hilft den Menschen sich zu ändern?“ gesammelt. So viel geballtes Fachwissen zum Thema findet sich selten – wir wollen Sie daher daran teilhaben lassen und haben versucht, zentrale Aussagen der Statements zu bündeln und mit exemplarischen Zitaten zu belegen.

Lesen Sie, was nach Ansicht von Wissenschaftlern in der Klima-Debatte falsch läuft, wo man vielleicht besser ansetzen könnte. Aus den Statements haben wir 5 Strategien extrahiert, was man nach Ansicht von Experten gegen das „Ohnmachts-Gefühl“, das den Einzelnen oft befällt, tun könnte.

1. Das wissenschaftliche Bild gerade rücken: Gegen die „Maschinerie des Zweifels“

„In der Klimawandel-Debatte läuft einiges falsch“, konstatiert z.B. Prof. Dr. Mike Schäfer stellvertretend für viele seiner Kollegen. Er ist Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich, Schweiz.

Ein wichtiger Punkt sei etwa, dass Zweiflern des Klimawandels zu breiter Raum in der Öffentlichkeit und den Medien eingeräumt werde, konkretisiert Dr. Joachim Allgaier, Senior Researcher, Lehrstuhl für Technik und Gesellschaft, RWTH Aachen: „Viele Menschen wissen nicht, dass es einen starken Konsens wissenschaftlicher Experten zum Thema Klimawandel gibt.“ Er verdeutlicht, dass „sich die Menschheit und alles Leben auf der Erde auf ernsthafte Bedrohungen einstellen müssen, wenn es nicht gelingt, den Ausstoß von schädlichen Klimagasen wie etwa CO2 rasch drastisch zu verringern“.

Der Wissenschaftskommunikator Schäfer ergänzt: „Es ist eines der Themen, bei denen der wissenschaftliche Sachstand wohl am besten und zugänglichsten dokumentiert ist, in 5 Sachstandsberichten des Weltklimarates IPCC … Aber trotz der vom IPCC beschriebenen Dringlichkeit des Problems wird zu wenig dagegen getan, von einzelnen und auch von der Politik!“ 

Viele Menschen wissen nicht, dass es einen starken Konsens wissenschaftlicher Experten zum Thema Klimawandel gibt. Dr. Joachim Allgaier
 

Besonders im angloamerikanischen Raum gebe es eine mächtige ‚Maschinerie des Zweifels‘, so Schäfer, die versuche, klimaskeptische Positionen in der Öffentlichkeit zu platzieren: „Diese Positionen sind aus naturwissenschaftlicher Sicht in aller Regel nicht haltbar. Aber sie werden in Ländern wie den USA oder Australien, teils auch andernorts von einflussreichen Finanziers, entsprechenden politischen Parteien und Medien öffentlich bewirtschaftet.“

Ein falsches Verständnis „ausgewogener“ Berichterstattung unter Journalisten könne dazu führen, „dass man SkeptikerInnen mit wissenschaftlich unhaltbaren Positionen ebenso viel Platz einräumt wie wissenschaftlich weitgehend gesichertem Wissen. Dann wird die Ausgewogenheit zur Verzerrung, die ‚balance‘ zum ‚bias‘“, warnt Schäfer.

2. Weil Angstmache nicht funktioniert, auf positiven Wandel fokussieren

Er macht noch auf einen weiteren wichtigen Punkt aufmerksam: „Das Verhalten von Menschen zu ändern, und dies auch noch nachhaltig, ist die Königsdisziplin der Kommunikation. Das ist sehr schwer.“ Sozialwissenschaftliche Forschung zeige aber, dass Angst machen nicht funktioniere. „Doch ein großer Teil der Klimawandel-Kommunikation konzentriert sich auf mögliche negative Folgen – extreme Wettereignisse, steigende Meeresspiegel, Verlust an Biodiversität und Ähnliches.“ Diese Berichterstattung paralysiere viele Menschen, die das Gefühl haben, den übermächtigen Naturgewalten nichts entgegensetzen zu können. 

Ein großer Teil der Klimawandel-Kommunikation konzentriert sich auf mögliche negative Folgen – extreme Wettereignisse, steigende Meeresspiegel… Prof. Dr. Mike Schäfer
 

Schäfer schlägt vor, auch auf die positiven Folgen des Klimaschutzes hinzuweisen: „Also statt der Kosten die möglichen Gewinne zu fokussieren, und das so konkret wie möglich: eine gesündere, weniger gefährliche Lebenswelt für uns und unsere Kinder, weniger Hitzeperioden in unserer Stadt und so weiter.“

„Parallel dazu sollte man möglichst konkrete Handlungsoptionen aufzeigen und die empfundene Selbstwirksamkeit des Publikums steigern. Die Sozialpsychologie zeigt, dass der Glaube daran, etwas bewirken zu können, großen Einfluss darauf hat, ob man etwas tut. Das ist gerade beim Klimawandel nicht einfach.“   

Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri, Wissenschaftskommunikation, Universität Passau, erachtet es ebenfalls als „wichtig, den naturwissenschaftlichen Grundkonsens zu erwähnen“.  Die Skeptiker – eine Minderheit – „schaffen es jedoch mit ihrer Kommunikation das Bild zu erzeugen, dass die Wissenschaft sich nach wie vor nicht sicher sei. Dies kann den Eindruck vermitteln, dass nichts getan werden muss, da ja noch Zweifel bestehen“.

Sie sieht ebenfalls eine große Hürde, warum der/die Einzelne so schwierig zu einer Änderung seines/ihres Verhaltens zu bewegen ist, darin, dass die öffentliche Kommunikation häufig stark auf die negativen Folgen und Schreckensszenarien fokussiere: „Sie richtet nichts aus, da sie nicht an die Lebenswelt der Menschen anknüpft und zudem eher den Eindruck erzeugt, man könne sowieso nichts bewirken.“

3. Nicht das Wissen bestimmt unser Handeln – an die Werte anknüpfen

Prof. Dr. Julia Metag, Kommunikationswissenschaftlerin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, erinnert daran, sich in Klimadiskussionen nicht nur auf die Vermittlung von reinen Fakten zu fokussieren, sondern an die Werte und Überzeugungen der Bevölkerung anzuknüpfen. „Denn diese beeinflussen meist stärker als Fakten, wie ein wissenschaftliches Thema wie der Klimawandel, wahrgenommen wird.“

Werte und Überzeugungen beeinflussen meist stärker als Fakten, wie ein wissenschaftliches Thema wie der Klimawandel, wahrgenommen wird. Prof. Dr. Julia Metag
 

Ethik-Professorin Dr. Angela Kallhoff, Universität Wien, Österreich, zählt einige weitere Gründe auf, warum die meisten Menschen trotz Klimakrise ihr Verhalten nicht ändern: „Ein wichtiger Grund ist, dass es keine allgemeine Überzeugung davon gibt, dass jeder eine Pflicht zum Klimaschutz hat.“

Zum einen fühle sich der Einzelne in seinen Handlungen wirkungslos. Zum anderen werde die Verantwortung auf die Industrie als Verursacher verschoben oder auf die Politik, die die nötigen Rahmenbedingungen schaffen müsse. „Diese und viele andere Argumente sprechen gegen einen individuellen Beitrag zum Klimaschutz.“

Sie erinnert daran, dass „Klimaethiker auch Brücken zu einer Ethik des guten Lebens schlagen können“: „Wer sagt denn, dass energieärmeres Leben, Verzicht auf Flugreisen oder auf ein privates Auto zu einem schlechteren Leben führt? Es kommt doch darauf an, was man unter ‚gutem Leben‘ versteht!“

Und Prof. Dr. Christoph Lumer, Professor für Moralphilosophie, Universität Siena, Italien, kritisiert, dass in der öffentlichen Diskussion um die Klimapolitik fast vollständig ignoriert werde, „dass wir eine moralische Pflicht zur nachhaltigen Klimapolitik haben“. Sein Argument: „Wir schädigen nicht nur uns selbst, sondern vor allem künftige Menschen und besonders solche in ärmeren Ländern.“ Er mahnt, die Menschen sollten dies zum Anlass nehmen, sich „über den Wert des eigenen materiellen Konsums Gedanken zu machen“.

4. Die Macht von Normen und Vorbildern nutzen

Dr. Torsten Grothmann, Senior Scientist, Lehrstuhl für Ökologische Ökonomie, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, fordert „mehr Kommunikation über das Klimahandeln, weniger über den Klimawandel“. Er erinnert an die Macht von Normen: „Am einflussreichsten für das menschliche Handeln sind oft Vorstellungen darüber, was andere tun oder was andere von uns erwarten. Der Einfluss von Normvorstellungen wird außerhalb der Psychologie meist unterschätzt.“ 

Am einflussreichsten für das menschliche Handeln sind oft Vorstellungen darüber, was andere tun oder was andere von uns erwarten. Dr. Torsten Grothmann
 

Er schlägt vor: „Man sollte viel mehr über die vielen guten Vorbilder berichten, die Klimaschutz oder Anpassung an den Klimawandel konkret vorleben, und weniger darüber, wie viele Menschen immer noch in den Urlaub fliegen, statt den Zug zu nehmen. Denn letzteres wird oft als normative Information verstanden: ‚Wenn die Mehrheit immer noch fliegt, dann ist das wohl die Norm und ich kann das daher weiterhin tun‘.“

Bei den Normen will auch Prof. Dr. Dr. Ulrich Schmidt, Leiter des Forschungsbereiches „Sozial- und verhaltensökonomische Ansätze zur Lösung globaler Probleme“, Institut für Weltwirtschaft, Kiel, ansetzen: „In jüngerer Zeit hat die Verhaltensökonomie gezeigt, dass soziale Normen eine sehr wichtige Rolle  für das menschliche Verhalten spielen. Wenn einzelne Personen anfangen, sich klimafreundlicher zu verhalten, kann dies mit der Zeit zu einer Änderung der sozialen Normen führen, das heißt klimaschädigendes Verhalten wird den Menschen sozial unangenehm“, erläutert er.

„Damit es zu solch einer Veränderung der sozialen Normen kommt, ist jedoch eine kritische Masse notwendig. Genau deshalb lohnt es für den Einzelnen voranzugehen und sich klimafreundlicher zu verhalten.“

Prof. Dr. Jens Wolling, Empirische Medienforschung und politische Kommunikation, Technische Universität Ilmenau, schlägt vor, bei der Kommunikationsstrategie zwischen 2 Zielen zu unterscheiden:

1.     Will man Menschen motivieren, selbst etwas gegen den Klimawandel zu machen oder geht es

2.     ‚nur‘ um die Akzeptanz von Maßnahmen und die Bereitschaft mitzumachen?

„Wenn es ums Mitmachen geht, dann geht es um Transparenz, Zuverlässigkeit, Gerechtigkeit und Fairness: Das heißt man muss glaubhaft kommunizieren, wie der Weg aussieht, dass die eingeschlagene Richtung beibehalten wird, dass alle den Weg gehen werden (müssen) und dass alle tatsächlich gehen und keiner sich tragen lässt“, sagt er.

„Wenn man aber möchte, dass Menschen nicht nur mitmachen, sondern selbst machen, dann braucht es attraktive Ziele. Ein Entwurf von einem Leben, das besser ist als das Leben heute: Zum Beispiel mehr Zeit für Freunde und Familie, weniger Stress im Beruf, gesundes Essen, eine umweltschonende Technik.“

Wolling weiter: „Das Ziel, den Klimawandel zu verhindern, wird auf Dauer nicht ausreichen. Man muss auch wissen, wieso. Das hat auf den ersten Blick wenig mit dem Thema zu tun, aber tatsächlich ist dies die wichtigste Debatte im Kampf gegen den Klimawandel.“

5. Die Alternativen müssen attraktiver werden

Prof. Dr. Lucia Reisch, Copenhagen Business School und Zeppelin Universität, Friedrichshafen, verweist darauf, dass die Illusion ‚Das trifft mich nicht‘ und die Illusion ‚Ich selbst mache keinen Unterschied‘ „starke Handlungsbarrieren“ sind. Auch seien Alternativen oft wenig attraktiv: Biolebensmittel teurer, Radfahren in der Stadt gefährlich, der Öffentliche Nahverkehr unzuverlässig und umständlich zu nutzen.

„Weil die Preise nicht die ökologische Wahrheit sagen, sind gleichzeitig die klimaschädlichen Produkte verführerisch billig: Flugreisen nach Mallorca für 9 Euro, billiges Fleisch aus Massentierhaltung, scheinbar kostenlose Einmalprodukte überall“, kritisiert sie. „Die Alternative muss also attraktiv, machbar, verfügbar und auch bezahlbar sein.“ 

Die Alternative muss attraktiv, machbar, verfügbar und auch bezahlbar sein. Prof. Dr. Lucia Reisch
 

Zwar änderten sich die gesellschaftlichen Normen, vor allem bei den jungen Menschen, und mit den Normen das, was als erstrebenswerter Konsum betrachtet werde, sagt Reisch. „Aber das dauert.“

Die Kunst sei, harte Instrumente (wie Verbote und Steuern) wirksam mit weicheren (wie Bildung und Verhaltensstimuli) zu verbinden, so dass dies immer noch von einer Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werde. „Ein guter Ansatz ist, Standards und Emissionsgrenzen schrittweise zu verschärfen, denn diese kurbeln auch die Innovationskraft an. Ein weiterer guter Ansatz wäre es, sämtliche klimaschädliche Subventionen auf den Prüfstand zu stellen und hier auszusortieren. Vielleicht braucht man dann nicht so viele Verbote“, so ihr Vorschlag.

Prof. Dr. Joachim Weimann, Wirtschaftspolitik, Universität Magdeburg, und Prof. Dr. Axel Ockenfels, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln, schließlich betonen in ihren Statements nochmals den Stellenwert der Reduktion des Treibhaus-Gases CO2 für den Klimaschutz über eine Bepreisung.

Weimann plädiert dafür, die „intelligenten Instrumente zur CO2-Reduktionspolitik einzusetzen, über die wir schon lange verfügen. Beispiel: Emissionshandel“. Es handle sich um das „weltweit erfolgreichste Instrument“.

Und Ockenfels ergänzt: „Es gibt wohl keine Frage, bei der unter praktisch allen Anreizexperten und Ökonomen weltweit – einschließlich Verhaltensökonomen! – so viel Einigkeit besteht: Das wichtigste und effektivste Instrument, um den Klimawandel zu bekämpfen und das Verhalten zu verändern, ist ein CO2-Preis!“

Sein Argument: „Ohne CO2-Preis zahlt die Weltgemeinschaft die Kosten der Treibhausgas-Emissionen, und subventioniert auf diese Weise die Verursacher. Das ist weder ökonomisch klug noch fair, und es führt zwangsläufig zu exzessiven Anreizen für Treibhausgas-Emissionen.“ Natürlich gebe es noch andere, komplementäre klimapolitische und individuelle Maßnahmen. Aber: „Die Empirie und Forschung zeigt nachdrücklich, dass ohne CO2-Preis 'alles nichts' ist!“

 

Kommentar

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