
Hanna Mertes
Die Auswirkungen des Klimawandels in der Medizin ist längst auch Gegenstand der Forschung. Dabei werden nicht nur die Veränderungen bei Krankheitsbildern dokumentiert. Bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen müssen Ärzte ihre Rolle neu definieren und Stellung beziehen. In diesem Kommentar erklären die Gesundheitswissenschaftlerin Hanna Mertes und ihr Kollege Puya Younesi von der Arbeitsgruppe Globale Umwelt-Gesundheit am Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, der Ludwig-Maximilians-Universität München, warum Ärzte sich besonders mit dem Thema beschäftigen sollten.
Klimawandel – (k)ein Thema für den Arzt?
Der Klimawandel ist nicht nur ein ökologisches, wirtschaftliches oder technologisches Problem. Er birgt auch besondere Gefahren für unsere Gesundheit. Somit zwingt er Ärzte zum Handeln.
Die zunehmende thermische Belastung trifft vor allem die Vulnerabelsten: Säuglinge, Kleinkinder, ältere und kranke Menschen. Die Botschaft, dass Hitze in unseren Breitengraden eine Gefahr für die Gesundheit sein kann, ist jedoch noch nicht bei Jedem – Ärzten und Patienten – in ihrer Brisanz angekommen.
Zur Erinnerung – 4 prominente Beispiele für klimabedingte Erkrankungen:
Die Inzidenz des malignen Melanoms steigt seit den 1970ern an – inzwischen eine der häufigsten Krebserkrankungen in Deutschland. Der Klimawandel bringt wärmere Temperaturen mit sich – also gehen wir öfter vor die Tür, exponieren uns also verstärkt. Das Gesundheits- und Schönheitsideal sonnengebräunter Haut ist hier ebenfalls nicht hilfreich.
Es zeigen sich auch indirekte Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit, wie die Verlängerung der Pollensaison und die Ausbreitung allergener Pflanzen wie der Ambrosia, deren allergisches Potenzial z. B. ungleich höher ist als das einheimischer Gräser. Experten erwarten z. B. durch diese eingewanderten Pflanzen einen weiteren Anstieg von Allergien.
Auch das Auftreten von einigen Infektionskrankheiten ist bekanntlich von klimatischen Bedingungen abhängig. Wärme und veränderte Niederschlagsmuster wirken sich auf die Verbreitung von Krankheitserregern aus. Sie werden zum Beispiel durch Nahrungsmittel oder Wasser übertragen (v.a. Campylobacter und Salmonella Typhi) oder durch Vektoren wie Zecken (FSME und Borreliose). Andere Vektoren, wie z. B. die Tigermücken, siedeln sich neu in Europa an. Sie können u.a. Dengue und Zika übertragen. Auch in Deutschland findet die Mücke inzwischen in weiten Teilen klimatisch passende Lebensbedingungen.
Durch den Anstieg der mittleren Lufttemperatur im Rahmen des Klimawandels werden die physikalischen und chemischen Komponenten der Luftqualität verändert. Auch dies hat indirekt wiederum einen Einfluss auf die Gesundheit. Eine aktuelle Studie von 2019, die 652 Städte weltweit umfasst, belegt, dass ein Zusammenhang zwischen Feinstaub, Mortalität und erhöhten Temperaturen besteht [1].
Klima-Konsequenzen für Gesundheitsberufe
Aber was bedeutet dies nun für die Beratung von Patienten, Ihren Alltag in der Praxis? Worauf müssen Ärzte in Zukunft achten? Und sollen sie sich auch politisch positionieren?
Einige Konsequenzen, die amerikanische Bioethiker genauer definiert haben, lassen sich für die Akteure des Gesundheitssystems ableiten:
Unabdingbar ist, dass sich die Beschäftigten der Heilberufe, insbesondere Ärzte/innen und Gesundheits- und Krankenpfleger/innen, und auch politische Entscheidungsträger/innen selbst über diese Gesundheitsgefahren informieren und vorbereitet sind.
Zum Beispiel: Trotz der letzten heißen Sommer gibt es in Deutschland bisher keinen nationalen Hitzeaktionsplan. Dies obwohl die Hitzewelle im Jahr 2003 mit zahlreichen Todesfällen in Europa zeigte, dass die nötige Infrastruktur für solche Krisensituationen verbessert werden muss. Einige unserer Nachbarländer sind hier deutlich weiter. Die langfristig zu erwartenden Folgen des Klimawandels bedeuten für das Gesundheitssystem neue Herausforderungen, auf die reagiert werden muss.
Eine wichtige Rolle spielen dabei Haus- und Kinderärzte. Sie sollten aufklären, wie Patienten mit den Gesundheitsgefahren, die der Klimawandel verursacht oder verstärkt, umgehen können.
Und wie soll die Ärzteschaft als Berufsgruppe auf den Klimawandel und seine Gesundheitsfolgen reagieren?
Aus historischer Sicht gibt es viele Beispiele, bei denen sich Ärzte politisch eingesetzt haben. Sowohl im Kollektiv als auch individuell. Das Thema Klimawandel ist mittlerweile auch bei den meisten Ärzten angekommen. Natürlich muss jeder einzelne die Entscheidung für sich treffen, wie stark er sich engagieren will. Dabei spielt sicherlich auch persönliches Interesse eine große Rolle.
Die 7 Charakteristika der Entscheidungsfindung
Einen interessanten Ansatz bieten die Autoren Macpherson & Wynia [2], indem sie versuchen, durch 7 Charakteristika eine Entscheidungshilfe zu bieten, wann sich eine Profession dazu entscheiden sollte, aktiv zu werden. Diese sind:
Expertise
Nähe
Effektivität
Niedriges Risiko oder Kosten der Maßnahme
Einzigartigkeit
Schweregrad
Öffentliches Vertrauen
Was kann dies für Ärzte bedeuten?
Man darf zu Recht behaupten, dass die Ärzteschaft die nötige Expertise hat, um über gesundheitliche Folgen des Klimawandels einen Diskurs zu führen.
Auch sind Ärzte ganz nah am Geschehen. Sie sehen die Auswirkungen an ihren Patienten in ihrer Praxis, in Krankenhäusern, Pflegeheimen und sogar in deren Wohnungen.
Durch ihr Handeln können sie direkt und effektiv einen Unterschied machen.
Und der Arzt hat keine Risiken zu befürchten.
Was die Gesundheit angeht, sind Ärzte die einzigen Ansprechpartner.
Wenn Sie sich den Auswirkungen des Klimawandels nicht annehmen, hat das zum Teil große schwerwiegende Konsequenzen für die Bevölkerung.
Außerdem genießen Ärzte in der Regel in der Bevölkerung großes Vertrauen. Wie bereits erwähnt, ist der deutschen Bevölkerung der Klimawandel ein wichtiges Thema und der Wunsch nach einem aktiven politischen Diskurs ist vorhanden.
Zwar ist die Ärzteschaft nicht die einzige Profession, die den Klimawandel adressieren kann, aber sie hat durch ihre Expertise einen einzigartigen Zugang zu den Auswirkungen. Sie behandelt die gesundheitlichen Folgen. Die, davon ist auszugehen, sich mit jeder Verschärfung des Klimawandels ebenfalls verschärfen werden. Dies spricht dafür, aktiv zu werden. Zu guter Letzt kann man das gewichtige Argument anführen, dass der Arzt eine positive Rolle in unserer Gesellschaft einnimmt und er das öffentliche Vertrauen genießt.
Nachdem man sich dies klargemacht hat, muss jeder einzelne für sich entscheiden, wie er sich dazu positionieren kann und will. Sei es nun durch Fort- oder Weiterbildung über Themen, die Klimawandel und Gesundheit betreffen. Oder durch ein aktives Engagement, zum Beispiel bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit. Oder einfach dadurch, dass Sie als Arzt Ihre Patienten gut informieren.
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Diesen Artikel so zitieren: Klimawandel im Sprechzimmer? So sollten Sie als Arzt auf die neuen Probleme reagieren - Medscape - 18. Sep 2019.
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