In Deutschland leben wir, was viele Infektionserreger angeht, auf der Insel der Seligen – auch dank des gemäßigten Klimas. Doch wird das so bleiben, wenn die Durchschnittstemperaturen steigen, wenn die Sommer länger und heißer und die Winter kürzer und milder werden, wenn extreme Wetterphänomene wie Starkregen zunehmen? Könnte gar Malaria in Deutschland wieder heimisch werden?

Prof. Dr. Klaus Stark
Prof. Dr. Klaus Stark ist Leiter des Fachgebietes Gastrointestinale Infektionen, Zoonosen und tropische Infektionen im Robert Koch-Institut (RKI). Medscape sprach mit dem Infektionsepidemiologen darüber, wie sich veränderte klimatische Bedingungen bereits jetzt auf das Infektionsgeschehen in Deutschland auswirken, über mögliche Zukunftsszenarien und darüber, was Ärzte jetzt wissen sollten.
Medscape: Mit welchen bereits in Deutschland vorkommenden Infektionen müssen wir bei steigenden Temperaturen in Deutschland zukünftig häufiger rechnen?
Prof. Stark: Zu den Erregern, die in Deutschland schon verbreitet sind, gehören durch Lebensmittel übertragene Bakterien wie Salmonellen und Campylobacter. Diese Darminfektionen verursachenden Erreger können sich bei wärmeren Temperauren besser vermehren.
Auch ändert sich das Freizeitverhalten der Bevölkerung: Bei warmem Wetter wird mehr gegrillt. Dann kann es Kreuzkontaminationen geben – die Übertragung von Infektionserregern von rohem Fleisch auf Salate, die dann vor dem Verzehr nicht mehr erhitzt werden.
Wir haben eine – noch unveröffentlichte – Untersuchung zum Zusammenhang von Temperatur und Campylobacter-Infektionen durchgeführt und konnten einen Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen in den Sommermonaten und Infektionen finden.
Medscape: Wie sieht es mit vektorübertragenen Erregern aus?
Prof. Stark: Hier sind zum einen die Hanta-Viren zu nennen. Diese Erreger kommen in Deutschland bisher nur regional vor, nämlich in Baden-Württemberg, Bayern und Teilen Niedersachsens. Das Reservoir dieser Erreger ist die Rötelmaus. Die Populationsdichte der Rötelmaus hängt von der sogenannten Buchenmast ab. Abhängig von besonderen klimatischen Bedingungen produzieren die Buchen in einigen Jahren besonders viele Samen, die den Mäusen als Nahrung dienen. Zudem kommen in milden Wintern besonders viele Mäuse über die kalte Jahreszeit. Im folgenden Jahr ist dann eine Übertragung von Hanta-Viren auf den Menschen wahrscheinlicher.
Eine weitere Gruppe von Erkrankungen, die von der Ausbreitung ihres Vektors abhängig ist, sind die zeckenübertragenen Infektionen: Zum einen die bakterielle Lyme-Borreliose, zum anderen die von Viren verursachte Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Während die Lyme-Borreliose in ganz Deutschland vorkommt, ist die FSME auf Gebiete vor allem in Süddeutschland begrenzt.
Auch für diese Erkrankungen gibt es auch klimatische Faktoren, die die Häufigkeit beeinflussen können. Man muss aber anmerken, dass es in der Regel multifaktorielle Zusammenhänge zwischen Klima und Häufigkeit der Erreger gibt. Grundsätzlich sind aber auch für die Zecken milde Winter und warme, aber nicht zu trockene Sommer günstig.
Medscape: Gibt es schon Hinweise, dass sich das Verbreitungsgebiet der FSME verschiebt?
Prof. Stark: Tatsächlich sind einige Landkreise neu hinzugekommen und es gibt eine leichte Tendenz, dass es sich nach Norden ausbreitet, aber nicht systematisch.
Medscape: Welchen Einfluss hat das menschliche Verhalten auf das Infektionsgeschehen?
Prof. Stark: Wenn es länger im Jahr warm ist, halten sich die Menschen eher im Freien auf. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit, von einer Zecke gestochen zu werden.
Medscape: In diesem Jahr war viel von der „Riesen-Zecke“ zu lesen, die in Deutschland aufgetaucht ist. Welche Gefahren gehen von ihr aus?
Prof. Stark: Hyalomma-Zecken sind bisher in Südosteuropa, etwa Griechenland und Spanien, der Türkei und der Ukraine stark verbreitet. Sie dringen aber, wie es aussieht, weiter nach Norden vor. In den letzten 2 bis 3 Jahren sind sie – bisher allerdings nur in Einzelfällen – verstärkt in Deutschland beobachtet worden.
Hyalomma -Zecken können Rickettsien-Arten übertragen, die Zecken-Fleckfieber verursachen. In diesem Jahr ist erstmals ein Krankheitsfall in Deutschland (Nordrhein-Westfalen) beschrieben worden.
Die Zecken können auch den Erreger des Krim-Kongo-Fieber in sich tragen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Virus in Deutschland übertragen wird, ist allerdings extrem gering. Auch in Spanien, wo die Zecke weit verbreitet ist, gibt es nur ganz selten Fälle von Krim-Kongo-Fieber.
Medscape: Zwar klingt der Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen und der Zunahme von Starkregen-Ereignissen plausibel, er ist aber unter Experten umstritten. Ob wir uns zukünftig auf mehr dieser Ereignisse gefasst machen müssen, ist also noch nicht klar. Aber welche Auswirkungen könnte das dann auf die Infektionssituation im Land haben?
Prof. Stark: Hier ist etwa an die Zunahme von Leptospirose zu denken, die ihr Reservoir insbesondere bei Nagern wie Ratten hat. Das Bakterium wird über den Urin ausgeschieden und verbreitet sich in Seen und Flüssen. Nach Starkregen kann es zu Überflutungen beispielsweise von Feldern kommen. 2007 gab es in Nordrhein-Westfalen und 2014 in Niedersachsen Leptospirose-Ausbrüche bei Erdbeerpflückern.
Medscape: Welche Erreger könnten in Deutschland wieder „heimisch“ werden? Immerhin gilt die einheimische Malaria erst seit den 1950er Jahren als ausgerottet.
Prof. Stark: In Deutschland gibt es grundsätzlich bestimmte Arten der Anopheles-Mücke, die theoretisch Malaria übertragen könnten. Allerdings ist es nicht besonders gut untersucht, ob diese Mücken tatsächlich dazu in der Lage sind. Aber gerade Malaria ist eine Erkrankung, die sich vor allem ausbreiten kann, wenn die medizinische Versorgung nicht gut ist und keine gute Mückenbekämpfung stattfindet. Die Mücken sind auch in Südeuropa verbreitet, aber auch da gibt es keine Malaria bis auf seltene Fälle in Griechenland. Insofern ist das Risiko für eine Ausbreitung von Malaria extrem gering.
Medscape: Wie sieht es mit Erregern aus, die von der Asiatischen Tigermücke übertragen werden? Diese wurde ja schon häufiger in Deutschland gefunden.
Prof. Stark: Hier ist die Situation tatsächlich eine andere. Inzwischen gibt es etablierte Populationen der Asiatischen Tigermücke in Deutschland, etwa im Raum Freiburg, Heidelberg und Jena. Obwohl sie bekämpft werden, ist es wahrscheinlich nicht realistisch anzunehmen, dass sie sich dauerhaft wieder eliminieren lassen.
Die Mücke ist ein kompetenter Vektor für Arbo-Viren, etwa die Erreger von Dengue-Fieber, Chikungunya-Fieber oder Zika-Fieber. Wo die Mücken in Deutschland bereits vorkommen, gibt es ein gewisses, wenn auch kleines Risiko für die Übertragung dieser Viren. Bisher ist allerdings in diesen Mückenpopulationen keines der Viren nachgewiesen worden.
In Südeuropa sind diese Mücken schon weit verbreitet. 2007 und 2017 gab es in Italien Chikungunya-Ausbrüche. In diesem Jahr meldete Spanien den ersten Fall einer lokalen Infektion, in Frankreich gab es 2017 einige Erkrankte. Auch kleinere Ausbrüche und einzelne Fälle von lokalem Dengue-Fieber gab es schon in Südfrankreich und Spanien.
Medscape: Gibt es weitere Erreger, die sich über Vektoren in Deutschland ausbreiten könnten?
Auch mit dem West-Nil-Virus muss man rechnen. Es ist bereits in Südeuropa verbreitet und wird von Mücken der Gattung Culex übertragen, also den in Deutschland etabliert vorkommenden Stechmücken. Da ist der Vektor also in jedem Fall schon hier.
Das Erregerreservoir sind Vögel. Bei wärmeren Temperaturen können sich die Viren in den Vögeln schneller vermehren. Inzwischen gab es erste lokale Erkrankungsfälle in Tschechien und Österreich. Daher ist es wohl nur eine Frage der Zeit, wann in Deutschland die ersten Fälle von West-Nil-Fieber auftreten.
Im letzten Jahr ist das Virus erstmal bei toten Vögeln in Deutschland nachgewiesen worden. In diesem Jahr haben die Virus-Nachweise zugenommen. Es waren rund 40 in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin. Es ist also durchaus ein ernstzunehmendes Problem. Zumindest mit Einzelfällen beim Menschen muss man rechnen. Ein wichtiges Thema ist dann die Sicherheit von Blutspenden, da das Virus auf diesem Wege übertragen werden kann.
Medscape: In diesem Sommer gab es Todesfälle durch Vibrionen in der Ostsee ...
Prof. Stark: Auch diese Nicht-Cholera-Vibrionen, die im Salzwasser vorkommen, vermehren sich bei höheren Temperaturen stärker. In Jahren, in denen die Wassertemperaturen höher waren als normal, sind meist eine ganze Reihe von Erkrankungsfällen aufgetreten.
Medscape: Welches Wissen sollten sich Ärzte aneignen, um auf die möglichen Veränderungen vorbereitet zu sein?
Das Thema wird uns weiter begleiten und in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen. Tropenmedizinisches Wissen ist also durchaus auch für Niedergelassene und Klinik-Ärzte nützlich. Gerade in Gegenden, in denen die Asiatische Tigermücke vorkommt, sollte man etwa bei unklaren Fieberzuständen auch an eine solche exotische Krankheit denken, bei unklaren Fällen von Enzephalitis insbesondere an West-Nil-Fieber.
Medscape: Vielen Dank für das Gespräch
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Diesen Artikel so zitieren: Prima Klima für Erreger? Welche Infektionen sich durch den Klimawandel in Deutschland (weiter) ausbreiten könnten - Medscape - 19. Sep 2019.
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