In diesem Jahr grassiert das Dengue-Fieber stärker denn je in den Endemie-Gebieten in Asien und Lateinamerika. Vor allem in den letzten 3 Monaten haben sich dort schwere Fälle gehäuft – so sehr, dass die Philippinen am 6. August 2019 den nationalen Dengue-Notstand ausgerufen haben. Besonders gefährlich ist die Erkrankung für Kinder der ärmeren Regionen: Fast die Hälfte der bisher über 1.000 Dengue-Toten dieses Jahres auf den Philippinen war minderjährig.
Auch die SOS-Kinderdörfer warnen vor den Risiken durch Dengue vor allem für kleine Kinder. Die Mitarbeiter vor Ort betreiben umfassende Präventionsarbeit – dennoch erkrankten dieses Jahr Dutzende von Kindern und Mitarbeitern in SOS-Kinderdörfern in den Endemiegebieten [1].
Vanessa Schwake, freie Mitarbeiterin der SOS-Kinderdörfer weltweit, sagt im Gespräch mit Medscape: „SOS wünscht sich, dass mehr Forschung betrieben wird, und dass es bald eine erfolgreiche, ungefährliche Impfung gibt.“
Dengue vor allem gefährlich in Endemiegebieten
Schon seit Jahren warnen Mediziner davor, dass der Klimawandel die Verbreitung der Dengue übertragenden Tigermücken-Arten, Aedes aegypti und Aedes albopictus, fördert und langfristig die Erkrankung auch in gemäßigtere Breiten, etwa auch nach Deutschland, bringen kann.

Dr. Günter Fröschl
Panik ist aber laut dem Facharzt für Innere Medizin, Infektiologie und Tropenmedizin Dr. Günter Fröschl, tätig in der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin am Universitätsklinikum München, hierzulande nicht angebracht: „Selbst dann verläuft die erste Infektion meistens ohne Komplikationen, und das Risiko für eine zweite Infektion ist immer noch sehr gering. Gefährlich ist Dengue vor allem für Patienten in Regionen mit mangelhafter Infrastruktur, wodurch es zu mehr Brutplätzen für die Mücken und gleichzeitig zu verzögerter Behandlung von Patienten kommt.“
Es gehe daher vor allem darum, Menschen in den Endemiegebieten zu unterstützen und zu schützen. Langfristig gelte es, der Weiterverbreitung von Vektoren wie Aedes aegypti vorzubeugen – unter anderem dadurch, dass versucht werde, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.
Dengue – von asymptomatisch bis tödlich
Das Tückische an Dengue: Die Krankheit kann asymptomatisch, aber auch sehr schwer verlaufen. Experten gehen darum davon aus, dass über 100 Millionen Personen im Jahr mit dem Dengue-Virus infiziert werden, von denen jedoch die meisten gar keine oder nur leichte Symptome haben. Komplikationen drohen dann vermehrt bei einer Zweitinfektion mit einem anderen Serotyp.
In leichten Fällen sind die Symptome wie Fieber, Augen-, Muskel- und Gelenkschmerzen binnen weniger Tage überwunden. In schweren Fällen benötigen Patienten Infusionen und/oder brauchen Wochen, um wieder zu Kräften zu kommen.
Etwa jeder Tausendste der symptomatisch Erkrankten stirbt an Komplikationen wie dem hämorrhagischen Dengue-Fieber und dem Dengue-Schock-Syndrom. Viele der Todesfälle entfallen auf Kinder und Jugendliche, die sich beim zweiten Mal mit einem Virus eines anderen Serotyps infiziert haben.
4 unterschiedliche Serotypen lösen die Erkrankung aus, was die Zweitinfektion gefährlich macht. Denn die durch die Ersterkrankung gebildeten Antikörper können die neuen Virionen nicht neutralisieren, stattdessen fördern sie die Aufnahme der Virionen, sodass die Viruslast steigt und die Erkrankung zumeist schwerer verläuft als beim ersten Mal. Darum ist es auch so schwer, einen Impfstoff zu entwickeln, der sich für alle Subtypen eignet und jene, die niemals mit Dengue-Viren konfrontiert wurden, ebenso schützt wie Patienten nach Erstinfektion.
Um die lebensbedrohliche Zweitinfektion zu bekämpfen, wurde 2015 für Endemiegebiete ein Lebendimpfstoff zugelassen. Dieser ist jedoch weder für Kinder unter 9 Jahren noch für Dengue-naive Menschen geeignet. Bei falscher Anwendung kann der Impfstoff schwerste Nebenwirkungen haben, er wird unter anderem mit dem Tod von 3 Kindern auf den Philippinen in Verbindung gebracht.
Spezifisch behandeln lässt sich Dengue nicht, nur mit tage- bis wochenlanger Bettruhe und Schonung sowie ausreichend hoher Flüssigkeitsgabe auskurieren. Schmerzlinderung ist mit Paracetamol möglich, von blutverdünnenden Medikamenten wie Acetylsalicylsäure ist abzusehen.
Zahlen aus 2019: Anlass zur Sorge
Diesen Sommer gab es Dengue-Ausbrüche vor allem in lateinamerikanischen und asiatischen Länder. Dabei kam es zu vielen schweren Erkrankungen: Allein bis Mitte September 2019 wurden 250.000 Dengue-Fälle auf den Philippinen gemeldet, dazu 125.000 in Vietnam, 95.000 in Malaysia, 77.000 in Bangladesch und jeweils mehr als 50.000 in Thailand und Nicaragua.
„Auch zwei Dutzend Kinder in mehreren unserer SOS-Einrichtungen waren in diesem Jahr erkrankt“, berichtet Aldrin Norio, Leiter der SOS-Familienhilfe-Programme der Philippinen.
„In den SOS-Kinderdörfern in Bangladesch gab es 4 Dengue-Fälle, die zum Glück glimpflich ausgegangen sind“, ergänzt der Leiter der SOS-Kinderdörfer in Bangladesch, Enamul Haque. Auf Rückfrage von Medscape vermelden die SOS-Kinderdörfer in Nicaragua, dass 31 Kinder dieses Jahr sicher erkrankt waren und insgesamt 305 Verdachtsfälle registriert wurden. Bislang haben sich alle Kinder zum Glück wieder erholt.
Bis Ende August starben insgesamt 1.021 Menschen allein auf den Philippinen an Dengue, fast die Hälfte davon Kinder. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO gilt aktuell: „Die fortgeschrittene Form des Dengue-Fiebers ist eine der Hauptursachen für schwere Erkrankungen und den Tod von Kindern in einigen asiatischen sowie lateinamerikanischen Ländern.“
Weltweite Verbreitung der Vektoren befürchtet
Die Experten sind sich einig, dass anhaltende hohe Temperaturen und starke Regenfälle die Vermehrung von Dengue fördern. Wenn dann noch mangelnde Sauberkeit hinzukommt, steigt das Risiko für die Bevölkerung weiter.
Fröschl ergänzt, dass sich durch die Reisen von Menschen und Waren Vektoren wie Aedes aegypti weltweit verbreitet haben und dies weiterhin tun werden. „Wir wissen heute, dass über den Handel mit Pflanzensetzlingen aus China die Mücken nach Holland kamen und dass sie über den Altreifenhandel die USA erreichten, zum Beispiel Louisiana und Texas“, so Fröschl. „Wenn die Mücken dann noch ein Klima vorfinden, in dem es ihnen nicht zu kalt wird, können sie sich dauerhaft etablieren.“
Es müsse dementsprechend weltweit etwas getan werden, um die Verbreitung der Vektoren zu bremsen. Die SOS-Kinderdörfer in Ländern, in denen Aedes agypti schon lange zu finden ist, arbeiten mit den Gesundheitsämtern zusammen, setzen auf Aufklärung der Menschen in den betroffenen Gebieten und vor allem auf Prävention. Brutstätten der Mücken werden regelmäßig gesucht und zerstört.
Zudem steht Sauberkeit an erster Stelle. Und wo es möglich ist, werden die Räume mit Klimaanlagen und Ventilatoren gekühlt. „Denn Mücken mögen es warm. Die Mücken, die Dengue übertragen, sind tagaktiv“, erläutert Schwake. „Also ist es wichtig, tagsüber den Körper mit Kleidung komplett zu bedecken, Moskito-Spray und -Netze zu nutzen sowie stehende Gewässer zu meiden.“
Im Falle eines Verdachts auf Dengue wird in den SOS-Kinderdörfern sofort reagiert. Es gibt Untersuchungen und Beratungen, um Komplikationen zu verhindern. Sprays zur Mückenabwehr kommen ebenso zum Einsatz wie Moskito-Netze und Erste-Hilfe-Sets mit Schmerzmitteln und Seren, die SOS in den Kinderhäusern sowie den Sozialzentren vor Ort verteilt.
Das sind sinnvolle Maßnahmen, betont Fröschl. Allgemein solle in Endemiegebieten die Bevölkerung aufgeklärt werden, fordert er: „Die Menschen müssen verstehen, was Dengue ist, es braucht das Verständnis der Übertragungswege und was man tun kann, um sich und seine Kinder zu schützen. Die Menschen müssen wissen: Wie lagere ich mein Brauchwasser sicher, warum sollte ich Pfützen im Umfeld trockenlegen? Warum sollte ich Mückennetze anbringen?“
Neben den großen gebe es inzwischen auch viele kleine, lokale Organisationen, die solche Aufklärungsarbeit in Asien und Lateinamerika übernehmen und Unterstützung verdienen, merkt er an.
Was Mediziner in Deutschland tun können
Schwake betont die Dringlichkeit der Lage: „Es braucht Spenden, damit die Menschen in betroffenen Gebieten Netze und Sprays erhalten. Gerade mittellose Menschen, die oft in Dschungelgebieten, an stehenden Gewässern und Bächen in Blechhütten leben, befinden sich in direktem Kontakt mit den Moskitos. Wichtig ist, dass wir dort Aufklärung betreiben, damit sich die Menschen schützen können“, erklärt sie.
Wer in betroffene Gebiete reise, dem empfiehlt sie vor allem tagsüber akribischen Mückenschutz mit langer Kleidung und Sprays, Schlafen unter Netzen sowie den Aufenthalt in Räumen mit Ventilator oder Klimaanlage. Das gilt für Erwachsene wie für Kinder gleichermaßen.
Fröschl erklärt, dass Reisende hierzulande entsprechend beraten werden. „Eigentlich gilt dasselbe wie für Malaria: Verhindern Sie, dass Sie gestochen werden. Weil das niemandem zu 100 Prozent gelingt, sollten Reisende bei hohem Fieber auf der Reise oder nach der Rückreise zum Arzt. Dengue tritt in der Regel nach 1 bis 3 Wochen auf, an Malaria muss man noch etwa 4 Monate lang denken.“ Bei Dengue müssten sich aber Reisende in allgemein gutem Gesundheitszustand weniger Sorgen als bei Malaria machen, dass sie Komplikationen erleiden.
In Deutschland gab es im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 634 gesicherte Dengue-Erkrankungen, berichtet das Robert Koch-Institut (RKI). 43% der Erkrankten hatten sich in Thailand infiziert, 11% in Indonesien, 4% in Sri Lanka, der Rest vor allem in anderen Urlaubsgebieten in Asien und Lateinamerika.
Aus Fröschls Sicht sind Mediziner, Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker dennoch in der Pflicht: „Wir haben die Verantwortung dafür, wissenschaftliche Informationen zu liefern, mit denen man Organisationen vor Ort bei der Krankheitsbekämpfung helfen kann. Es ist wichtig, bei der Verteilung der Mittel darauf zu achten, dass in die globale Gesundheit investiert wird. Wir haben auch die Verantwortung dafür, dass Mittel gerechter verteilt werden, denn unsere Lebensweise ist für den Klimawandel, die Armut in vielen Regionen und die Ausbreitung von Krankheiten wie Dengue mit verantwortlich.“
Wer allgemein klimabewusst lebt, sein Umfeld für den Klimaschutz sensibilisiert und/oder sich politisch engagiert, tut indirekt und langfristig etwas gegen die weitere Ausbreitung des Dengue-Fiebers, findet Fröschl. Denn auch fernab jener Panik ist davon auszugehen, dass mit einer weiteren Erwärmung mehr Tigermücken nach Europa kommen, sich vermehren und Krankheiten wie Dengue dauerhaft hierher bringen.
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Diesen Artikel so zitieren: Erst der Klimawandel, dann das Dengue-Fieber: Was Ärzte wissen sollten – und jetzt tun können - Medscape - 18. Sep 2019.
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