Hitzewellen wie diejenige im vergangenen Jahr 2018 haben einen signifikanten Einfluss auf die Mortalität besonders der älteren Bevölkerung. Nach Schätzungen von Dr. Matthias an der Heiden und seinen Kollegen von der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut (RKI), die nun für die Bundesländer Berlin und Hessen vorliegen, war die Hitze im Sommer 2018 für 480 (Berlin) bzw. 740 (Hessen) Sterbefälle verantwortlich [1].
„Diese Schätzung ist auf jeden Fall realistisch“, meint Dr. Alina Herrmann von der Arbeitsgruppe Klima und Gesundheit am Institut für Public Health am Universitätsklinikum Heidelberg im Gespräch mit Medscape. Noch könne man nicht sagen, ob es deutschlandweit im letzten Jahr einen Rekord an Hitzetoten gab, aber in Anbetracht der Hitzerekorde und immer noch mangelnden Etablierung von Gegenmaßnahmen könne das durchaus sein.
Das Team um an der Heiden hatte bereits im Mai 2019 erstmals umfassende Zahlen für Deutschland zu Hitzetoten in den Jahren 2001 bis 2015 veröffentlicht. Danach gab es im Rekord-Sommer 2003 mit 7.600 die bisher meisten hitzebedingten Todesfälle in Deutschland, gefolgt vom Sommer 2006 mit 6.200 und 2015 mit 6.100 Todesfällen. Am stärksten betroffen von der Hitze sind in Deutschland ältere Männer und Frauen im Alter ab 75 Jahren.
Schätzung hitzebedingter Todesfälle im Sommer 2018
Für die aktuelle Studie wurden aggregierte Mortalitätsdaten aus Berlin und Hessen verwendet und für die Analyse in 4 Altersgruppen eingeteilt: 0 bis 64 Jahre, 65 bis 74, 75 bis 84 und die Altersgruppe der Über-84-Jährigen.
Für die Schätzung der hitzebedingten Todesfälle nutzten die Forscher Wetterdaten aus den untersuchten Regionen des Deutschen Wetterdienstes und analysierten die Mortalität von der 15. bis zur 40. Kalenderwoche in Form einer Expositions-Wirkungskurve.
Wie stark die Wochen-Mitteltemperatur die Mortalitätsrate beeinflusst, beschreiben die Autoren mit Hilfe eines generalisierten additiven Modells (GAM) als eine nicht-lineare Expositions-Wirkungskurve. Dabei wird die erwartete Mortalität mit und ohne Hitzeeinfluss modelliert. Von Hitze sprechen die Forscher in ihrem Modell ab einer Wochen-Mitteltemperatur von 20 Grad Celsius, die einen Mittelwert der Tages- und Nachttemperaturen erfasst.
Schließlich ergibt sich die wöchentliche Anzahl hitzebedingter Sterbefälle als Differenz zwischen der modellierten Anzahl von Sterbefällen mit und ohne Hitzeeinfluss. Für die Bestimmung der Übersterblichkeit (Exzessmortalität) in den Wochen mit einer Mitteltemperatur von über 20 Grad Celsius zogen die Forscher die modellierte Mortalität ohne Hitzeeinfluss von der tatsächlich beobachteten Mortalität ab.
Ergebnisse für Berlin und Hessen
Laut des verwendeten Modells ergeben sich für Berlin im Jahr 2018 geschätzte 490 hitzebedingte Sterbefälle. Das entspricht einer hitzebedingten Mortalität von 13 je 100.000 Einwohner bezogen auf alle Altersgruppen. Bei den 75- bis 84-Jährigen bzw. ab einem Lebensalter von 85 lag die hitzebedingte Mortalität mit 67 bzw. 320 je 100.000 Einwohner wesentlich höher. Die geschätzte Exzessmortalität (die Übersterblichkeit) lag ebenfalls bei knapp 500.
In Hessen ergab sich laut den Berechnungen für das Jahr 2018 schätzungsweise 740 hitzebedingte Sterbefälle, was einer Mortalität von 12 je 100.000 Einwohner entspricht. Auch hier war die ältere Bevölkerung weitaus stärker betroffen: Die hitzebedingte Mortalität lag bei den 75- bis 84-Jährigen bei etwa 53, bei den Über-84-Jährigen bei etwa 260 je 100.000 Einwohner. Die geschätzte Exzessmortalität lag in Hessen im Jahr 2018 bei 550 Sterbefällen.
„Die Expositions-Wirkungskurven zeigen, dass Hitze insbesondere in den älteren Altersgruppen die Mortalitätsrate um einen zweistelligen Prozentwert (bis 50%) erhöht“, schreiben die Autoren.
Vergleicht man die Gesamtzahl der hitzebedingten Sterbefälle in 2018 mit denjenigen der Hitzewelle von 2006, starben aktuell mehr Personen in den besonders betroffenen Altersgruppen. Dies lasse sich mit der demographischen Entwicklung erklären. Die hauptsächlich betroffenen Altersgruppen seien seit 2006 deutlich größer geworden, so an der Heiden. „Da sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren fortsetzen und die Anzahl bzw. das Ausmaß der Hitzewellen kaum abnehmen wird, erwarten wir einen weiteren Anstieg der hitzebedingten Sterbefälle“, schreiben die Autoren.
Nach der Hitzewelle im Jahr 2003 mit schätzungsweise 70.000 Todesfällen in Europa sei die Forschungsaktivität zur Klärung der Zusammenhänge zwischen Hitze und Gesundheit geradezu explodiert, sagt Herrmann. „Krankheitslast und Sterblichkeit durch die Hitzewellen steigen hauptsächlich bei älteren Menschen – das ist durch Studien ausreichend belegt“, so die Forscherin.
Tipps für Präventivmaßnahmen
Nachholbedarf gebe es auf einem anderen Gebiet. „Es gibt kaum Studien, die prüfen, welche Präventionsmaßnahmen tatsächlich wirksam sind“, sagt Herrmann. Die WHO beispielsweise hat Hitze-Aktionspläne herausgegeben, mit denen die Anzahl der Hitzetoten verringert werden soll. Zentral für diese Pläne sind Hitzewarnsysteme. Die Empfehlungen richten sich prinzipiell an jedermann und lauten:
von Hitze fernhalten,
genügend trinken,
den Körper kühl halten,
kleine Mahlzeiten zu sich nehmen.
Dann gibt es aber noch viele Maßnahmen, die weit über die persönlichen Verhaltensweisen hinausgehen: Kühle Schutzräume für die Öffentlichkeit und auch in Pflegeheimen, Schulung von medizinischem Personal und Personal in sozialen Einrichtungen, bauliche Maßnahmen an Gebäuden sowie langfristige Stadtentwicklungsmaßnahmen mit ausreichend Frischluftschneisen und Wasser- sowie Grünflächen zur Abkühlung des Stadtklima sind nur einige Beispiele.
„Ältere Menschen oder kranke Personen, die allein leben, sollten mindestens einmal täglich besucht werden. Wenn eine Person Medikamente nimmt, fragen Sie den behandelnden Arzt, ob diese die Wärmeregulierung und den Flüssigkeitshaushalt beeinflussen können“, empfiehlt die WHO.
Medikamente sollten unter 25 Grad Celsius aufbewahrt werden. Wer an einer chronischen Erkrankung leide oder mehrere Medikamente zu sich nehme und wem keine ausreichend kühlen Räume zur Verfügung stehen, sollte in Hitzewellen besonders auf die aktive Abkühlung des Körpers zum Beispiel durch kühlende Fußbäder oder Hautbefeuchtung achten.
Risikofaktoren für Gesundheitsschäden durch Hitze
Auf Risikofaktoren für hitzebedingte Gesundheitsschäden besonders älterer Menschen macht Herrmann in einer Publikation der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie aufmerksam [2]. Dazu zählen:
Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Lungenerkrankungen, Diabetes mellitus, chronische Nierenerkrankungen, neurologische Erkrankungen wie Parkinson oder Demenz, psychiatrische Erkrankungen, höhergradige Adipositas;
Einnahme von Medikamenten oder andere Substanzen wie Diuretika, ACE-Inhibitoren, Angiotensin-2-Rezeptorblocker, Antidepressiva, Antikonvulsiva, Antipsychotika, Anticholinergika, dermal applizierte Medikamente, Alkohol und andere Suchtmittel;
funktionelle Einschränkungen wie Pflegebedürftigkeit, Bettlägerigkeit;
sozioökonomische Faktoren wie geringer sozioökonomischer Status, soziale Isolation, alleinlebend;
Wohnsituation wie in einer städtischen Wärmeinsel lebend, Schlafzimmer unter dem Dach;
kein Zugang zu kühleren Räumen, keine Klimaanlage, falsche Belüftungsgewohnheiten.
Hausärzten sollten die Probleme, die bei älteren Patienten während Hitzeperioden auftreten können, stärker bewusst sein, so Herrmann. Viele Kollegen wüssten zwar, wie mit Risikomedikationen (Blutdruck, Entwässerung) umgegangen und dass die Patienten sorgsam beobachtet werden müssten. Dass auch manche Psychopharmaka bei extremer Hitze anders oder über Hautpflaster applizierte Medikamente stärker wirken könnten, weil die Dosis beispielsweise schneller abgegeben werde, sei jedoch oft noch nicht bekannt.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: RKI-Schätzungen zu Exzess-Todesfällen durch Hitze-Sommer – und Tipps wie sich vorbeugen lässt - Medscape - 18. Sep 2019.
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